Kein bedingungsloses Bekenntnis zum Euro
Sahra Wagenknecht zur Debatte der Linken über AfD und Europa, erschienen im Neuen Deutschland am 05.05.2013
In der letzten Woche wurde mir, auch in neues deutschland,
unterstellt, ich würde mich nicht hinreichend von der Alternative für
Deutschland (AfD) abgrenzen. Zum anderen wurden Positionen, die die
Zukunft des Euros skeptisch sehen, in die Nähe der AfD gerückt. Beides
ist falsch.
Zunächst zur AfD: Es besteht kein Zweifel, dass die AfD eine
rechtskonservative Parteigründung mit knallhartem neoliberalen Profil
ist. Viele ihrer Gründer haben schon vor Jahren für Niedriglöhne und
Sozialabbau in Deutschland geworben. Statt höherer Steuern für
Millionäre will die AfD weitere Steuersenkungen für Reiche. Einer ihrer
Sprecher wirbt dafür, Arbeitslosen und Rentnern das Wahlrecht zu
entziehen. Aus all diesen Gründen ist die AfD für Menschen mit einem
Minimum an sozialem Anspruch unwählbar.
Genau das habe ich in meinem ntv-Interview, das leider sehr selektiv
zitiert wurde, gesagt. Es gibt lediglich einen Bereich, in dem die AfD
tatsächlich von der Linken abgeschrieben hat: Das ist ihre Kritik an der
Europapolitik der Kanzlerin.
Wenn Vertreter der AfD betonen, dass die vorgebliche Eurorettung in
Wahrheit eine Bankenrettung ist, wenn sie verlangen, dass private
Investoren und nicht die Steuerzahler die Verluste tragen sollen und
wenn sie einen Schuldenschnitt für die Krisenländer fordern, dann sind
das Positionen, die die Linke seit langem vertritt. Die Euro-Auflösung
wird von der AfD bisher damit begründet, dass der Euro Südeuropa schade,
weil er den Ländern die Möglichkeit nimmt, sich gegen die deutsche
Exportoffensive mit Währungsabwertung zu verteidigen. Wenn die AfD
suggeriert, dass Wechselkurse, die von den Spekulanten festgesetzt
werden, die Situation in Südeuropa verbessern würden, ist das zwar
ökonomisch abenteuerlich, rassistisch oder chauvinistisch ist es
nicht.
Die antisozialen Positionen der AfD angreifen
Es gibt für uns keinen Grund, eine neoliberale Partei wie die AfD sanft
anzufassen. Aber es gibt sehr viele Gründe, sie dort anzugreifen, wo
sie angreifbar ist, nämlich in ihren antisozialen und antidemokratischen
Positionen. Unsachliche Beschimpfungen, die eher als Beleg eigener
Verunsicherung ausgelegt werden, helfen der AfD statt ihr zu schaden.
Zur Währungsdebatte: Schon immer wurde der Euro von links kritisiert.
Alle würdigen am Euro, dass sich die Exportchancen Deutschlands erhöhen
würden. Wenn das dann so ist, dann müssen doch andere
Produktionsunternehmen in anderen Ländern darunter leiden. Anders ginge
es doch gar nicht. Das heißt, wir wollen den Export Deutschlands erhöhen
und damit die Industrie in Portugal, Spanien und anderen Ländern
schwächen. (..) Es ist ein Euro der Banken und der Exportkonzerne, so
der PDS-Gruppenvorsitzende Gregor Gysi am 23. April1998 im Bundestag. In
der anschließenden Abstimmung votierte die PDS-Gruppe geschlossen gegen
die Einführung des Euro und hielt Schilder mit dem Slogan Euro - so
nicht! in die Höhe.
Wie schlimm es wirklich werden würde, konnte damals niemand ahnen.
Deutschlands Wirtschafts- und Politikeliten nutzten die Mängel im
Euro-Regelwerk und starteten mit der Agenda 2010 ein beispielloses Lohn-
und Sozialdumping. Während die deutschen Arbeitnehmer auf Diät und
Arbeitslose auf Hartz IV gesetzt wurden, explodierten die
Exportüberschüsse. Ohne Abwertungsmöglichkeit waren die Länder der
Eurozone der deutschen Exportwalze hilflos ausgeliefert. Zunehmende
Defizite in der Leistungsbilanz gegenüber Deutschland waren die Folge.
Finanziert wurden die Defizite durch Kredite. So profitierten die Banken
ebenfalls - nicht unmaßgeblich die deutschen. Aus den Ungleichgewichten
wurde eine akute Krise, nachdem sich in Folge des weltweiten
Finanzcrashs die Kreditkonditionen für die verschuldeten Unternehmen und
Banken sowie schließlich auch die der Staaten deutlich verschlechterten
und ihnen die Zahlungsunfähigkeit drohte.
Konstruktive Bekämpfung der Krise
Selbstverständlich war und ist eine konstruktive Bekämpfung der Krise
möglich. DIE LINKE hat dazu entsprechende Vorschläge gemacht - von einer
europaweiten Vermögensabgabe bis zur Direktfinanzierung der
öffentlichen Haushalte durch die Europäische Zentralbank. Und natürlich
könnten die Ungleichgewichte auch von Deutschland aus behoben werden:
Die südeuropäischen Länder brauchen keine Abwertung, wenn Deutschland
die jahrelangen Lohnsenkungen und Sozialkürzungen durch
überproportionale Reallohnsteigerungen, höhere Renten und bessere
Sozialleistungen wieder ausgleicht. Das ist das Programm der LINKEN.
Würde es umgesetzt, müsste niemand über ein mögliches Auseinanderbrechen
der Währungsunion und Alternativszenarien nachdenken.
Die Bundesregierung führt einen anderen Kurs. Sie zwingt den
Krisenländern die Alternative auf: Austritt aus der Gemeinschaftswährung
oder Hilfskredite, die daran gebunden sind, sich der Diktatur der
Troika zu unterwerfen. Die Troika wird gebildet aus der Europäischen
Zentralbank, der Europäischen Kommission und dem Internationalen
Währungsfonds. Keine dieser Institutionen hat eine demokratische
Legitimation. Alle machen rabiate Lohn- und Sozialkürzungen sowie
Privatisierungen zur Bedingung für Kredite. Dass sich die Politik der
Bundesregierung verändern wird, wenn nach den Bundestagswahlen Merkel
mit einem Vizekanzler Steinbrück regiert, ist nicht zu erwarten.
Immerhin hat die SPD der vermeintlichen Eurorettungspolitik mit ihren
brutalen Konditionen bisher stets zugestimmt.
Immer mehr Menschen in den Krisenländern werden sich die Frage stellen,
wie lange sie sich solchen Diktaten noch aussetzen wollen.
Arbeitslosenraten von über 25 Prozent und eine Jugendarbeitslosigkeit
von 50 bis 60 Prozent zeigen, dass es so nicht weitergehen kann.
Mittlerweile 72 Prozent der Spanier begegnen der EU mit Misstrauen. Vor
fünf Jahren waren es 23 Prozent. Ein Euro unter diesen Rahmenbedingungen
ist antieuropäisch, denn er zerstört jeden Rückhalt für das europäische
Projekt.
Euro-Ausstieg? Seit längerem in fortschrittlichen Wissenschaftskreisen diskutiert
In Zypern hat sich die linke ehemalige Regierungspartei AKEL bereits
für einen Ausstieg aus dem Euro ausgesprochen. Die Fünf-Sterne-Bewegung
von Beppe Grillo in Italien plädiert dafür, über Verbleib oder Ausstieg
die Bevölkerung entscheiden zu lassen. Angesichts dieser Entwicklungen
kann sich DIE LINKE der Frage nicht verweigern, was passiert, wenn sie
ihre Krisenlösungskonzepte weiterhin nicht umsetzen kann.
In diesem Kontext ist die Debatte über einen durch
Kapitalverkehrskontrollen stabilisierten Ausstieg mehrerer Länder aus
dem Euro von Relevanz, denn eine solche Politik würde zumindest
verhindern, dass die Währungen zum Spielball der Spekulation werden. Es
ist daher nicht verwunderlich, dass ein kontrollierter Euro-Ausstieg als
quasi Notwehrmaßnahme seit längerem in fortschrittlichen
Wissenschaftskreisen diskutiert wird.
Peter Wahl und Andreas Fisahn schrieben Ende 2012 in der Zeitschrift
Sozialismus: Gegebenenfalls ist auch die vorübergehende
Flexibilisierung des Euro durch regional unterschiedliche Wechselkurse
oder die Festlegung von Kursschwankungskorridoren legitim. Wenn dies in
geordneter und abgestimmter Form geschieht, könnten die negativen
Auswirkungen begrenzt werden und die Kosten wären geringer als bei einer
chaotischen Auflösung der Eurozone.
In eine ähnliche Richtung argumentieren linke Ökonomen wie Heiner
Flassbeck oder der Direktor des Max-Planck-Instituts, Wolfgang Streeck,
der keine Perspektive eines sozialen und demokratischen Europa innerhalb
des Euro mehr sieht. Die Linke muss sich diese Sichtweise nicht zu
eigen machen, aber es steht ihr nicht gut zu Gesicht, die Sorge um die
soziale Katastrophe in Südeuropa als nationalistisch und
antieuropäisch zu denunzieren.
Bei nüchterner Betrachtung könnte sich herausstellen, dass der Slogan
Ja zum Euro um jeden Preis weiter rechts im politischen
Koordinatensystem zu verorten ist als der Slogan Euro - so nicht. Über
ein bedingungsloses Bekenntnis zum Euro freuen sich vor allem
diejenigen, die von der Währungsunion bisher am meisten profitiert haben
- die Eigentümer der Banken und Exportkonzerne.
Sahra Wagenknecht ist stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei und deren Fraktion im Bundestag.