„Das ist die größte Gefahr für die Demokratie!“

Interview
, 20. November 2025

Wie ist die Lage in Brandenburg zu beruhigen?

Die Austritte der vier Landtagsabgeordneten in Brandenburg sind bedauerlich, aber deshalb zerlegt sich das BSW noch lange nicht. Wir führen Gespräche und ich hoffe, dass sich der Konflikt lösen lässt. Er hat nur zum Teil mit der Abstimmung zu den Medienstaatsverträgen zu tun. Die Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk, an dessen Einseitigkeit und der Verengung des Meinungskorridors, teilen wir mit vielen unserer Wähler. Diese Kritik hat das BSW immer vertreten. Wir hatten der SPD signalisiert, dass wir dagegen stimmen werden. Das ist kein Bruch der Koalition, denn es gibt im Koalitionsvertrag keine Festlegung dazu, das sieht die SPD auch so. Ich finde richtig, dass jetzt vor Ort das Gespräch und eine Lösung gesucht wird und man nicht gleich Leute aus der Fraktion ausschließt.

Wie wird Ihre neue Rolle in der Partei praktisch aussehen? Wann schalten Sie sich noch in Präsidium und Vorstand ein?

Wenn wichtige Dinge besprochen werden. Ich werde strategischer, langfristiger arbeiten. Bei den Medienstaatsverträgen etwa hätten wir frühzeitiger unsere Bedenken anmelden müssen. Das hatte aber keiner wirklich auf dem Schirm, weil wir eben eine so junge Partei sind und noch nicht diesen Referenten-Apparat haben, der in etablierten Parteien solche Aufgaben erledigt. Normalerweise hätte ein Referent dazu etwas aufgeschrieben und das Robert Crumbach (dem Vize-Ministerpräsidenten des BSW, Anm. der Red.) mit ins Kabinett gegeben. Ich habe seit mehr als einem Jahr nicht mehr den Kopf frei gehabt, um über strategische Fragen nachzudenken, weil ich full time mit Parteimanagement zu tun hatte. Aber das ist ja zentral: Welche Themen setzen wir, auch in den Koalitionen, wie stimmen wir ab?

Im Eiscafé Jobst empfängt Wagenknecht gern Journalisten, die sie in Merzig besuchen. Namensgeber Randolf Jobst war kurzzeitig BSW-Vorsitzender im Saarland, dann warf er hin. Das Café hatte er schon vorher verkauft. Die neuen Besitzer begrüßen Wagenknecht freundlich. Sie bestellt einen Cappuccino mit Karamellsirup, auf Kuchen verzichtet sie.

Seit 13 Jahren wohnt Wagenknecht mit ihrem zweiten Ehemann Oskar Lafontaine in Hanglage im Dörfchen Silwingen. Ihre Berliner Wohnung, in der sie seit dem Ende der DDR lebte, hat sie kürzlich aufgegeben.

Ich habe den Mietvertrag direkt nach der Bundestagswahl gekündigt. Da wussten wir noch nicht, dass es so viele Zählfehler gab und wir sehr wahrscheinlich bei einer korrekten Neuauszählung in den Bundestag einziehen würden. Am Tag nach der Wahl dachte ich, dass ich auf absehbare Zeit keinen Grund mehr haben würde, in Berlin zu sein. Jetzt kämpfen wir um eine Neuauszählung. Wenn wir damit Erfolg haben, werde ich meine Wohnung vermissen.

Ist das Saarland Ihnen Heimat geworden?

Ich fühle mich hier sehr wohl. Es hat tatsächlich Ähnlichkeiten mit Thüringen, wo ich meine Kindheit verbracht habe, vor allem die Landschaft. Ich habe eigentlich nie gern in einer Großstadt gelebt. Ich bin bei meinen Großeltern auf dem Dorf aufgewachsen, später kam ich zu meiner Mutter nach Berlin. Aber eigentlich habe ich mich immer danach gesehnt, wieder auf dem Land zu leben. Man hat viel mehr Ruhe, erlebt die Jahreszeiten ganz anders. Man kann direkt aufs Fahrrad steigen und ist in der Natur. Das ist einfach schön.

Sie wollten auch mehr Zeit für Lektüre haben. Was lesen Sie gerade?

Ich habe riesige Stapel ungelesener Bücher zu Hause. Noch ist an Bücherlesen nicht zu denken, ich bin voll damit beschäftigt, den Parteitag vorzubereiten und als Vorsitzende parteiinterne Probleme zu managen.

Was liegt ganz oben?

Einige Bücher zu den modernen digitalen Technologien und den mit ihnen verbundenen Gefahren. Es geht um das Sammeln detaillierter Verhaltensdaten von Millionen Menschen und die daraus erwachsende Macht zu Überwachung, Steuerung und Manipulation, die mit demokratischen Verhältnissen letztlich unvereinbar ist. Das ist ein Thema, das mich sehr beschäftigt. Dann habe ich mehrere Bücher zu den weltwirtschaftlichen Verschiebungen, zum wirtschaftlichen Aufschwung der BRICS-Staaten und dem Abstieg des Westens. Warum funktioniert die Marktwirtschaft bei uns nicht mehr wirklich gut? Wie können wir wieder zu einer echten Leistungs- und Aufstiegsgesellschaft werden, was hemmt uns, wie bestehen wir in einer Welt, in der staatskapitalistische Systeme ohne Demokratie uns ökonomisch abzuhängen drohen? Wie sieht ein neues Erfolgsmodell für Deutschland aus? Ganz sicher nicht wie die Politik der Merz-Regierung. Machen wir weiter wie in den letzten Jahren, werden wir ziemlich sicher in zehn Jahren nicht mehr zu den führenden Industrieländern der Welt gehören und die Menschen in Deutschland werden deutlich ärmer sein.

Lesen Sie auch Belletristik?

Leidenschaftlich gern, aber in letzter Zeit ist auch das auf der Strecke geblieben. Ich bedauere sehr, dass ich es noch nicht geschafft haben, Christian Barons „Drei Schwestern“ zu lesen, er schreibt wunderbare und sehr eindrucksvolle Bücher, absolut authentisch, weil er diese Schicksale kennt. Das Buch kommt als erstes, sobald ich ein bisschen Zeit habe.

Christian Baron stammt aus Kaiserslautern und ist nach eigener Aussage „gut bekannt“ mit Wagenknecht und Oskar Lafontaine. Eine seiner zentralen Thesen ist, dass die Linke die nicht-akademischen Milieus verraten hat und die AfD so zur neuen Partei der Arbeiter werden konnte. Sein Einfluss auf Wagenknecht ist unverkennbar. Doch während Baron als Sozialist argumentiert, will Wagenknecht ihr BSW weiter jenseits von links und rechts positionieren – weil sie glaubt, so AfD-Wähler abwerben zu können.

Viele unserer Wähler wohnen eher in Kleinstädten und auf dem Land, haben auch nicht unbedingt akademische Abschlüsse. Viele schwanken zwischen der AfD und uns und nicht wenige, die uns 2024 gewählt haben, sehen uns derzeit skeptisch. Mit dem Label „links“, das jenseits des akademischen Milieus für viele Menschen heute ein Feindbild ist, weil sie damit politische Positionen verbinden – offene Grenzen für alle, unrealistische Klimaziele, Sprachpolizei und Cancel Culture – die sie verständlicherweise ablehnen, holen wir sie ganz sicher nicht zurück. Mit einem klaren Profil und vernünftiger Politik, zu der auch der Einsatz für Gerechtigkeit und soziale Sicherheit gehört, vielleicht schon.

Wagenknecht wirkt hier kein bisschen erschöpft vom BSW. Dass Fabio de Masi sich relativ schnell überzeugen ließ, sie an der Spitze zu ersetzen, hat sie erleichtert. Schärfer denn je fordert Wagenknecht ein Ende der Ausgrenzung der AfD – ein riskantes Manöver, um deren Wähler zurückzuholen.

Wie geht das BSW in die Landtagswahlen 2026?

Wir werben für unsere Positionen und sind besser vorbereitet als wir es 2024 sein konnten. Für Koalitionen, deren einziger gemeinsamer Nenner ist, die AfD von der Macht fernzuhalten, stehen wir nicht mehr zur Verfügung. Wir werben für einen neuen Weg. Sowohl eine Anti-AfD-Koalition als auch eine AfD-geführte Koalition trifft auf die Ablehnung von jeweils rund der Hälfte aller Wähler. Ein Ausweg wäre eine Expertenregierung, in der nicht Parteienvertreter, sondern unabhängige Persönlichkeiten die Ministerämter übernehmen und die mit wechselnden Mehrheiten regiert. Wir sagen zu, in einer solchen Konstellation grundsätzlich in der Sache abzustimmen. Die Brandmauer ist gescheitert, sie und die schlechte Politik der alten Parteien haben die AfD zur stärksten politischen Kraft in Deutschland gemacht. Diesen Weg müssen wir endlich verlassen.

Was bedeutet das?

Wenn es zu einer Neuauszählung und darüber zu einem Einzug des BSW in den Bundestag kommt, dann ist die schwarz-rote Koalition Geschichte. Ich denke nicht, dass die CDU/CSU dann die Grünen in die Regierung holt, vermutlich wird sie eher versuchen, sich von der AfD tolerieren zu lassen. Aber das muss die Union entscheiden.

Die AfD will ein völlig anderes Land, sie will Minderheitenrechte abschaffen. Und Sie plädieren dafür, diese Partei nicht mehr auszugrenzen.

Nicht ich, immer mehr Wähler plädieren dafür, indem sie der AfD ihre Stimme geben. Es ist ein seltsames Verständnis von Demokratie, das dauerhaft zu ignorieren. Und wo führt das hin? Irgendwann gibt es das erste Landesparlament, in dem die AfD über die Mehrheit der Sitze verfügt. Dann können die Brandmauer-Parteien alle zusammen ihren moralischen Heldenmut in der Opposition feiern. Ja, es gibt in der AfD Extremisten und gefährliche Typen. Einige Mitglieder der heutigen Bundestagsfraktion wollte die AfD-Spitze vor kurzem noch aus der Partei werfen, weil sie sie selbst für Rechtsradikale hält. Aber die Radikalisierung der Partei ist doch auch eine Folge der Ausgrenzung. Einbindung zähmt, Ausgrenzung radikalisiert, das ist doch nichts Neues.

Das Interview erschien zuerst am 19. November 2025 im Redaktionsnetzwerk Deutschland.

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