"Ein Häuschen im Grünen ist ein Lebenstraum vieler Menschen"
Sahra Wagenknecht im Interview mit Kevin Hagen und Jonas Schaible
Zitate aus dem Interview vom 23.02.2020, erschienen bei SPIEGEL Plus
Sahra Wagenknecht spricht mit Kevin Hagen und Jonas Schaible über die Parteien und ihre Funktion der politischen Willensbildung, Volksentscheide, ihr neues Buch und was für sie eine linke Partei ausmacht.
Sahra Wagenknecht über Parteien als Orte der Willensbildung:
„(... )Wir müssen einen Weg finden, dass Geringverdiener und die nicht großstädtische Mittelschicht wieder eine Stimme bekommen. Im Bundestag sitzen überwiegend Akademiker, und die Politik spiegelt vor allem die Interessen des wohlhabenden urbanen Milieus und der sehr Reichen.
Sahra Wagenknecht über Volksentschiede und die Planbarkeit der Politik:
„Auch die jetzige Politik ist stimmungsgetrieben. (…) Und schauen Sie sich die Umfragen zur Sozialpolitik, zu Privatisierungen, zur Außenpolitik doch mal an. Was die Mehrheit der Bevölkerung will, ist um Längen vernünftiger als das, was die Regierungen seit vielen Jahren tun.“
Sahra Wagenknecht über ihr neues Buch, das im April erscheinen wird:
„In dem Buch »Die Selbstgerechten« geht es nur am Rande um meine Partei. Es geht um das Versagen der gesellschaftlichen Linken in den meisten westlichen Ländern und Alternativen dazu. Links, das war einst das Engagement für all diejenigen, die in keiner wohlhabenden Familie aufgewachsen waren und sich mit wenig inspirierender Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Heute vertreten die sozialdemokratischen und linken Parteien vor allem die akademische Mittelschicht der Großstädte. Daraus erklärt sich das Abdriften zum Neoliberalismus, aber auch die Vorliebe für Lifestyledebatten und eine elitäre Sprache. Die Linkspartei ist nicht neoliberal, aber auch wir werden immer weniger in Plattenbausiedlungen und abgehängten Regionen gewählt, und mehr in den teuren Trendvierteln.“
Sahra Wagenknecht darüber, wie eine perfekte linke Partei für sie aussehen sollte:
„Sie sollte sich darauf konzentrieren, die Interessen derer zu vertreten, die sonst keine Lobby haben: Geringverdiener, die untere Mitte, die Arbeiterschaft. Das geht aber nur, wenn wir die Weltsicht dieser Menschen ernst nehmen, wenn wir ihre Werte und Wünsche achten, statt sie als rückschrittlich abzustempeln.
(…) Die meisten Nichtakademiker fühlen sich nicht als Weltbürger, sondern als Bürger ihres Landes, von dem sie Schutz und Sicherheit erwarten. Stabile Gemeinschaften, die Familie, Planbarkeit des Lebens sind ihnen wichtiger als individuelle Selbstverwirklichung. Man muss diese Werte nicht teilen, aber es gibt keinen Grund, den urbanen Lebensstil mit seinem zur Schau getragenen Kosmopolitismus für überlegen zu halten. Wer jeden, der Zuwanderung begrenzen will, zum Rassisten abstempelt, oder jeden, der die Corona-Politik der Regierung kritisiert, zum Covidioten, isoliert sich von diesen Schichten. Zumal der Vorwurf naheliegt, dass hier Privilegierte eine Politik verteidigen, von deren negativen Folgen sie selbst kaum betroffen sind.“
(…) Sie soll ernst nehmen, dass Menschen, die mit Zuwanderern um Arbeitsplätze und Wohnungen konkurrieren, eine andere Sicht haben. Dass es etwas anderes ist, ob der Lockdown die soziale Existenz bedroht oder der Verzicht sich darin erschöpft, dass man nicht ins Restaurant gehen kann. Linke haben oft diese belehrende Attitüde, die auch für die Grünen typisch ist. Das konnten wir gerade bei der Debatte um Einfamilienhäuser sehen.“