"Zurück zum Wir-Gefühl der alten Bundesrepublik"
Sahra Wagenknecht im Interview mit der Augsburger Allgemeinen
Sahra Wagenknechts Buch "Die Selbstgerechten" ist ein Bestseller. Aber warum greift sie noch mal an? Über ihre Sorgen, deutsche Leitkultur und Konkurrenz zur AfD.
Frau Wagenknecht, sind Sie vielleicht sogar froh, dass der Wahlkampf dieses Mal online stattfinden wird, weil sie so nicht wieder mit einer Torte beworfen werden können wie vor fünf Jahren, als die sich für eine Begrenzung der Zuwanderung ausgesprochen haben?
Sahra Wagenknecht: (lacht) Ach nein, damit muss man im schlimmsten Fall leben, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Ich würde mir sehr wünschen, endlich wieder öffentliche Veranstaltungen machen zu können, weil man da die Menschen ganz anders erreicht. Und es macht auch Freude, wenn man einen vollen Saal oder Platz vor sich hat und merkt, dass die Leute mitgehen.
Sie wollen aber streiten, oder? Ihre Abrechnung mit dem heutigen Neoliberalismus ist jedenfalls wuchtig...
Wagenknecht: Natürlich ist „Die Selbstgerechten“ auch ein polemisches Buch. Aber die Kontroverse gehört ja dazu. Wir müssen doch darüber streiten können, was die richtige Politik ist.
Sahra Wagenknecht im Interview: Ob sie regieren will? "Ja selbstverständlich"
Vor zwei Jahren, nach dem Ausstieg aus der Bewegung „Aufstehen“, dem Rücktritt von der Fraktionsspitze und einem Burn-Out, wirkte es, als würden Sie sich eher aus Politik zurückziehen. Aber jetzt das! Was treibt Sie an?
Wagenknecht: Ich mache mir wirklich Sorgen, wo unsere Gesellschaft hinsteuert. Viele Reaktionen, die ich bekomme, zeugen davon, dass sich sehr viele Menschen politisch gar nicht mehr repräsentiert fühlen: die klassische Mittelschicht, viele Arbeiter, die Geringverdiener. Das macht eine Demokratie auf Dauer kaputt. Insofern will ich noch mal versuchen, etwas zu verändern: Wir brauchen eine Regierung, die sich um mehr sozialen Ausgleich kümmert, statt eine entfesselte Marktgesellschaft anzusteuern, in der es keinen Zusammenhalt und kein Wir-Gefühl mehr gibt. Die Union steht wegen ihres schlechten Krisenmanagements, ihren Korruptionsaffären und dem Machtkampf zwischen Söder und Laschet ziemlich schlecht da – doch SPD und Linke profitieren überhaupt nicht davon. Das muss uns doch zu denken geben.
Würden Sie denn regieren wollen?
Wagenknecht: Ja selbstverständlich. Natürlich nur, wenn es auch eine bessere und sozialere Politik gibt. Regieren ist ja kein Selbstzweck.