»Konstruierte Vorwürfe«
Interview mit Sahra Wagenknecht, erschienen in der Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung am 06.06.2011
Frau Wagenknecht, diverse Politiker der
Linken sind in jüngster Zeit immer wieder mit antisemitischen
Positionen und Aktionen aufgefallen. Wie passt das mit der
antifaschistischen Ausrichtung Ihrer Partei zusammen?
Die
Linke setzt sich aktiv gegen Rassismus und Antisemitismus ein. In der
Partei haben antisemitische Positionen keinen Platz. Das haben wir
wiederholt und unmissverständlich klargemacht.
Eine
aktuelle Studie der Antisemitismusexperten Samuel Salzborn und
Sebastian Voigt indes attestiert der Linken, dass antisemitische
Positionen in der Partei weit verbreitet sind. Wie stehen Sie zu diesem
Befund?
Die von Ihnen erwähnte Studie setzt Kritik an Israel
mit Antisemitismus gleich. Das ist polemische Stimmungsmache und
verfolgt allein den Zweck, die Linke zu diskreditieren. Die Untersuchung
unterstellt mir beispielsweise Scheinheiligkeit, weil ich mich zwar vor
den Opfern der Schoa verneige, jedoch dem israelischen
Staatspräsidenten nach einer wie ich finde, in Teilen sehr
problematischen Rede stehende Ovationen versage. Daraus einen
Antisemitismus-Vorwurf zu konstruieren, ist unerträglich und zudem
einfach unseriös.
Die
Linke-Parteiführung erklärt regelmäßig, dass Antisemitismus keine
vertretbare Position der Linkspartei sei. Faktisch aber stellt sie sich
dies nur ein Beispiel von vielen auch nach der umstrittenen Teilnahme
von Inge Höger, Annette Groth und Norman Paech an der von radikalen
Islamisten initiierten Gaza-Flottille klar und deutlich hinter ihre
Mitglieder. Warum?
Die Gaza-Flottille wurde von einem breiten
humanitären internationalen Bündnis getragen. Ihr Ziel war es,
Öffentlichkeit herzustellen und durch einen Bruch der Blockade die
katastrophale humanitäre Lage im Gazastreifen zu lindern. Bekanntlich
wurde das Schiff in einer Kommandoaktion der israelischen Armee, bei der
mehrere Zivilisten getötet wurden, gestürmt und an der Weiterfahrt
gehindert. Unabhängig von der eigenen persönlichen Entscheidung, an der
Flottille für Gaza teilzunehmen oder nicht, halte ich es für angemessen,
dass Die Linke sich mit Mitgliedern, die sich an der Fahrt nach Gaza
friedlich beteiligt haben, solidarisiert.
Wann
macht sich Die Linke zwecks Protestaktion statt nach Gaza auf den Weg
in Richtung Iran, China, Syrien oder Darfur, wo die Forderungen des
Volkes nach Einhaltung der Menschenrechte blutig im Keim erstickt
werden?
Die Linke setzt sich weltweit für eine friedliche
Bewältigung von Konflikten ein. Im Gegensatz zu anderen Parteien macht
sich die Linke auch stark für Menschenrechte beispielsweise in Ländern
wie Saudi-Arabien, an denen aufgrund wirtschaftlicher Interessen kaum
Kritik geübt wird.
Würden Sie sich persönlich an der geplanten Neuauflage einer Gaza-Flottille beteiligen?
Nein.
Die
Linkspartei in Duisburg und Bremen ruft zum Boykott israelischer Waren
auf, Hermann Dierkes, Fraktionschef der Linken in Duisburg, bezeichnet
das Existenzrecht Israels vor laufender Kamera als »läppisch« - in
anderen Parteien würden Mitglieder deshalb ausgeschlossen werden. Ist in
der Linken Antisemitismus im Gewande des Antizionismus salonfähig
geworden?
Antisemitismus wird bei uns nicht geduldet. Der
Parteivorstand hat dies in seiner letzten Sitzung erneut bekräftigt und
zugleich betont, dass das Existenzrecht Israels nicht relativiert werden
darf. Zugleich wurde beschlossen, dass Die Linke Boykottaufrufe für
israelische Waren nicht unterstützt. Diese Resolution wurde ohne
Gegenstimme verabschiedet.
Wo endet Ihrer Ansicht nach legitime Kritik am jüdischen Staat und wo beginnt für Sie Antisemitismus?
Kritik an der israelischen Regierungspolitik ist nicht gleichzusetzen mit Antisemitismus.
Haben
Sie Verständnis dafür, dass die Bundestagsabgeordnete Inge Höger an
Veranstaltungen teilnimmt, in deren Rahmen auch antisemitische Parolen
skandiert werden und die Vernichtung Israels gefordert wird?
Mir ist nicht bekannt, dass Inge Höger an dergleichen Veranstaltungen teilnimmt, und ich kann es mir auch nicht vorstellen.
Das Existenzrecht Israels ist Teil der deutschen Staatsräson. Gilt das auch für Die Linke?
Wie
bereits erwähnt, hat der Parteivorstand sich gerade erst in der
vergangenen Sitzung erneut eindeutig zum Existenzrecht Israels bekannt.
Durch die barbarischen Verbrechen, die Jüdinnen und Juden während der
Zeit des deutschen Faschismus erleiden mussten, ergibt sich eine
besondere Verantwortung gegenüber Israel. Gleichzeitig setzt sich Die
Linke basierend auf den Grenzen von 1967 für die Schaffung eines
palästinensischen Staates als Grundlage eines dauerhaften Friedens in
Nahost ein.
Früher haben
deutsche Juden traditionell rot gewählt, inzwischen entscheiden sie sich
mehrheitlich für die CDU. Aus welchem Grund könnte Ihre Partei für
Juden attraktiv sein?
Die Linke steht für eine Politik der
sozialen Gerechtigkeit, für Umverteilung, zivile Konfliktlösungen,
nachhaltiges Wirtschaften in intakter Umwelt, für die Durchsetzung der
Menschenrechte und eine Wirtschaftspolitik jenseits des Kapitalismus.
Sie richtet sich damit an alle Menschen.
Wie würde sich die Israel- und Nahostpolitik einer deutschen Regierung ändern, an der die Linkspartei beteiligt wäre?
Entsprechend
ihrer Programmatik wird sich Die Linke immer in der Frage Nahost für
eine Konfliktbeilegung auf dem Verhandlungswege einsetzen, um eine
dauerhafte und gerechte Friedenslösung zu erreichen, die für alle
Konfliktbeteiligten tragbar ist und stabile Entwicklungsperspektiven
bietet. Wir gehen davon aus, dass sich dies nur im Rahmen einer
Zwei-Staaten-Lösung wird erreichen lassen und setzen uns für eine
Friedenslösung auf der Grundlage der Grenzen von 1967 ein.
Kritik
von Ihrer Partei im Allgemeinen und von Ihnen persönlich an Herrschern
wie Ahmadinedschad oder Gaddafi sucht man vergebens. Das demokratische
Israel hingegen wird von der Linken geradezu obsessiv angegangen. Warum
wird eine vermeintliche Kriegspolitik Israels an den Pranger gestellt
und zum Beispiel die reale des Iran nicht?
Das ist nicht
richtig. Die Linke äußert sich kritisch auch zu Ahmadinedschad und
Gaddafi. Im Gegensatz zur rot-grünen und schwarz-gelben Regierung waren
wir im Übrigen stets dagegen, Libyen aufzurüsten und zur Festung gegen
afrikanische Flüchtlinge nach Europa aufzubauen. Was die Frage der
Kriegspolitik angeht, wendet sich Die Linke grundsätzlich gegen
Kriegsdrohungen und -szenarien. Allerdings war der Iran meiner Kenntnis
nach in jüngerer Geschichte nur an einem Krieg beteiligt, nämlich dem
Ersten Golfkrieg, der 1980 mit einem Angriff Saddam Husseins,
unterstützt von den westlichen Staaten, auf den Iran begann.
Staaten
wie China, Russland oder Saudi-Arabien sind für Deutschland in
wirtschaftlicher Hinsicht wesentlich bedeutsamer als Israel. Dennoch
stehen bei der Linken stets Israel und die USA im Zentrum der Vorwürfe.
Warum misst Ihre Partei mit zweierlei Maß?
Die Linke setzt
sich für eine gerechte Weltwirtschaft und für Frieden und Abrüstung ein.
Unsere Kritik richtet sich gegen eine Politik, die dem entgegensteht.
Leider ist es so, dass gerade die USA und ihre Verbündeten, darunter
auch die EU, in den vergangenen Jahren eine massive Kriegspolitik
vorangetrieben haben. Jugoslawien, Afghanistan, Irak, jetzt Libyen
statt nach friedlichen Wegen zu suchen, Konflikte zu lösen, werden
Angriffskriege geführt. Selbstverständlich muss Die Linke das
kritisieren. Im Übrigen ist es die Bundesregierung, die mit zweierlei
Maß misst. Saudi-Arabien muss trotz gravierendster
Menschenrechtsverletzungen mit keiner Kritik rechnen, sondern kann auf
beste wirtschaftliche und politische Beziehungen vertrauen. Ein weiteres
Beispiel ist auch die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung, mit
der sie nicht nur Saudi-Arabien, sondern über Jahre auch die
diktatorischen Regierungen in Nordafrika gestützt hat, deren Sturz sie
jetzt begrüßt.
Nachdem Schimon
Peres im vergangenen Jahr im Bundestag bei der Gedenkstunde für die
Opfer des Nationalsozialismus eine Rede gehalten hatte, sind Sie
demonstrativ sitzen geblieben. Dafür wurden Sie von der NPD gelobt.
Würden sie heute noch einmal genauso handeln?
Ich bin zu Ehren
der Opfer des Nationalsozialismus selbstverständlich aufgestanden. Ich
habe nur Schimon Peres keine stehenden Ovationen gezollt, da er seine
Rede als israelischer Staatspräsident auch dazu genutzt hat, für einen
Krieg gegen den Iran zu werben. Ich halte es weiterhin für richtig, ihm
dafür keinen Beifall zu spenden. Zur NPD nur so viel: Ich bin für ein
Verbotsverfahren gegen diese antisemitische und rassistische Partei.
Woran haben Sie damals Anstoß genommen?
Die
Rede von Peres, in der er eindrucksvoll seine persönliche Geschichte
und das Schicksal seiner Familie geschildert hat, war sehr bewegend.
Doch die Passagen, in denen er auf den Iran zu sprechen kam und die nur
als eine Aufforderung zu kriegerischen Aktionen gegen Teheran auf
Grundlage unbewiesener Behauptungen zum Atomwaffenprogramm verstanden
werden konnten, fand ich inakzeptabel. Ich fühlte mich dabei stark an
die Vorbereitungsphase des Krieges gegen den Irak erinnert. Für mich
steht außer Frage, dass ein Krieg gegen den Iran keine Lösung sein kann,
sondern im Gegenteil zu unsagbarem Leid und Elend führen und eine
ohnehin brisante Weltregion weiter destabilisieren wird mit
unabsehbaren Folgen.
Sie sprechen Israel zuweilen implizit ab, dass eine Demokratie sei. Woran machen Sie das fest?
Es
steht zu hoffen, dass es in der Region neben Israel bald auch weitere
Staaten geben wird, die nicht diktatorisch regiert werden, sondern
demokratisch verankerte Gemeinwesen haben. Allerdings stehen alle Länder
vor großen Herausforderungen, was die Umsetzung der demokratischen
Prinzipien betrifft. Es gehört zu den Grundlagen der Demokratie, dass
gleiche Rechte für alle gelten. Dieses Prinzip nicht nur auf dem Papier
zu verankern, sondern in der Realität durchzusetzen und zu
gewährleisten, ist eine dringliche Aufgabe, nicht nur für die Staaten im
Umbruch in Nordafrika und Nahost, sondern auch für Israel.
(Die Fragen wurden schriftlich gestellt. Mitarbeit: Stefan Laurin)
Sahra
Wagenknecht wurde 1969 in Jena geboren. Die 42-jährige Politikerin ist
seit einem Jahr stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei Die Linke.
Lange galt Wagenknecht als Vorzeigefrau der Kommunistischen Plattform,
einer orthodoxen Richtung am Rand der Partei, doch ihre Mitgliedschaft
dort ruht seit Februar 2010. Wagenknecht sitzt für die
nordrhein-westfälische Linke im Deutschen Bundestag und ist
wirtschaftspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Gerade ist von ihr
erschienen: »Freiheit statt Kapitalismus« (Eichborn).