Sahra Wagenknecht

»Beide haben ein jämmerliches Bild abgegeben«

Interview mit Sahra Wagenknecht zum Fiskalpakt, erschienen in der jungen Welt am 26.06.2012

28.06.2012
Interview: Peter Wolter

SPD und Grüne sind beim Fiskalpakt eingeknickt. Gegenleistung der Koalition ist minimal. Gespräch mit Sahra Wagenknecht

jW: Regierungskoalition, SPD, Grüne und Bundesländer haben sich am Sonntag darauf geeinigt, gemeinsam für den Fiskalpakt zu stimmen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich die Zustimmung u.a. mit Zugeständnissen an Länder und Kommunen erkauft – vier Milliarden Euro soll das unter dem Strich ausmachen. Verglichen mit den ansonsten zur Debatte stehenden Summen ist das nicht einmal ein Taschengeld – hat Merkel ihre Partner über den Tisch gezogen?

Wagenknecht: Grüne und SPD haben sich sichtlich gern über den Tisch ziehen lassen, beide Parteien haben als vorgebliche Opposition in der Auseinandersetzung um den Fiskalpakt und den ESM-Rettungsschirm ein jämmerliches Bild abgegeben. Diese Projekte bedeuten das Ende jeder Demokratie und Sozialstaatlichkeit in Europa. Die Zustimmung dazu hätte man sich für keinen Preis abkaufen lassen dürfen und für einen Appel und ein Ei schon gar nicht.

Eines der Zugeständnisse der Koalition ist das »Ja« zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Konkrete Zusage oder Luftnummer?

Die Ausgestaltung der Steuer ist sehr vage. Die Bundesregierung hatte sich ja vorher schon dafür aufgeschlossen gezeigt. Bisheriger Stand ist eine Variante, die sich an der britischen Börsenumsatzsteuer orien­tiert. Das würde heißen, daß die problematischsten Geschäfte mit Derivaten und der Hochfrequenzhandel gar nicht betroffen wären. Die Steuer soll nach Regierungsberechnung in Deutschland maximal zwei Milliarden Euro bringen – der österreichische Ökonom Schulmeister hingegen hat Mehreinnahmen von 27 Milliarden ausgerechnet, falls ein Steuersatz von nur 0,05 Prozent angesetzt und tatsächlich alle Finanzumsätze erfaßt würden. Unter dem Strich ist die geplante Steuer also nichts als ein Placebo.

Die Linke hat mit ihrer Klage gegen den Fiskalpakt das Bundesverfassungsgericht dazu gebracht, den Bundespräsidenten aufzufordern, das Gesetz erst einmal nicht zu unterschreiben. Wären die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht ausgeräumt, wenn es im Bundestag und im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit für das Gesetz gäbe?

Auch eine solche Mehrheit ist an die unveränderliche Substanz des Grundgesetzes gebunden. Und danach ist es eindeutig nicht akzeptabel, wenn das Parlament seine Budgethoheit abgibt, wie es mit dem Fiskalpakt geschähe. Abgesehen davon ist die BRD laut Grundgesetz ein sozialer Bundesstaat. Das ist sie zwar schon heute nicht mehr, aber in der Zwangsjacke solcher Verträge wird der soziale Anspruch auf ewig zerstört.

Nur wenige können sich vorstellen, welche Auswirkungen der Fiskalpakt auf das tägliche Leben haben wird. Können Sie weiterhelfen?

Es wird noch mehr gekürzt, als es die gültige »Schuldenbremse« schon erzwingt. Erstmals sind dann auch Kommunen direkt betroffen. Noch mehr Gemeinden werden sich weder Straßenausbesserungen noch den Betrieb von Schwimmbädern leisten können. Zugleich wächst auch der Spardruck auf den Bund, weil dann nicht nur die Neuverschuldung begrenzt ist. Es kommt der Zwang hinzu, die deutsche Staatsverschuldung auf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts abzusenken – zur Zeit liegt sie bei über 80 Prozent. Das heißt, wir müßten jahrelang deutliche Haushaltsüberschüsse erwirtschaften, um diese Schulden abzubauen. Und das in einer Situation, in der die Regierung nicht im entferntesten daran denkt, per Vermögens-, Erbschafts- oder sonstigen Steuern mehr Geld einzunehmen. Der Fiskalpakt bezieht sich ausdrücklich nur auf die Ausgabenseite, unter dem Strich müßte der Staat jedes Jahr 25 Milliarden Euro sparen. Niemand kann glauben, daß das ohne drastische Auswirkungen auf Bildung, Gesundheit oder soziale Leistungen bleibt. Eine solche Politik führt in die soziale Katastrophe.

Sie haben eine Volksabstimmung über den Fiskalpakt gefordert.

Für viele Leute ist dieses Thema noch sehr abstrakt. Viele meinen auch, es gehe dabei allein um Griechenland oder Spanien, es ist vielen auch nicht bewußt, daß mit dem Rettungsschirm ESM ein weiteres Milliardenloch geschaffen wird, um europäische Banken und Spekulanten zu retten. Ich hoffe, daß es im Herbst auch in Deutschland mehr Widerstand gegen diese Politik geben wird.