Wie weiter?
Ein Beitrag zur Strategiedebatte der LINKEN von Sahra Wagenknecht
Programmatisch vertritt DIE LINKE viele Positionen, die von großen Teilen der Bevölkerung unterstützt werden. Und trotzdem läuft es seit geraumer Zeit nicht gut für uns. Weder haben wir vom Absturz der SPD profitiert, noch konnten wir die AfD stoppen. Im Gegenteil, in Ostdeutschland ist die AfD heute genau da besonders stark, wo einst die PDS/Linke ihre Hochburgen hatte. Die desaströsen Ergebnisse der Europawahl und der Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg waren eine Warnung: Wir können nicht so weitermachen wie in den letzten Jahren.
DIE LINKE wird von Menschen in unterschiedlichen Lebenswelten gewählt. Dazu gehören auf der einen Seite gut gebildete Akademiker und junge Menschen, meist aus Familien der oberen Mittelschicht, die in den relativ teuren Innenbezirken der Großstädte leben. Mit deutlich sinkender Tendenz dagegen wählen uns prekär Beschäftigte, Menschen, die von schlecht bezahlten Dienst-leistungsjobs, Hartz IV oder kleinen Renten leben müssen. Unser Stimmenanteil bei Industriearbeitern ist inzwischen minimal. Hier ist heute die AfD stärkste Partei.
Natürlich freuen wir uns über jede Wählerstimme. Trotzdem muss uns klar sein: Diese Verschiebungen im Wählerspektrum bedeuten, dass DIE LINKE zunehmend von Menschen gewählt wird, denen es materiell relativ gut geht und die über höhere Bildungsabschlüsse verfügen. Zwar schützt ein Hochschulstudium heutzutage nicht mehr vor Prekarität. Trotzdem bedeuten ein akademischer Abschluss, Sprachkenntnisse, Auslandssemester und nicht zuletzt ein wohlhabender Familienhintergrund beachtliche Startvorteile und weit vielfältigere Optionen auf dem Arbeitsmarkt als sie denen offenstehen, die über all das nicht verfügen. Nicht hochqualifizierte Großstädter, sondern die alte Mittelschicht, Menschen mit einfacher Berufsausbildung, die in sozialen Brennpunkten oder kleinstädtisch geprägten Regionen wohnen, wo die öffentliche Infrastruktur seit Jahren kaputtgespart wird, sind die Hauptleidtragenden von Neoliberalismus, Globalisierung und EU-Verträgen. Sie sind heute vielfach mit sozialem Abstieg konfrontiert oder müssen solchen an ihren Kindern erleben. Diese Menschen sind aus gutem Grund unzufrieden, oft auch wütend. Für sie wurde DIE LINKE einst gegründet und viele von ihnen haben uns 2009 gewählt. Heute wählen sie in ihrer Mehrheit entweder gar nicht mehr – oder rechts.
Die Gründe hierfür kann man immer wieder hören und lesen. Viele fühlen sich vom moralischen Zeigefinger der Linken bevormundet. Sie wollen sich nicht rechtfertigen müssen für das, was sie essen, wie sie leben oder wie sie sich fortbewegen. Sie wollen nicht von Studis belehrt werden, wie sie zu reden und zu denken haben. Sie werden abgestoßen von akademisierten Debatten, die fernab ihrer Lebensrealität und in einer Sprache stattfinden, in der sie nicht mitreden können. Sie fühlen sich missachtet, wenn andere gesellschaftliche Gruppen in der Hierarchie linker Empathie auffällig weit vor ihnen stehen.
Wenn wir die sogenannten »kleinen Leute« wieder erreichen wollen, dann müssen wir ihre Interessen in den Mittelpunkt stellen: die Wiederherstellung eines starken leistungsbezogenen Sozialstaats, öffentliche Investitionen in Bildung, Gesundheit und Pflege, die Verteidigung und Schaffung sicherer Normalarbeitsverhältnisse, klare Ablehnung neuer Verbrauchssteuern wie der CO2-Steuer, harte Kritik an elitären Lifestyle-Debatten, die letztlich nicht dem Klima, sondern nur der Herabwürdigung der Ärmeren und ihrer Konsumgewohnheiten dienen. Das alles verlangt einen handlungsfähigen Staat, der für die Menschen Verantwortung übernimmt, sie vor globaler Dumpingkonkurrenz schützt und die Gesellschaft sozial zusammenhält.