Sahra Wagenknecht

Öffnung von Nord Stream 2 als Signal der Entspannung in diesem Wirtschaftskrieg

Gastbeitrag von Sahra Wagenknecht und Christian Leye, erschienen in Die Welt am 29. August 2022

30.08.2022
Sahra Wagenknecht und Christian Leye

Die Sanktionen gegen Moskau ruinieren nicht die russische Wirtschaft, sondern den Wohlstand der deutschen Bevölkerung. Gleichzeitig machen die Konzerne Traumgewinne. Weichgespülte Proteste reichen dagegen nicht aus.

Als Reaktion auf den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine beschloss die Bundesregierung nicht nur massive Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet (bis dahin immerhin formal ein Tabu deutscher Außenpolitik), sondern auch einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen seinen wichtigsten Energielieferanten, darunter ein Embargo gegen russische Kohle sowie einen teilweisen Importstopp für russisches Öl. Die Energiepreise an den Börsen steigen seitdem auf immer neue Rekordhöhen. Das geschah zunächst, obwohl russisches Gas bis Anfang Mai wie gewohnt floss. Viele Konzerne machten so auf dem Rücken der Verbraucher Traumprofite. Dann begann Russland, auf die Sanktionen seinerseits mit einer Verknappung der Gas-Lieferungen zu reagieren und nannte dafür technische Gründe.

Um das ausgefallene russische Gas zu ersetzen, kauft die EU große Mengen zu jedem Preis auf den Weltmärkten und treibt so die Preise weiter nach oben. Außerdem steigt dadurch der Anteil von LNG-Importen aus den USA. Die astronomischen Profite der amerikanischen LNG-Produzenten von 200 Millionen Euro je Tankschiff zahlt der hiesige Verbraucher. Dass gefracktes Gas aufgrund des Methan-Ausstoßes eine schlechtere Klimabilanz als Kohle hat, ist ebenfalls plötzlich nicht mehr von Interesse.

Im Februar erklärte Außenministerin Baerbock: „Wir sind bereit, für die Sicherheit der Ukraine einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen“. Inzwischen ist klar, dass dieser Preis bei vielen Haushalten und Unternehmen bis zum persönlichen Ruin reicht. Laut einer Studie des Forschungsinstituts für Wärmeschutz München müssen sich Bewohner von schlecht gedämmten Einfamilienhäusern darauf einstellen, dass Gasheizung und Warmwasser in Zukunft bis zu 12.000 Euro im Jahr verschlingen. In einer Wohnung könnten es bis zu 5625 Euro sein. Wer soll das bezahlen?

Und als ob die Vervielfachung des Gaspreises durch den Sanktionskrieg nicht schon schlimm genug wäre, setzt die Ampel noch einen drauf. Im August wurde beschlossen, dass die Bevölkerung zusätzlich eine Gasumlage zu zahlen hat – auch an Konzerne, die hochprofitable Geschäfte machen. Während andere Länder die extremen Gewinne mit einer Übergewinnsteuer abschöpfen, gibt es in Deutschland also einen Übergewinnbonus, den die gebeutelten Familien und Rentner auch noch aufbringen sollen. Wie zum Hohn wird das Ganze mit Hygienetipps garniert: wer sein Gas nicht mehr zahlen kann, soll sich in Zukunft halt mit dem Waschlappen waschen. Spätestens da wird deutlich, wie weit sich Teile des politischen Personals - insbesondere der Grünen - von der Lebensrealität der Menschen entfernt haben.

Es wird Zeit, ein Fazit des Wirtschaftskriegs zu ziehen. Die Auswirkungen auf die russische Wirtschaft sind mäßig: obwohl sie durch die Sanktionen Einbußen erleidet, sind die Einnahmen aus Energieexporten aufgrund der hohen Preise auf einem Allzeithoch. Auch haben die Sanktionen keinen Einfluss auf den Krieg in der Ukraine, der nur durch Diplomatie beendet werden kann. „Frieren für den Frieden“ funktioniert offensichtlich nicht. Der Militärhistoriker Sönke Neitzel erklärte in dieser Zeitung, ihm sei „kein Fall in der Geschichte bekannt, in dem Sanktionen wirklich einen Krieg beendet hätten.“ Und wieso dürfen eigentlich die USA, die Türkei oder Saudi-Arabien seit Jahren völkerrechtswidrig bomben und töten, ohne dass das je mit Sanktionen geahndet wurde?

Da Energie in fast allen Produkten steckt, steigt auch die allgemeine Inflation. Die aktuelle Teuerung liegt bei 7,5 Prozent, für Herbst prognostiziert die Bundesbank 10 Prozent. Schon bei 8 Prozent Preisanstieg verlieren die Menschen rechnerisch ein komplettes Monatsgehalt pro Jahr.

Daher dürfen ein Ende der Sanktionen, Friedensverhandlungen und eine Öffnung von Nordstream 2 kein Tabu mehr sein. Die Antwort von Wirtschaftsminister Habeck auf die Frage nach Nordstream 2 fiel am Tag der offenen Tür kurz aus: dies würde bedeuten, Putin habe Recht. "Hat er aber nicht!", befand der Minister trotzig. Diese Form der Infantilisierung deutscher Wirtschaftspolitik ist erschreckend.

Ja, niemand weiß genau, wie die russische Seite auf eine Öffnung reagieren würde. Aber da auch die Nicht-Inbetriebnahme von Nordstream 2 eine Sanktion darstellt, wäre die Öffnung ein Signal der Entspannung in diesem Wirtschaftskrieg. Es wäre möglich, dass Russland darauf mit einer Wiederaufnahme der Gaslieferungen reagiert. Angesichts der drohenden Gaskatastrophe hätte die Bundesregierung die verdammte Pflicht, diesen Weg, der die Situation sofort entspannen würde, zumindest zu testen.

 Stattdessen versucht Berlin, jeglichen Protest gegen die Regierungspolitik von vornherein zu delegitmieren, in dem sie ihm das Label „rechts“ gibt. Davon sollten wir uns nicht einschüchtern lassen. Wenn Menschen sich gegen Verarmung wehren, ist das nicht rechts, sondern richtig. Und wir dürfen uns auch nicht auf einen „weichgespülten“ Protest beschränken: Die Ursachen für die explodierenden Energiepreise und die Enteignung der Bevölkerung müssen benannte werden dürfen, nämlich die Wirtschaftssanktionen und der Verzicht auf diplomatische Initiativen zur Beendigung des Krieges!

Sahra Wagenknecht: Öffnung von Nord Stream 2 als Signal der Entspannung - WELT