Sahra Wagenknecht

Umlagert wie ein Fernsehstar

Artikel über den Neujahrsempfang der Linken Main-Kinzig im Gelnhäuser Tageblatt vom 23.03.13

24.03.2013

Gestern Abend: Neujahrsempfang der Linken Main-Kinzig mit Sahra Wagenknecht

„Keine Steuergeschenke mehr an die Reichen“, sagte Sahra Wagenknecht gestern Abend in der Klosterberghalle in Langenselbold und erntete dafür stehende Ovationen von den zirka 400 Zuhörern. Die stellvertretende Parteivorsitzende der Linken schaffte genau das, was sich ihre Parteifreunde im Main-Kinzig-Kreis für ihren Jahresempfang erhofft hatten. Mit scharfen Angriffen auf alle politischen Konkurrenten und einem Plädoyer für die Armen und Schwachen der Gesellschaft stimmte sie die Linken auf den anstehenden Bundestags- und Landtagswahlkampf im Main-Kinzig-Kreis ein.

Wagenknecht war kaum aus der schwarzen Limousine mit Berliner Kennzeichen gestiegen, da verfolgte sie auch schon das erste Kamerateam. Die 43-Jährige ist eine der schillernden Persönlichkeiten der Linken und das nicht erst, seitdem sie mit Oskar Lafontaine einen noch prominenteren Lebenspartner an ihrer Seite hat. Der kam zwar nicht mit nach Langenselbold, so manche Sätze hätten aber auch seiner Feder stammen können. Und da sich die Intensität der Auftritte von Wagenknecht inzwischen herumgesprochen hat, begrüßten Andreas Müller, Vorsitzender der Linken im Main-Kinzig-Kreis, und die Bundestagsabgeordnete Sabine Leidig unter anderem die Kreisbeigeordneten Kavai (SPD) und Zach (Grüne) in der Klosterberghalle. Und wer genau hingeschaut hat, konnte sogar einige Anhänger konservativer Politik in den Stuhlreihen erkennen.

Und die hörten nicht, wie vielleicht erwartet, eine generelle Kapitalismus-Kritik, sondern eine Rede von Wagenknecht, die sich unter anderem mit der Agenda 2010 und der Bankenrettung beschäftigte. „Das mit dem Jobwunder in Deutschland ist eine blanke Lüge, wir haben höchstens ein Billiglohn-Jobwunder“, war einer dieser Sätze, den die Linken gerne hörten. Die Bundesregierung frisiere die Arbeitslosenstatistik, eine gleiche Vorgehensweise sei beim Armuts- und Reichtums-Bericht zu erkennen. Einen Unterschied zwischen CDU/FDP und SPD/Grüne machte sie da nicht. „Sie haben wenige reich und die große Menge ärmer gemacht und um ihren Wohlstand gebracht“, könne von einem Lagerwahlkampf keine Rede sein. Die Lösung liegt laut Wagenknecht auf der Hand: „Die Hemmschwelle für Sozialabbau wird umso größer sein, desto stärker die Linke ist.“ Und sollten tatsächlich genügend Stimmen zusammen kommen, will sie als erstes die Leiharbeit verbieten. „Das ist moderne Sklaverei“, werde zugleich ein Mindestlohn in Höhe von zehn Euro pro Stunde eingeführt. „Wir hätten das bis 2009 zusammen mit der SPD und Grünen im Bundestag durchsetzen können, bis dahin hatten wir noch die Mehrheit“, traut sie den inzwischen auch dort aufgekommenen Forderungen nach einer Lohnuntergrenze offenbar nicht. „Bei der Deregulierung des Arbeitsmarktes saßen SPD und Grüne mit im Boot“, erwartet die Vorzeige-Linke übrigens eine große Koalition zwischen CDU und SPD nach der Bundestagswahl.

Zurück zur Agenda 2010 und dem Thema Rente. „Es ist richtig, dass die Menschen immer älter werden, aber dabei wird verschwiegen, dass die Arbeit der Jungen immer produktiver wird“, sei eine Finanzierung der Renten daher auch ohne Verlängerung der Lebensarbeitszeit möglich. Zumal Wagenknecht die Einnahmen des Staats erhöhen will. „Wenn wir die Steuersätze der Ära Kohl noch hätten, hätten wir Mehreinnahmen von 500 Milliarden Euro und damit nur noch halb so viele Schulden“, war ihr Bekenntnis zur Vermögenssteuer dann auch keine Überraschung. Gleiches gilt für ihre dann folgende Kritik an der Bankenrettung: „Das Casino muss endlich geschlossen werden“, würden da bereits wieder die gleichen Geschäfte wie vor der Krise gemacht.

Nicht unproblematisch dann allerdings ihr Aufruf zum Schluss. „Wir brauchen in Deutschland mehr Bewegung, wir brauchen Streiks und Demonstrationen, um politische Dinge zu verhindern. Ich finde es gespenstig, wie ruhig es da draußen ist“, spiele das den aktuellen politischen Entscheidungsträgern in die Karten. Wagenknecht: „Das größte Geschenk an die neoliberalen Parteien sind die Menschen, die unzufrieden sind und nicht zur Wahl gehen“, beendete die 43-Jährige ihre Rede und setzte sich wieder auf ihren Stuhl inmitten der Zuhörer. Dort hatte sie sich sehr volksnah präsentiert, gab Autogramme und stand für Fotos zur Verfügung.