„Soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft gehören zusammen!“

Interview
, 13. November 2025

Frau Wagenknecht, vor der Gründung des BSW sagten Sie in einem Interview: „Ich möchte meine politische Laufbahn nicht mit einem Flop abschließen.“ Wie sehr treibt Sie dieser Gedanke noch an oder lähmt er Sie inzwischen?

Wir sind im ersten Jahr unserer Parteiengeschichte mit über 6 Prozent ins Europaparlament und mit zweistelligen Ergebnissen in drei Landesparlamente eingezogen. Bei der Bundestagswahl haben uns knapp 2,5 Millionen Menschen ihre Stimme gegeben, sehr wahrscheinlich liegen wir bei korrekter Zählung bei über fünf Prozent. Wenn das ein Flop ist, weiß ich nicht, wie Erfolge aussehen. Natürlich ist es schwieriger geworden, seit wir nicht mehr im Bundestag sind und teilweise brutal von den Medien geschnitten werden.

Anfang der Woche haben Sie Ihren Rücktritt vom Parteivorsitz erklärt, zugleich aber betont, dass Sie sich weiterhin in führender Position im BSW engagieren. Was heißt das konkret?

Ich habe keinen Rücktritt erklärt. Bis zum Parteitag im Dezember bin ich weiterhin Parteivorsitzende. Dann wird die Parteispitze neu gewählt und ich trete nicht erneut als Kandidatin für den Parteivorsitz an.

Warum nicht?

Für mich war immer klar, dass ich dieses Amt nur in der wichtigsten und entscheidenden Aufbauphase des BSW übernehmen werde. Als Parteivorsitzende einer so jungen Partei besteht die Arbeit zum großen Teil aus organisatorischen Aufgaben. Parteimanagement. Da bleibt kaum noch Raum für inhaltliche und strategische Positionierung. Wenn ich jetzt die neue Grundwertekommission aufbaue und leite, kann ich mich auf das konzentrieren, womit ich dem BSW wirklich nützen kann.

Das wäre?

Die inhaltliche Profilierung und die politische Linie. Als Leiterin dieser Kommission werde ich übrigens weiterhin im Präsidium und im Parteivorstand Sitz und Stimme haben.

Zwei Jahre nach der Gründung Ihrer Partei war die Bekanntgabe, dass Sie nicht erneut als Parteivorsitzende kandieren, sicher ein besonderer Moment. Dennoch wirkten Sie sehr gefasst. Wie haben Sie sich dabei gefühlt?

Meine Entscheidung ist kein Bruch mit meinem bisherigen Engagement und kein Rückzug. Wir werden die Arbeit jetzt auf mehr Schultern verteilen. Ich bin froh, dass wir so gute Leute haben, denen ich Verantwortung übergeben kann.

Ist das BSW ohne Sie als Frontfrau aber überhaupt überlebensfähig?

Ich bleibe eine der Frontfrauen, aber wir haben viele gute Köpfe und interessante Persönlichkeiten in unseren Reihen. Unser Ziel ist es, diese Vielfalt stärker sichtbar zu machen.

Die letzten Monate waren sicher deprimierend. Haben Sie in dieser Zeit jemals daran gedacht, hinzuschmeißen oder sich ganz aus der Politik zurückzuziehen?

Mir war klar, was auf mich zukommt, als ich mich entschieden habe, die neue Partei zu gründen, und dass ich damit auch eine Verantwortung gegenüber denen habe, die diesen Weg mit mir gegangen sind und ihre Hoffnung in das neue Projekt setzen. Vor der Bundestagswahl war klar: Wenn wir den Einzug schaffen, übernehme ich den Fraktionsvorsitz. Wenn wir dramatisch scheitern, wie es einige Umfragen mit nur drei Prozent prognostiziert hatten, dann hätte ich mich tatsächlich zurückgezogen. Auf das Szenario, das dann tatsächlich eingetreten ist, hatte sich allerdings niemand von uns vorbereitet.

Das haarscharfe Scheitern?

Richtig. Dass wir faktisch bei fünf Prozent liegen und ungeklärt ist, ob wir eigentlich in den Bundestag gehören oder nicht.

War das knappe Ergebnis am Ende weniger ein Rückschlag als vielmehr ein Ansporn, weiterzukämpfen?

Was mich motiviert, ist die enorme Resonanz, die wir alles in allem erreicht haben. Zur Bundestagswahl hatten wir rund tausend Mitglieder und trotzdem fast 2,5 Millionen Wähler. Für eine so junge und kleine Partei ist das ein großer Erfolg. Das darf man nicht leichtfertig aufgeben, sondern das ist schon eine Verpflichtung, weiterzumachen und die Partei weiter aufzubauen.

Würden Sie rückblickend sagen, dass die restriktive Aufnahmepraxis von Parteimitgliedern ein Fehler war?

Es gab gute Gründe, warum wir das Verfahren anfangs so gestaltet haben. Wir wollten das Schicksal anderer Parteigründungen vermeiden, die sich oft in den ersten zwei Jahren zerlegen oder einen völlig anderen Weg einschlagen als die Parteigründer wollten. Im Rückblick muss ich aber sagen: Es war leider eine Illusion zu glauben, man könne nur die Ehrlichen und Konstruktiven aufnehmen. Niemand kann Menschen in den Kopf schauen. Wir haben durch unser Vorgehen viele ehrliche und motivierte Interessenten verprellt und ausgegrenzt, das bedaure ich sehr. Inzwischen haben wir unser Aufnahmeverfahren liberalisiert, aber wir hätten den Schalter früher umlegen sollen.

War dieses restriktive Aufnahmeverfahren womöglich einer der Hauptgründe, warum das BSW am Ende den Einzug in den Bundestag verpasst hat?

Zunächst einmal ist offen, ob wir den Einzug verpasst haben. Aber dieses Ergebnis lag natürlich trotzdem deutlich unter dem, was uns noch wenige Monate zuvor in Umfragen oder bei den Ostwahlen zugetraut wurde. Wir haben Wähler verloren. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Zum einen hat unsere restriktive Aufnahmepraxis Menschen verprellt, das stimmt leider. Vor allem aber standen wir ohne strategische Vorbereitung plötzlich in zwei Koalitionen, in denen wir liefern mussten. Das war eine Herausforderung und in mancher Hinsicht eine Überforderung. Ein häufiger Vorwurf im Bundestagswahlkampf war, dass wir mit den „Altparteien ins Bett gehen“ und sich trotz unserer Regierungsbeteiligung nicht viel geändert hat. Wir müssen in den Koalitionen stärker einen Unterschied machen. Die Menschen haben uns gewählt, weil sie Veränderung wollten – und das müssen wir sichtbarer zeigen und glaubwürdiger umsetzen.

In Brandenburg sind vier Abgeordnete des BSW aus der Partei ausgetreten, mit der Begründung, das BSW entwickle „autoritäre Tendenzen“. Der Kurs der Parteiführung werde von „radikalisierten Positionen“ bestimmt und stehe im Widerspruch zu den eigenen Ansprüchen einer pluralistischen Bewegung. Wenn selbst Ihre eigenen Leute so reden, läuft da nicht etwas grundsätzlich schief?

Einige Abgeordnete haben offenbar nicht verstanden, dass das BSW seine großen Wahlerfolge hatte, weil die Menschen es mit bestimmten politischen Positionen verbunden haben. Das Eintreten für Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt, gegen Cancel Culture und Konformitätsdruck gehört zur DNA des BSW. Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen relevanten Teil der Bevölkerung nicht mehr vertritt, dass einseitig informiert und oft genug üble Meinungsmache betrieben wird, liegt seit der Corona-Zeit auf der Hand und ist heute auch bei der Frage von Krieg und Frieden offenkundig. Deshalb fordern wir eine grundlegende Reform des ÖRR und lehnen die Medienstaatsverträge ab, die unter dem Vorwand des Jugendschutzes Zensurmöglichkeiten sogar noch vergrößern. Wer das Werben für ein möglichst einheitliches Abstimmungsverhalten in dieser Frage als „autoritären Druck“ empfindet, sollte die Frage beantworten, warum er auf der Liste einer Partei, die diese Positionen vertritt, für den Landtag kandidiert hat.

Lassen Sie uns über die Programmatik des BSW sprechen: Innerhalb der Partei ist von einer „Glorifizierung des Unternehmertums“ die Rede, andere warnen vor einem Rechtsruck, wieder andere sehen eine neue Linke 2.0 entstehen. Welches politische Lager hat momentan die Oberhand, welches entspricht am ehesten Ihrer Vorstellung?

Diese Zuschreibungen sind alle nicht hilfreich, ich empfehle denen, die sich so äußern, einen Blick in unser Gründungsmanifest. Das ist die programmatische Grundlage unserer Partei, mit diesem Profil waren wir erfolgreich. Je mehr wir uns davon wegbewegen, desto weniger Chance hat das BSW, seine Erfolgsstory fortzuschreiben. Wir brauchen keine Lager. Natürlich haben wir eine große Vielfalt an Biografien: Ein Teil der Mitglieder kommt aus der Linken, andere aus der SPD und viele haben sich zuvor noch nie parteipolitisch engagiert. Aber alle sollten sich besinnen, mit welchen Positionen wir gestartet sind.

Das heißt?

Wir sind eine Partei, die nicht in die alten Schubladen passt, weil ein Großteil der Wähler sich da ebenfalls schon lange nicht mehr wiederfindet. Wir vertreten nicht das, was heute oft als „links“ gilt, also das Weltbild einer urbanen akademischen Mittelschicht, die sich teure Energie leisten kann und offene Grenzen fordert, ohne die sozialen Folgen zu spüren. Wir stehen aber ebenso wenig für eine rechte Politik im traditionellen Sinn: Militarismus, Aufrüstung, soziale Kälte. Unser Ziel ist nicht Bürgergeld für alle, sondern eine gerechte Leistungsgesellschaft, die Aufstieg durch Bildung und eigene Anstrengung wieder möglich macht. Wir wollen, dass Deutschland ein starkes Industrieland mit einem soliden Mittelstand bleibt, was ohne Zugang zu preiswerter Energie ausgeschlossen ist.

Ihr Parteikürzel soll in Zukunft für „Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft“ stehen. Das klingt mehr nach Unternehmensberatung als nach einer Partei.

Von Beginn an war klar, dass „Bündnis Sahra Wagenknecht“ nur eine Übergangslösung ist, damit die Menschen uns auf dem Wahlzettel überhaupt finden. Jetzt liegt die Entscheidung über den neuen Namen beim Parteitag. Es gibt mehrere Vorschläge. Die Begriffe Gerechtigkeit und Vernunft hatten wir schon bisher im Parteinamen, sie fassen gut zusammen, wofür das BSW steht.

In der Realität wirken soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft oft wie Gegensätze. Wo liegt für Sie der gemeinsame Nenner?

Beides gehört zusammen. Wenn man die Wirtschaft ruiniert, durch falsche Rahmenbedingungen, durch Energiepreise, die die Unternehmen aus dem Land treiben, dann zerbricht auch der Sozialstaat. Eine schrumpfende Wirtschaft kann keine stabile soziale Absicherung tragen. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die wirtschaftlichen Grundlagen stimmen: bezahlbare Energie, eine funktionierende Infrastruktur, ein gutes Bildungssystem. Nur auf dieser Basis lässt sich Wohlstand erhalten – der dann allerdings auch leistungsgerecht verteilt sein sollte.

Das Friedensthema galt von Anfang an als Markenkern des BSW, als eine Art Klammer, die Ihre Partei zusammenhält. Jüngst haben Sie in Hamburg mit Herrn von Donanyi intensiv über die Kriegsgefahr gesprochen. Wird das auch der Ton für die Landtagswahlen im kommenden Jahr sein und bleibt die Friedenspolitik der programmatische Kern Ihrer Partei?

Mit dem BSW gibt es in Deutschland wenigstens eine konsequente Friedenspartei. Die AfD befürwortet die Aufrüstung und auch die Linke hat ihr im Bundesrat zugestimmt. In einer Zeit wachsender Konfrontation und Kriegsgefahr ist das ein elementar wichtiges Thema. Zumal der wahnwitzige Militarismus ja auch die Landespolitik bestimmt: Wohnungen können nicht gebaut werden, weil man den Platz plötzlich wieder für Kasernen braucht. Während zivile Unternehmen in die Pleite rutschen und in Schulen der Putz von der Decke fällt, wird die Rüstungsbranche mit unvorstellbaren Summen gefördert.

Ist das nicht zu schmal, um daraus ein dauerhaft tragfähiges Profil zu entwickeln?

Selbstverständlich gibt es viele weitere Themen, die gerade bei Landtagswahlen im kommenden Jahr eine große Rolle spielen.

Zum Beispiel?

Die wirtschaftliche Lage bereitet vielen Menschen, insbesondere im Osten, ernsthafte Sorgen. Altersarmut ist ein wachsendes Problem. Unsere Schulen sind völlig überlastet und scheitern an der Aufgabe, jedem Kind auch nur ordentlich schreiben und rechnen beizubringen. Und die steigenden Mieten, Energie- und Lebensmittelpreise sind für viele Menschen kaum noch bezahlbar. All diese Themen sind zentral und somit nicht nur das Friedensthema. Aber es bleibt richtig, was Willy Brandt gesagt hat: Ohne Frieden ist alles nichts.

Kritiker Ihrer Partei und mittlerweile auch Sie selbst sagen, beim BSW sei kein klarer Kurs erkennbar. Haben Sie den Kompass verloren oder halten Sie ihn bewusst vage?

Wir sind mit einem klaren Profil gestartet – sonst hätten wir bei den vergangenen Wahlen keine so guten Ergebnisse erzielt. Aber wir sind eine junge Partei. Viele Funktionsträger haben noch nicht wirklich verinnerlicht, wofür BSW steht und was uns von den anderen Parteien unterscheidet. Und in den Koalitionen, in denen man immer Kompromisse machen muss, ist es noch schwieriger. Dabei sind Fehler passiert, die dann Menschen enttäuscht haben. Daran müssen wir arbeiten. Genau deshalb will ich mich künftig stärker auf die inhaltlichen und programmatischen Fragen konzentrieren. Da liegt im Moment der größte Bedarf.

Sie sagen immer wieder, dass man Umfragen nicht blind trauen sollte. Aktuell zeigen diese, dass das BSW in den ostdeutschen Ländern gute Chancen auf den Einzug in die Landtage hat. Im Westen, etwa in Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz, eher nicht. Besteht die Gefahr, dass das BSW zu einer Ostpartei wird oder sehen Sie gerade darin auch eine Chance?

Wenn wir es im nächsten Jahr schaffen, in den beiden ostdeutschen Ländern und in Berlin in die Landtage einzuziehen, dann wäre das für eine so junge Partei ein großer Erfolg. Natürlich würden wir uns auch wünschen, in Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz vertreten zu sein. Aber das wird schwer.

Wie meinen Sie das?

Schauen Sie sich andere Parteineugründungen an: noch keine andere Partei hat in so kurzer Zeit solche Ergebnisse erzielt. Es braucht einfach Zeit, bis sich eine Partei profiliert und im öffentlichen Bewusstsein verankert. Insofern kann unsere Stärke im Osten ein Sprungbrett sein. Und interessant ist: Bei der Bundestagswahl haben wir im Westen gegenüber der Europawahl Stimmen hinzugewonnen. Verloren haben wir leider im Osten. Hier müssen wir Vertrauen zurückgewinnen.

Das kommende Jahr ist ein Wahljahr und damit auch eine finanzielle Belastungsprobe. Wie gut kann das BSW die anstehenden Landtagswahlkämpfe stemmen, oder muss an manchen Stellen notgedrungen gespart werden?

Wir stehen im kommenden Jahr vor einer großen Herausforderung: fünf Landtagswahlen und zusätzlich zwei Kommunalwahlkämpfe. Natürlich müssen wir das alles finanzieren und wir gehören nicht zu den Parteien, die sich auf Großspenden von Unternehmen stützen können. Aber wir haben inzwischen viele neue Mitglieder gewonnen und nach wie vor treue Spenderinnen und Spender. Innerhalb unserer Möglichkeiten werden wir diese Wahlkämpfe stemmen.

Welche Partei ist Ihr politischer Hauptgegner?

Unser Gegner sind die alten Parteien und die AfD. Beides gehört zusammen. Die AfD wäre nie so stark geworden, wenn die Politik der vergangenen Jahre nicht so desaströs gewesen wäre. CDU, SPD, FDP und Grüne tragen die Verantwortung dafür, dass viele Menschen, deren Leben durch ihre Fehlentscheidungen schlechter und schwerer geworden ist, heute aus Wut AfD wählen.

Wenn Sie sowohl die etablierten Parteien als auch die AfD als Gegner sehen, bleibt da überhaupt noch jemand als möglicher Koalitionspartner?

Wir sind der Meinung, dass es im Osten neue Wege braucht. Wir schlagen Expertenregierungen vor, die mit wechselnden Mehrheiten arbeiten. Der Weg, immer heterogenere Allparteien-Koalitionen zu bilden, nur um die AfD von der Macht fernzuhalten, hat die AfD zur stärksten Partei gemacht. Aber auch eine AfD-geführte Regierung lehnt rund die Hälfte der Bevölkerung ab. Also braucht es einen neuen, pragmatischen Ansatz.

Offiziell schließen Sie jede Zusammenarbeit mit der AfD aus. Dennoch hat Ihr Berliner Landesvorsitzender Alexander King kürzlich an einer Veranstaltung eines alternativen Mediums teilgenommen, bei der auch AfD-Politiker anwesend waren. Wo ziehen Sie persönlich die Grenze zwischen Gespräch und Kooperation?

Aber ich kann doch nicht einer Veranstaltung fernbleiben, nur weil dort jemand von der AfD auftaucht. Ich halte es für völlig richtig, auch bei alternativen Medien aufzutreten, wenn sie seriös sind. Ich würde ja auch in eine Talkshow gehen, wenn dort ein AfD-Politiker sitzt. Wir sollten mit dieser Hysterie Schluss machen. Man muss sich mit der AfD politisch auseinandersetzen. Aber das sollte sachlich geschehen, nicht mit dieser hysterischen Brandmauer-Rhetorik, die völlig unglaubwürdig ist. Wir stehen nicht kurz vor der Machtergreifung der Nazis, wenn die AfD einen Ausschussvorsitz übernimmt. Die Brandmauer ist undemokratisch und eine Ohrfeige für Millionen Wähler.

Aber ziehen Sie damit nicht selbst eine Brandmauer, indem Sie eine Zusammenarbeit ausschließen? Fabio De Masi spricht zwar nicht von einer Brandmauer, hat aber wiederholt betont, dass die AfD für das BSW politisch unvereinbar ist.

Er hat gesagt, dass die AfD in vielen inhaltlichen Positionen unser politischer Gegner ist. Das stimmt. Sie ist für Aufrüstung, will noch mehr Privatisierung, lehnt jegliche Vermögens- und Erbschaftssteuern ab. Sie hat auch Leute mit rechtsextremen Positionen in ihren Reihen. Aber die AfD ist nicht die NSDAP, sondern eine Partei, mit der wir uns politisch auseinandersetzen müssen.

Ihre Jugendvorsitzende Anastasia Wirsing hat dem zeitweise verbotenen Magazin Compact ein Interview gegeben. Wie bewerten Sie das?

Ich würde Compact kein Interview geben. Aber in allen Parteien machen Vertreter der Jugendverbände manchmal Dinge, die andere vielleicht nicht machen würden. Es gibt wichtigere Probleme.

Das BSW drängt auf eine Neuauszählung der Bundestagswahl. Sollte sie stattfinden, könnte das den Einzug Ihrer Partei und womöglich das Ende der Regierung Merz bedeuten. Wie realistisch ist dieses Szenario aus Ihrer Sicht?

Wenn man an den Rechtsstaat glaubt, ist es zwingend. Dann muss spätestens das Bundesverfassungsgericht, auch im Sinne seiner eigenen Urteile, eine Neuauszählung ermöglichen. Wir sind historisch knapp gescheitert. Es gibt Hinweise auf systematische Zählfehler. Bei den korrigierten Stimmen haben wir mehr hinzugewonnen als alle anderen Parteien zusammen – ein völlig untypisches Muster. Ich hoffe sehr, dass das Bundesverfassungsgericht unabhängig entscheidet. Und sollte es eine Neuauszählung geben, halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass wir noch in den Bundestag einziehen.

Kritiker sagen, Ihr Einsatz für die Neuauszählung diene vor allem dazu, den Eindruck des Scheiterns abzuwehren und die Verantwortung von sich und der Partei fernzuhalten. Wie sehr trifft Sie dieser Vorwurf?

Nur durch eine Neuauszählung ist doch zu klären, ob wir überhaupt gescheitert sind. Es wird behauptet, wir würden raunen oder Gerüchte streuen. Dabei liegt es in der Hand des Bundestages, all das zu beenden: dann sollen sie doch endlich den Weg für eine Neuauszählung frei machen. Wir fordern nicht mehr, als dass man genau hinschaut und die Fehler korrigiert. Wenn es dann trotzdem nicht reicht, okay. Aber viel spricht dafür, dass wir über fünf Prozent liegen. Es geht dabei nicht nur um uns, sondern um knapp 2,5 Millionen Menschen, denen sehr wahrscheinlich zu Unrecht die parlamentarische Repräsentanz vorenthalten wird.

 

Das Interview erschien zuerst in der Berliner Zeitung am 12. November 2025.

Auch interessant

10 Nov.

„AfD-Hysterie ist völlig absurd!“

Interview Sahra Wagenknecht im Gespräch mit WELT TV
Über die personelle Neuaufstellung des BSW und den hysterischen Umgang mit der AfD.

28 Okt.

Privilegierte belehren Betroffene?

Interview Sahra Wagenknecht im Gespräch mit WELT TV
Über die verrückte Stadtbild-Debatte, notwendige Maßnahmen zur Begrenzung der Migration und die unsozialen Bürgergeld-Reformen von Friedrich Merz.

18 Sep.

Wie souverän ist Deutschland wirklich?

Interview Sahra Wagenknecht im Gespräch mit Gabriele Krone-Schmalz
Wie souverän sind Deutschland und Europa wirklich? Warum torpedieren Bundesregierung und EU einen Waffenstillstand in der Ukraine? Wie könnte eine Lösung des Nahostkonflikts aussehen?

12 Sep.

Nein zu Cancel Culture und Kriegstreiberei!

Interview Sahra Wagenknecht im Gespräch mit Philip Hopf
Über den besorgniserregenden Zustand von Demokratie und Meinungsfreiheit in Deutschland, den Umgang der Mainstream-Medien mit unserer Friedenskundgebung am 13.9. in Berlin und die Blockade des BSW-Wahleinspruchs durch die alten Parteien.

  • 10 Nov. „AfD-Hysterie ist völlig absurd!“

    Interview Sahra Wagenknecht im Gespräch mit WELT TV
    Über die personelle Neuaufstellung des BSW und den hysterischen Umgang mit der AfD.

  • 28 Okt. Privilegierte belehren Betroffene?

    Interview Sahra Wagenknecht im Gespräch mit WELT TV
    Über die verrückte Stadtbild-Debatte, notwendige Maßnahmen zur Begrenzung der Migration und die unsozialen Bürgergeld-Reformen von Friedrich Merz.

  • 18 Sep. Wie souverän ist Deutschland wirklich?

    Interview Sahra Wagenknecht im Gespräch mit Gabriele Krone-Schmalz
    Wie souverän sind Deutschland und Europa wirklich? Warum torpedieren Bundesregierung und EU einen Waffenstillstand in der Ukraine? Wie könnte eine Lösung des Nahostkonflikts aussehen?

  • 12 Sep. Nein zu Cancel Culture und Kriegstreiberei!

    Interview Sahra Wagenknecht im Gespräch mit Philip Hopf
    Über den besorgniserregenden Zustand von Demokratie und Meinungsfreiheit in Deutschland, den Umgang der Mainstream-Medien mit unserer Friedenskundgebung am 13.9. in Berlin und die Blockade des BSW-Wahleinspruchs durch die alten Parteien.