"Ich möchte nicht, dass wir politisch bedeutungslos werden."
Sahra Wagenknecht im Interview mit der dpa
Das Interview führte Jörg Ratzsch
Frau Wagenknecht, Ihr Buch ist nun seit einem halben Monat auf dem Markt. Wie sind die Verkaufszahlen?
Die Erstauflage war einen Tag nach dem Veröffentlichungstermin weitgehend vergriffen. Es gab dann ärgerlicherweise rund eineinhalb Wochen in vielen Buchläden kein einziges Buch mehr. Aktuell sind 150 000 Bücher im Druck, die nach und nach ausgeliefert werden. Bald wird der Titel hoffentlich wieder überall erhältlich sein. Die Nachfrage ist zu meiner Freude unverändert sehr hoch. Das Buch hat eine ziemliche Debatte ausgelöst.
Welche Reaktionen haben Sie bekommen und wie viele böse Mails aus ihrer eigenen Partei, die Sie ja scharf kritisieren in dem Buch?
Ich bekomme viele freundliche Mails von Menschen, die mir schreiben, dass ich ihnen aus dem Herzen spreche. Sie nehmen es genauso wahr wie ich es beschreibe: Sie fühlen sich belehrt von vermeintlichen Linken, die relativ privilegiert sind und sich anmaßen ihnen vorzuschreiben, wie sie zu reden, zu denken und zu leben haben. Von denen, die mich nicht mögen, habe ich natürlich auch einige bissige Reaktionen erhalten. Ich freue mich über konstruktive Kritik. Nervig ist allerdings die verbreitete Unart, dass man gar nicht mehr argumentiert, sondern in der selbstsicheren Haltung 'wir sind die Tugendhaften' mit moralischem Rigorismus andere Meinungen ächtet, ohne eine inhaltliche Begründung auch nur für möglich zu halten.
Vieles, was Sie in Ihrem Buch schreiben, dürfte aber zum Beispiel ihre eigene Parteispitze als direkten Angriff und Schlag in die Magengrube verstanden haben.
Das ist kein Buch gegen die Linke und insofern auch kein Schlag in die Magengrube. Es ist ein Angriff auf ein bestimmtes Verständnis von Links-Sein, das die linken Parteien europaweit schwächt und viele in die Bedeutungslosigkeit geführt hat. Die identitätspolitische Lifestyle-Linke, die kein Verständnis für die Lebensprobleme und die Weltsicht normaler Leute hat, macht die Rechte stärker und sorgt dafür, dass viele gar nicht mehr wählen. Und zwar gerade die, deren Stimme und Interessenvertreter linke Parteien eigentlich sein müssten: Menschen, denen es nicht so gut geht, denen Bildungschancen vorenthalten wurden, die unter der Politik der vergangenen Jahrzehnte und der Globalisierung zu leiden hatten. Diese Menschen erreichen wir immer weniger. Und wenn diejenigen, die lieber über Fragen des Lebensstils oder woke Sprache diskutieren, meine Kritik daran als Angriff auf sich empfinden, dann muss ich sagen: Ja gut, die hab ich auch gemeint. Es geht in den "Selbstgerechten" um ein Grundproblem linker Parteien. Auch meine eigene Partei hatte schon bessere Zeiten und bessere Ergebnisse. Und ich möchte das wieder ändern. Wir brauchen eine starke Linke, wenn wir unser Land gerechter machen möchten. Ja, das Buch ist auch polemisch, aber was man mir nicht vorwerfen kann ist, dass ich auf der Welle mitschwimme, die Empörung und Beleidigtsein an die Stelle von Argumenten setzt. Ich begründe klar und ausführlich, was in meinen Augen schief läuft und wie man es anders machen könnte.