Sahra Wagenknecht

"Ich wünsche mir, dass unser Land wieder sozialer wird."

Sahra Wagenknecht im Interview mit dem Playboy

25.03.2020

Playboy: Sie sind neben Angela Merkel die zurzeit beliebteste Politikerin in Deutschland, werden wir Sie auch eines Tages in so einem hohen Amt sehen?

Wagenknecht: In Deutschland ist es leider nicht so, dass man individuell als Bundeskanzler kandidieren kann. Es sind die Parteien, die Kandidaten dafür vorschlagen, und zumindest meine Partei müsste sich doch ziemlich anstrengen, ehe sie den Kanzler stellen kann. Aber das Parteiensystem ist in Bewegung, schaun wir mal...

Playboy: Statt Ihrer Partei die nötige Entwicklungshilfe zu leisten, haben Sie sich gesundheitsbedingt zurückgezogen von Ihren Ämtern…

Wagenknecht:  Zurzeit bin ich ganz zufrieden mit dem, was ich mache. Nämlich erst mal wieder mich selbst ein bisschen weiterentwickeln in dem Sinne, dass ich mehr Zeit habe zum Lesen und Nachdenken.

Playboy: Sie sagten letztes Jahr in einem Interview, Sie hätten leider bei weitem nicht das erreicht, was Sie sich vor 20, 30 Jahren vorgenommen hätten. Was haben Sie sich für die nächsten 20 Jahre als Ziele gesteckt?

Wagenknecht: Ich wünsche mir, dass unser Land wieder sozialer wird, dass es wieder mehr Zusammenhalt gibt und die unglaubliche Arroganz und Kälte überwunden wird, die heute viele Debatten prägt, und zwar von allen Seiten. Wer der politischen Rechten mangelnde Toleranz vorwirft, sollte sich eingestehen, dass es auch im linken Spektrum um die Toleranz nicht gut steht. Beidseitig schaut man mit Verachtung auf den jeweiligen Gegner.  Das vergiftet das Klima. Viele Menschen wenden sich von der Demokratie ab, weil sie sich von den Parteien im Stich gelassen fühlen.

Playboy: Wo lassen linke Parteien mangelnde Toleranz erkennen?

Wagenknecht: Linke Parteien sind heute stark im großstädtischen, akademisch geprägten Milieu verankert, das verändert ihre Sicht. Am extremsten bei den Grünen, die in erster Linie urbane Besserverdiener vertreten. Ein Beispiel ist die Debatte über Windräder: Klar, die tolle Eigentumswohnung in Prenzlauer Berg kann nicht entwertet werden, weil vor der Tür ein Windrad gebaut wird. Aber wer mühsam über Jahre sein Einfamilienhaus in einer ländlichen Region abbezahlt hat, für den ist das ein ernstes Problem. Und diese Menschen dann als Klimafeinde abzukanzeln, ist arrogant. Oder nehmen Sie die Auto-Debatte: Ich selber habe erst im Alter von 45 Jahren meinen Führerschein gemacht, weil ich vorher in Berlin gewohnt habe, da brauchte ich kein Auto. Aber jetzt wohne ich auf dem Land, da ist es unerlässlich. Und die Leute dort zu belehren, sie sollten doch auf den Bus umsteigen, der vielleicht zwei Mal am Tag fährt, wenn überhaupt, ist abwegig. Auch hat nicht jeder mal eben einige Tausender unter der Matratze, um sich einen schmucken, staatlich subventionierten E-Wagen zu kaufen. Ganz abgesehen davon, dass das gar keine Zukunftstechnologie ist. Trotzdem wird die Debatte moralisch aufgeladen: es gibt dann nicht mehr unterschiedliche Sichten, sondern nur noch gute und schlechte Menschen.

Playboy: AfD-Mitgründer Alexander Gauland sagte auch mal in einem Playboy-Gespräch, er wünsche sich eine andere Debattenkultur, in der besser gestritten werden könne …

Wagenknecht: Was sich im Umfeld der AfD tut, läuft oft nach dem gleichen Muster, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Wer andere als „versifft“ oder als Taugenichtse beschimpft, sollte erstmal vor der eigenen Türe kehren. Aber man muss versuchen zu verstehen, was Leute dazu bringt, AfD zu wählen. Das sind in ihrer großen Mehrheit ja keine Nazis. Das sind oft Leute, die um ihr bisschen Wohlstand immer härter kämpfen müssen, die einfach sauer sind, weil sie immer wieder erleben, dass die regierenden Parteien sich für sie und ihre Nöte nicht interessieren. Viele glauben, wenn sie AfD wählen, können sie dem politischen Establishment mal eine richtige Ohrfeige verpassen. Ich halte diesen Schluss für falsch, aber verantwortlich für das Erstarken der AfD sind die regierenden Parteien, die mit ihrer Politik und ihrer Arroganz unser Land immer tiefer spalten.

Playboy: Was hat denn die Linke falsch gemacht, dass sie die Wähler nicht mobilisiert hat, die ins rechte Lager gewandert sind?

Wagenknecht: Es hat leider in der Linken europaweit eine Entwicklung gegeben, dass nicht mehr soziale Themen im Vordergrund stehen und viele Leute mit links eigentlich gar nicht mehr das Uranliegen verbinden, nämlich mehr sozialen Zusammenhalt und Leistungsgerechtigkeit. Stattdessen gilt plötzlich eine Forderung wie die nach einer CO2-Steuer, die vor allem die Mittelschicht belastet, als links. Oder Gender-Diskurse, die unendlich weit vom realen Leben der Menschen, auch der meisten Frauen, weg sind.

Playboy: Wie kam es dazu?

Wagenknecht: Es hat sehr viel mit den Verschiebungen in der gesellschaftlichen Basis linker Parteien zu tun. Eine Organisation, die von Studenten und Akademikern getragen wird, hat einen anderen Fokus, als eine, in der sich vor allem Arbeiter, kleine Selbständige oder Beschäftigte aus schlecht bezahlten Serviceberufen engagieren. Ich freue mich natürlich über jeden Studenten, der bei der Linken Mitglied wird, aber die Linke hat teilweise den Kontakt zur Lebensrealität einfacher Leute verloren. Damit meine ich Leute, die kein Gymnasium besucht haben, die in Kleinstädten leben. Sie fühlen sich vom moralischen Zeigefinger der Linken oft belehrt, in ihrer Lebensweise und Kultur nicht ernst genommen. Dazu gehört auch die Unart einer regelrechten Sprachpolizei, die ihnen erklärt, was sie alles nicht sagen dürfen und wie man sich ausdrücken muss. Natürlich ist unflätige Hetze nicht akzeptabel. Aber wenn einer als Rassist abgestempelt wird, weil er nicht den hochkorrekten Terminus „Geflüchtete“ benutzt und vielleicht noch zu äußern wagt, dass er sich weniger Zuwanderung nach Deutschland wünscht, ist das einfach bekloppt.

Playboy: Und er fühlt sich in seiner Meinungsfreiheit eingeschränkt?

Wagenknecht: Auch das. In der heutigen Arbeitswelt in Deutschland wird teilweise wirklich übel und demütigend mit Arbeitnehmern umgesprungen. Wenn ein Unternehmen trotz guter Gewinnlage Löhne drückt oder Beschäftigte entlässt, löst das öffentlich weit weniger  Empörung aus als wenn sich einer politisch inkorrekt ausdrückt. Das nehmen die Leute als unehrlich wahr. Und diese Art Tugendwächterei, wo inzwischen sogar alte Bücher umgeschrieben werden, weil Begriffe vorkommen, die heute auf dem Index stehen – also ich glaube, das stößt die Menschen nur ab. Viele trauen sich gar nicht mehr, in einem öffentlichen Raum ihre Meinung zu sagen, weil sie das Gefühl haben, oh Gott, da stoße ich vielleicht wieder irgendwo an, oder wer weiß, wer da wieder über mich herfällt. Das ist einer Demokratie unwürdig.   

Playboy: Als Tugendwächter spielen auch die Medien eine Rolle – wobei der Playboy ja gern als politisch unkorrekt wahrgenommen wird, weil er nackt ist. Oder wie sehen Sie uns?

Wagenknecht: Nun bin ich nicht die typische Leserin, ich gehöre ja auch nicht unbedingt zu Ihrer Zielgruppe. Aber ich erkenne durchaus den Unterschied zwischen einem guten Akt und einer pornographischen Darstellung. Ersteres finde ich völlig in Ordnung. Das andere wirkt auf mich wenig inspirierend, aber ich muss es mir ja auch nicht angucken. Diese moralinsaure Debatte, was man alles nicht darstellen darf, finde ich jedenfalls albern.

Playboy: Stichwort moralinsauer: Was stimmt mit unserer Zeitgeist-Moral nicht?

Wagenknecht: Vor allem, dass sie unehrlich ist. Ich bin ja die Letzte, die etwas gegen Moral an sich in der Politik hätte. Aber den Menschen die Renten zu kürzen und die Steuern ausgerechnet immer bei denen zu erhöhen, die hart arbeiten und nicht reich sind, ist zutiefst unmoralisch und kann durch die edelste Sprache nicht ausgeglichen werden. Oder auch in den Medien: Da gibt es ständig Gewaltdarstellungen, Mord und Blut, aber eine Frau oben ohne wird bei Facebook oder Instagram gesperrt… Was ist dabei, wenn eine volljährige Frau sich nackt zeigt? Entscheidend ist, ob sie das freiwillig tut. Und der Playboy zwingt ja meines Wissens niemanden, seine Hüllen fallen zu lassen.

Playboy: Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?

Wagenknecht: Das ist auch so ein Begriff. Natürlich ist es mir ein Anliegen, dass Frauen gleichberechtigt sind und dass sie gleich bezahlt werden. Und da ist in Deutschland viel im Argen, die Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen sind größer als in vielen anderen Ländern. Gerade Frauen haben oft Jobs im Servicebereich, von denen man nicht leben kann. Das sind alles Dinge, die mir nicht gefallen. Aber wenn ich erklärt kriege, ich müsse der Meinung sein, dass es eigentlich gar keine biologischen Unterschiede zwischen Frau und Mann gibt, sondern alles nur „sozial konstruiert“ sei, muss ich sagen: Tut mir leid, so einen Unsinn kann ich nicht vertreten. Und ehrlich gesagt, finde ich die kleinen Unterschiede auch ganz schön. Ich erwarte von einem Mann, dass er sich einer Frau gegenüber anders verhält als einem Mann gegenüber. Bis hin zu diesen Kleinigkeiten, dass der Mann einer Frau den Mantel abnimmt oder ihr dabei behilflich ist, wenn sie einen Koffer irgendwo hoch schleppen muss. Stattdessen gilt es neuerdings als fortschrittlich, sie das lieber selbst machen zu lassen. Für mich sind Männer, die sich so benehmen, eher Schnösel.

Playboy: Was sagen Sie den vielfach so titulierten „alten weißen Männern“, dem Auslaufmodell Mann da draußen im Land?

Wagenknecht: Dass das eine ganz dumme Debatte ist. Also schon der Begriff alte weiße Männer, der immer wieder auftaucht: Was soll das? Wenn ich für Gleichberechtigung bin, dann bin ich auch dagegen, jemanden herabzusetzen, weil er ein Mann ist. Und genauso, wie ich es empörend finde, wenn heute auf deutschen Straßen Menschen blöd angemacht werden, weil sie dunkle Hautfarbe haben, genauso wenig ist es doch ein Grund, sich nicht mehr äußern zu dürfen, weil man weiß ist, wie ja die meisten Leute hierzulande. Der alte Kampf gegen Rassismus und für Gleichberechtigung bedeutete ja gerade, dass solche Unterschiede irrelevant sein müssen. Und plötzlich werden von links solche Differenzen wieder in den Vordergrund gestellt. Das hat für mich mit dem Anliegen, für Gleichheit zu kämpfen, nichts zu tun. Auch diese ganze Quotendebatte… Wir haben leider eine Gesellschaft, in der es immer schwerer wird, sich mit Fleiß und Anstrengung von unten nach oben zu arbeiten. Das ist für mich die entscheidende Ungerechtigkeit. Quoten in Aufsichtsräten kann man machen, ok. Aber so zu tun, als würde das irgendeiner Krankenschwester  oder einer Reinigungskraft helfen, ist Blödsinn. Da bezieht man sich auf eine privilegierte Schicht, aber die wirkliche Chancen-Ungerechtigkeit spielt sich auf ganz anderen Ebenen ab.

Playboy: Was wäre für Sie der bessere Ansatz?

Wagenknecht: Ein Umfeld schaffen, das Frauen berufliches Vorankommen ermöglicht. Da geht es um Kitaplätze, Kinderbetreuung, Ganztagsschulen: elementare Dinge, die Frauen den Rücken frei halten, wenn sie Familie haben.

Playboy: Oder der Vater bleibt zuhause.

Wagenknecht: Das kann der Staat nicht vorschreiben, das muss jedes Paar für sich entscheiden. Und wenn die Frau die schlechter bezahlte Arbeit hat, ist leider naheliegend, dass sie zuhause bleibt oder Teilzeit arbeitet. Also muss man an dieser Stelle ansetzen: Wir müssen nicht Männer umerziehen, aber wir müssen einen Arbeitsmarkt schaffen, auf dem jeder  von seiner Arbeit gut leben kann und Berufe, in denen vor allem Frauen arbeiten,  finanziell besser stellen. Auch, weil sie es verdienen. Eine Pflegekraft leistet ganz sicher nicht weniger als ein Investmentbanker.

Playboy: Hat man es als Frau schwer in der Politik, die ja noch häufig aus Männerrunden besteht?

Wagenknecht: Ich habe in meinem Leben auch in vielen Männer-dominierten Runden gesessen und fand mich nicht benachteiligt. Natürlich gibt es arrogante Männer, die versuchen, Frauen über den Mund zu fahren. Ich habe auch in den Frühzeiten meiner politischen Laufbahn erlebt, dass ich, wenn es eine Debatte über Wirtschaft oder Wirtschaftspolitik gab, von oben herab behandelt wurde. Aber man kann sich Akzeptanz erkämpfen und überheblichen Männern Paroli bieten.

Playboy: Machen Männer und Frauen unterschiedlich Politik?

Wagenknecht: Halte ich auch für eine Illusion. Was es sicherlich in Parteien lange Zeit gegeben hat, waren feste Männerbünde zur gegenseitigen Karriereförderung. Aber da ist Angela Merkel ein gutes Beispiel, dass die besten Männerbünde - oder die schlechtesten, wie man es nimmt - eine Frau nicht aufhalten müssen.

Playboy: Stichwort Männerbünde: Sich zusammenhocken abends beim Bier, das Netzwerken, wie man heute sagt, liegt Ihnen diese Art, Politik zu machen?

Wagenknecht: Nein, das ist meine große Schwäche, gebe ich zu. Also sich Machtstrukturen aufzubauen, sich Mehrheiten zu organisieren.

Playboy: Die internen Reibereien in der Linken, auf die Sie Ihren Burnout im vergangenen Jahr zurückgeführt haben: Hatten die mehr damit zu tun, dass Sie oft Dinge gesagt haben, die nicht auf Linke-Linie waren, etwa über die Flüchtlingskrise, oder mangelte es eher an der persönlichen Biertisch-Nähe?

Wagenknecht: Na ja, es kommt beides zusammen. Wenn man wie ich in einem Punkt – und die Flüchtlingspolitik war nicht der einzige – eine Position hat, die von vielen in den eigenen Reihen anders gesehen wird, dann müsste man eigentlich besonders emsig netzwerken, um Unterstützung zu erhalten. Ich habe eher öffentlich geworben für meine Position, aber das genügt nicht. Und wenn der Rückhalt in den eigenen Reihen schwindet, kommen natürlich auch noch andere Motive ins Spiel: Neid, Rivalität... Am Ende häufen sich die Angriffe, die internen Reibereien kosten immer mehr Zeit und viel Kraft. Das hat auf jeden Fall zu meinem Burnout beigetragen.

Playboy: Was hingegen lieben Sie besonders an der politischen Arbeit?

Wagenknecht: Die Möglichkeit, Vorschläge zu machen, wie sich unsere Gesellschaft verbessern lässt, und dabei gehört zu werden. Noch schöner wäre es natürlich, solche Vorschläge auch umsetzen zu können.

Playboy: Ist es dabei hilfreich, gut auszusehen?

Wagenknecht: Ungerechterweise spielt Aussehen bei Frauen eine größere Rolle als bei Männern. Ein Mann, der äußerlich nicht begnadet, aber ansonsten fähig ist und durchsetzungsstark, hat deutlich bessere Chancen als eine Frau in der gleichen Lage. Aber natürlich macht eine Frau, die nichts hat als ein hübsches Gesicht, deswegen noch lange nicht Karriere, wie bisweilen behauptet wird.

Playboy: Würde einem George Clooney sein Aussehen in der deutschen Politik helfen?

Wagenknecht: Na ja, schon. Man muss Robert Habeck nicht mögen, aber er sieht nach Ansicht vieler gefällig aus. Das ist auch bei Männern ein Vorteil.

Playboy: Macht Macht sexy?

Wagenknecht: Ich weiß nicht, ob Frauen dadurch sexy werden. Das ist eher ein Effekt, der sich bei Männern einstellt, aber Macht allein reicht auch nicht. Wenn man sich etwa das Personal anguckt, das aktuell in der Bundesregierung sitzt, ich will da jetzt nicht persönlich werden – aber ich zumindest habe auf der Regierungsbank noch keinen Sexappeal entdeckt.

Playboy: Darf man fragen, was hat Sie an Ihrem Mann, Oskar Lafontaine, am meisten fasziniert, als Sie ihn kennenlernten. Er hat ja damals das Bündnis aus WASG und PDS zur Linken geschmiedet. Was war das für ein Moment?

Wagenknecht: Mit Macht hatte das nichts zu tun. Als ich ihn kennenlernte, hatte er ja keine mehr. Die Schwierigkeit ist: Wenn man sich in jemanden verliebt, kann man das ganz schwer begründen. Plötzlich ist da jemand, der einen fasziniert, an den man ständig denkt, zu dem man sich unglaublich hingezogen fühlt…

Playboy: Haben Sie eigentlich männliche Groupies?

Wagenknecht: Groupies ist vielleicht ein bisschen hart. Aber, ja, es gibt Männer und auch Frauen, die mir sehr begeistert schreiben, und manche auch häufig. Oder die nach Veranstaltungen unbedingt ein Selfie mit mir machen wollen. Manche schreiben mir auch wie sie meine Ohrringe oder das Kostüm fanden.

Playboy: Sowas schreiben die Ihnen?

Wagenknecht: Ja, ja, oft, oder sie fragen mich, wo ich ein Kostüm gekauft habe, weil sie es auch gerne hätten. Ich nehme an, wenn ich mal meine Frisur variieren würde, fiele nach einer Talkshow die Resonanz darauf deutlich höher aus als die auf meine Argumente. Frauen haben, glaube ich, mehr damit zu tun, dass über ihr Äußeres geschrieben und geredet wird. Dass Männer große Rückmeldungen darauf bekommen, was sie angehabt haben, kann ich mir nicht vorstellen.

Playboy: Gerhard Schröder damals auf seine Brioni-Anzüge.

Wagenknecht: Ja klar, da war es eben die Marke, die eine öffentliche Debatte ausgelöst hat.

Playboy: Edle Marken – passt das zu Politikern des linken Spektrums, die sich für die sozial Schwachen einsetzen?

Wagenknecht: Also ich trage, was mir gefällt, das ist ein bestimmter Stil, und ich finde es albern, wenn jemand meint, er sei gut angezogen, weil er eine besonders teure Marke trägt. Umgekehrt: wenn einem etwas gefällt und man es sich leisten kann, warum nicht?  Das ist so wie beim Wein. Manchmal habe ich das Gefühl, bestimmte extrem teure Weine werden für die verkauft, die keine Ahnung von Wein haben und ihre Nichtkenntnis dadurch kompensieren, dass sie Gästen was besonders Teures anbieten.  

Playboy: Was ist Ihr Lieblingswein? Haben Ihr Mann und Sie einen gemeinsamen?

Wagenknecht: Ja, die Südfranzosen – nicht die teuren Bordeaux-Weine, die sicherlich gut sind, aber wo inzwischen Märchenpreise verlangt werden. Lieber ein Château Negly oder ein Côtes-du-Rhône-Rotwein. Und bei den Weißweinen natürlich die Saarweine.

Playboy: Wer kocht besser, Ihr Mann oder Sie?

Wagenknecht: Eindeutig er. Ich habe mich verbessert, ich konnte ja früher überhaupt nicht kochen und hab es inzwischen gelernt. Aber so die anspruchsvollen Dinge, Fleisch und Fisch – da ist mir Oskar immer noch um Längen voraus.

Playboy: Das Rauchen haben Sie drangegeben?

Wagenknecht: Ich habe nie richtig geraucht. Ich mag Pfeife gern, habe das auch mal probiert. Aber das wirkt bei einer Frau irgendwie skurril. Außerdem ist es gesundheitlich bei Frauen noch problematischer. Also Frauen können das Helmut-Schmidt-Modell – qualme wie ein Schlot und werde über 90 – noch weniger nachahmen als Männer.

Playboy: Und mit dem exzessiven Trinken haben Sie schon als Teenager wieder aufgehört, richtig?

Wagenknecht: Ja, betrunken bis zur Bewusstlosigkeit, das habe ich nur als Jugendliche ein paar Mal ausprobiert. Aber die Folgen waren so, dass ich es besser nicht wiederholt habe.

Playboy: Sie trugen damals eine Punkfrisur?

Wagenknecht: Ja, das war eine Art Auflehnung, ein blonder Streifen, und ansonsten standen die Haare hoch. Ich fand das damals schick.

Playboy: Steckt in Ihnen noch ein Punk?

Wagenknecht: Also zur richtigen Punk-Kultur mit Musik und allem hatte ich keinen Zugang. Aber das Rebellische von damals habe ich mir erhalten, das macht mich, glaube ich, ein bisschen aus. Ich orientiere mich nicht daran, was um mich herum andere meinen, auch wenn es Viele sind.

Zum Interview  

Das Interview führte Philip Wolff

Fotos im Heft von Jens Oellermann