Demokratie statt Austerität
Kommentar von Sahra Wagenknecht in der jungen welt, erschienen am 01.07.2015
Am 5. Juli wird in Griechenland über das Kürzungsdiktat der Gläubiger abgestimmt. Der griechische Präsident Alexis Tsipras wirbt für ein »Nein« und wird zurücktreten, wenn eine Mehrheit anders entscheiden sollte. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wirbt für ein »Ja« und behauptet, dass ein Nein bei der Volksabstimmung ungeachtet der Fragestellung auf dem Stimmzettel ein »Nein zu Europa« bedeuten würde.
Diese Aussage von Juncker ist so ungeheuerlich wie bezeichnend. Wenn man bedenkt, dass die europäische Idee einmal auf Werten wie Demokratie, Frieden und Wohlstand für alle basierte, ist die Gleichsetzung Europas mit gnadenloser Austeritätspolitik nichts weniger als eine moralische Bankrotterklärung. Es ist eine Schande, wie in Europa mit einer Regierung umgegangen wird, die es wagt, die gescheiterte Kürzungspolitik einer Gläubiger-Troika in Frage zu stellen, die jenseits demokratischer Kontrolle agiert. Alexis Tsipras war noch nicht im Amt, da hat man ihm schon mit dem Rauswurf aus der Euro-Zone gedroht. Durch das Schüren von Unsicherheit sollte die Kapitalflucht aus Griechenland angeheizt, die Wirtschaft auf Talfahrt geschickt und damit die Verhandlungsposition der Linksregierung geschwächt werden. Dabei liegt die Entscheidung über die Mitgliedschaft in der Euro-Zone allein bei Griechenland! Sollte die Europäische Zentralbank unter Missachtung der europäischen Verträge einen Euro-Ausschluss Griechenlands erzwingen, ist es richtig, dagegen juristisch vorzugehen, wie es die griechische Regierung erwägt.
Es ist der traurige Gipfel einer widerwärtigen Erpressungspolitik, wenn Politiker wie Jean-Claude Juncker oder EU-Parlamentspräsident Martin Schulz mehr oder weniger verhohlen damit drohen, Griechenland sogar aus der EU zu werfen, falls es aus dem Euro austreten oder seinen Zahlungspflichten nicht mehr nachkommen sollte. Dabei hat die Mitgliedschaft in der Euro-Zone mit der EU-Mitgliedschaft nun wirklich nichts zu tun. Schließlich sind viele Staaten Mitglieder der EU, ohne den Euro als Währung übernommen zu haben.
Der Umgang mit Griechenland ist ein Lehrstück. Es zeigt, dass das Krisenmanagement der Euro-Gruppe und der europäischen Institutionen mit demokratischen Grundwerten immer weniger vereinbar ist. Die Technokraten der Troika fürchten die Demokratie wie ein Vampir das Licht. Alexis Tsipras verteidigt den Sozialstaat und die Demokratie, indem er das griechische Volk über das Kürzungsdiktat der Gläubiger entscheiden lässt. Hoffen wir nun, dass die Griechinnen und Griechen dem technokratischen Troika-Gemerkel und der Erpressung von weiterem Sozialkahlschlag eine klare Absage erteilen!