Schiefe Ebene
Kommentar von Sahra Wagenknecht, erschienen im Neuen Deutschland am 28.01.2013
Deutschland erscheint als Gewinner der Eurokrise. Während die Arbeitslosigkeit in Südeuropa alle Rekorde bricht, ist sie hierzulande noch relativ niedrig. Dies gilt als Erfolg der Agenda 2010, die »unsere« Wettbewerbsfähigkeit verbessert hat. Diese Geschichte wird von den Medien gern verbreitet und scheint viele Menschen in Deutschland zu überzeugen. Das ist auch ein Grund, warum es die LINKE derzeit nicht leicht hat und warum Kanzlerin Merkel noch immer einen recht guten Ruf genießt - auch wenn die Krise inzwischen auf die deutsche Wirtschaft zurückschlägt, die Arbeitslosigkeit zunimmt und die nächsten Kürzungspakete schon angekündigt wurden.
Richtig ist, dass Europa durch das deutsche Lohndumping zerstört wird. In den letzten zehn Jahren hat Deutschland Außenhandelsüberschüsse von insgesamt knapp zwei Billionen Euro angehäuft. Mehr als die Hälfte davon entfiel auf den Handel mit anderen Euroländern, die entsprechende Kredite aufnehmen mussten, um die Importe zu finanzieren. Auch ohne die horrenden Kosten der Bankenrettung hätte dies früher oder später zu einer Schuldenkrise und zu politischen Konflikten geführt. Doch statt in Deutschland die Nachfrage zu stärken und in der EU auf Investitionsprogramme zu drängen, wird halb Europa auf Druck der Bundesregierung kaputtgespart. Das Ergebnis ist eine Rekordarbeitslosigkeit in der Eurozone und eine humanitäre Katastrophe (nicht nur) in Ländern wie Griechenland.
Richtig ist ferner, dass die Agenda 2010 in Deutschland zur Entrechtung von Arbeitslosen und zu einem Boom von Billigjobs geführt hat. Durch Hartz IV und die Legalisierung von Leiharbeit (Hartz I) wurde der Druck auf Beschäftigte, jeden noch so miesen Job zu akzeptieren, massiv erhöht. Fast jeder vierte deutsche Beschäftigte arbeitet inzwischen zu Dumpinglöhnen, bei den unter 25-jährigen ist es sogar jeder zweite. Mehr als vier Millionen Beschäftigte erhalten weniger als sieben Euro Stundenlohn brutto. Unsichere und mies bezahlte Arbeitsverhältnisse breiten sich wie ein Krebsgeschwür immer weiter aus. Parallel dazu nehmen Stress, psychische und andere Erkrankungen zu. Zwar haben sich die Profite deutscher Unternehmen durch die verschärfte Ausbeutung erhöht, was auch die »Wettbewerbsfähigkeit« verbessert haben mag. Doch den Preis dafür zahlen Lohnabhängige, Arbeitslose sowie Rentnerinnen und Rentner - in Deutschland und Europa.
Leider ist es den Herrschenden in den letzten Jahren gelungen, die Eurokrise als einen Konflikt zwischen Gläubiger- und Schuldnerstaaten zu inszenieren. Dabei handelt es sich im Kern um einen Klassenkonflikt: Die angeblichen »Rettungsschirme« kommen eben nicht der Bevölkerung in Griechenland, Portugal oder Spanien zugute. Vielmehr handelt es sich um Rettungspakete für die Banken und Besitzer großer Vermögen, für die am Ende die normale Bevölkerung bluten muss. In ganz Europa versuchen die Herrschenden, die Kosten der Krise auf die Beschäftigten, die Arbeitslosen und die Rentnerinnen und Rentner abzuwälzen. Gegen diese Politik müssen wir gemeinsame Proteste organisieren. Die LINKE ist die einzige Partei im Bundestag, die alle unsozialen Kürzungsprogramme und Bankenrettungspakete konsequent abgelehnt hat. Wir sind auch die einzige politische Lobby, die Millionen Geringverdiener, prekär Beschäftigte und Arbeitslose in diesem Land haben. In diesem Sinne: Lasst uns weiter für gute Arbeit, höhere Löhne, eine gute Rente und die Abschaffung des Hartz-IV-Zwangssystems streiten!