"Ich wünsche mir eine Regierung, die sozialen Ausgleich, Wohlstand für alle und wieder mehr Zusammenhalt in unserem Land anstrebt."
Sahra Wagenknecht im Interview mit Matthias Kohlmaier, erschienen auf gmx
Frau Wagenknecht, die erste Auflage Ihres neuen Buches "Die Selbstgerechten" war schnell vergriffen. Aus Ihrer Partei gab es viel Kritik, Zuspruch hingegen von der AfD in Sachsen-Anhalt. "Sahra hat recht. Zuwanderung begrenzen", stand dort auf einem Wahlplakat.
Sahra Wagenknecht: Dagegen wehre ich mich juristisch. Ich werde mich weder heute noch in der Zukunft von der AfD vereinnahmen lassen. Das Problem liegt ohnehin woanders.
Wo denn?
Dass allein schon der Umstand, wer Beifall klatscht, oft als Argument benutzt wird, ob eine Position richtig oder falsch ist. So überlässt man der AfD die Definition des zulässigen Meinungsspektrums. Völlig absurd. Würde die Linke im Hinblick auf die Bundestagswahl die Interessen und Bedürfnisse der einfachen Leute, der Arbeiter und Nichtakademiker wieder mehr vertreten und diese Menschen zurückgewinnen, wäre das der größte Schaden, den wir der AfD zufügen könnten. Immerhin wählen viele aus Wut AfD, weil sie sich von den anderen Parteien im Stich gelassen fühlen. Das sind frühere Wähler der Linken im Osten, frühere Wähler der SPD im Westen.
Ihr Fraktionskollege Niema Movassat nannte Ihr Buch "eine Kriegserklärung an Hunderttausende junge Menschen, die uns wählen und sich für Klimaschutz und Antirassismus einsetzen". Wie gehen Sie damit um?
Mir haben sehr viele Menschen, junge und ältere, geschrieben, dass ihnen das Buch aus dem Herzen spricht. Das sind oft Menschen mit Niedriglohnjobs und schlechten Renten, für die die Linke eigentlich da sein sollte, die sie aber immer weniger erreicht. Auch mit Blick auf unsere aktuellen Umfrageergebnisse halte ich die Debatte, die ich in meinem Buch anstoße, für sehr wichtig.
Was wollen Sie Ihren Lesern vermitteln?
Dass es nicht am "unverständigen Wähler" liegt, wenn linke Parteien weniger Zuspruch bekommen. Das betrifft ja auch die SPD und nicht nur die Linke. Ich wünsche mir eine Regierung, die sozialen Ausgleich, Wohlstand für alle und wieder mehr Zusammenhalt in unserem Land anstrebt. Dafür taugen die Grünen ebenso wenig wie die CDU/CSU, sondern dafür müssten SPD und Linke wieder sehr viel stärker werden.
Ist im Bundestagswahlkampf die AfD der zentrale Gegner Ihrer Partei und weniger die SPD, wie das früher gewesen ist?
Die SPD hat zurzeit so traurige Umfrageergebnisse, dass sie kaum noch weiter schrumpfen kann.
Also tatsächlich die AfD ...
Ich will frühere Linkswähler von der AfD zurückholen – aber ich will vor allem auch Menschen wieder überzeugen, die zuletzt gar nicht mehr gewählt haben. Gerade Ärmere bleiben bei Wahlen überwiegend zu Hause. Demokratie bedeutet für mich aber, dass alle Menschen und vor allem diejenigen, die es schwer haben, eine politische Stimme haben und ihre Interessen berücksichtigt werden.
Sie wollen eine neue linke Politik und sprechen dabei viel von Ihrer Partei und von der SPD. Sind die Grünen keine linke Partei mehr?
Die Grünen erreichen ein ganz bestimmtes Wählerspektrum und sind damit im Moment sehr erfolgreich: Das sind akademisch Gebildete mit ordentlichem Gehalt, die sich ein Leben in den Innenbezirken der Großstädte leisten können; ein eher privilegiertes Milieu. Die Interessen von Privilegierten zu vertreten, ist in meinen Augen aber nicht die primäre Aufgabe linker Parteien. Sie müssen vor allem für die vielen Menschen da sein, denen Bildungs- und Aufstiegschancen vorenthalten werden und deren Einkommen oft nur knapp zum Leben reicht. Die Grünen haben keinen Kontakt zu diesen Menschen und deren Bedürfnisse sind ihnen ziemlich egal.
Ihre eigene Parteivorsitzende, Susanne Hennig-Wellsow, wirbt trotzdem für ein Bündnis von Grünen, SPD und Linke nach der Bundestagswahl.
Auch ich wünsche mir eine Regierung, die dieses Land endlich wieder sozial zusammenführt. Wenn eine solche Regierung möglich ist, dann sollten wir uns daran beteiligen.
Würden Sie sich in dem Fall ein Ministeramt zutrauen?
Das ist für mich nicht die entscheidende Frage ...
Aber Sie müssen doch wissen, ob Sie es sich zutrauen.
Ich kenne meine Kompetenzen im Bereich Wirtschaft, Finanzen, Soziales. Aber über Ministerämter wird geredet, wenn alle anderen Fragen geklärt sind.