Sahra Wagenknecht

„Die Maßnahmen sind nicht alternativlos”

Gastbeitrag von Sahra Wagenknecht im Nordkurier, erschienen am 22.01.2021

22.01.2021

Seit Mitte Dezember sind kleine Geschäfte, Friseursalons, Fitnessstudios und ähnliche Dienstleistungsbetriebe geschlossen, für Kitas und Schulen gibt es lediglich einen Notbetrieb. Am Dienstag hat die Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten entschieden, diese Maßnahmen bis Mitte Februar zu verlängern und teilweise zu verschärfen. Da die Regierung weiter an dem willkürlichen Inzidenz-Wert von 50 Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner als Maßstab festhält, ist außerdem absehbar, dass der Lockdown auch Mitte Februar nicht beendet sein wird. Damit dürfte das erste Quartal 2021 für Einzelhändler, Restaurantbesitzer, Friseure und andere schon 2020 schwer gebeutelten Berufsgruppen ein komplett verlorenes Quartal werden. Vor einer Pleitewelle warnt nicht nur der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband.

Dabei wirkt eine falsche Medizin nicht dadurch besser, dass man immer wieder die Einnahme verlängert und die Dosis erhöht. Trotz der Schließung von Geschäften und Schulen schneidet Deutschland bei der Bekämpfung der Pandemie im internationalen Vergleich seit Wochen eher schlecht ab. Was sind die Ursachen für diese Entwicklung und wie kann man die Pandemie mit möglichst geringen Folgeschäden und -kosten in den Griff bekommen?

Beim Schutz der Risikogruppen versagt

Die meisten Corona-Todesopfer haben zuvor in Alten- und Pflegeheimen gelebt. Was hat die Bundesregierung unternommen, um zu verhindern, dass das Virus in die Heime getragen wird? Offenbar viel zu wenig. Etliche Menschenleben hätten durch eine schlichte Maßnahme gerettet werden können: Einen Schnelltest für jeden, der ein Heim betreten möchte. Doch solche Tests wurden vielerorts trotz entsprechender Vorgaben nicht durchgeführt, weil das völlig überlastete Pflegepersonal gar nicht in der Lage war, zusätzlich zu der sonstigen Arbeit auch noch jeden Besucher zu testen. Auch für mehr Hygiene braucht es Zeit und entsprechendes Personal, doch fast überall haben Arbeitgeber Reinigungstätigkeiten outgesourct und entsprechendes Personal abgebaut, um Kosten zu sparen.

Der Personalmangel in der Pflege, in den Krankenhäusern und im öffentlichen Gesundheitsdienst ist die Hauptursache dafür, dass so viele Menschen in Deutschland am Coronavirus sterben oder schwer erkranken. Wegen der katastrophalen Arbeitsbedingungen haben bereits über 300.000 ausgebildete Pflegekräfte ihrem Beruf den Rücken gekehrt. Mehr als die Hälfte davon wäre laut Umfragen bereit, wieder in ihrem Beruf zu arbeiten, wenn die Bezahlung und vor allem die Arbeitsbedingungen verbessert würden. Doch derartige Maßnahmen sucht man in den Beschlüssen der Regierung vergeblich. Einen flächendeckenden Tarifvertrag für Pflegekräfte gibt es noch immer nicht, viele Beschäftigte haben nicht einmal die einmalige magere Prämie bekommen. Auch pflegende Angehörige und Beschäftigte, die sich in Privathaushalten um Menschen mit Pflegebedarf kümmern, werden von der Politik vergessen. Erst jetzt kommt man in einzelnen Bundesländern auf die Idee, pflegende Angehörige mit kostenlosen FFP-2-Masken zu versorgen.

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