Bananenrepublik Deutschland?

Artikel
, 6. Dezember 2025

Wähler haben einen Anspruch auf korrekte Wahlergebnisse. Der Wahlprüfungsausschuss hat sich indessen für Merz und gegen die Demokratie entschieden. Dass dieses Gremium keine Neuauszählung will, stand vermutlich von Beginn an fest. Offenbar teilt es unsere Einschätzung, dass das BSW bei korrekter Auszählung sehr wahrscheinlich in den Bundestag einziehen würde. Das würde nicht nur Mandate kosten, vor allem würde die Mehrheit der schwarz-roten Koalition sich in Luft auflösen und Merz’ Kanzlerschaft wäre Geschichte. Mehr Befangenheit geht nicht!

Deutschland hat leider die Wahlprüfung einer Bananenrepublik, die in erster Instanz die Abgeordneten zu Richtern in eigener Sache macht. Die Regel, dass Parteien mehr als fünf Prozent erreichen müssen, um in den Bundestag einzuziehen, war eine Lehre aus der Weimarer Republik. Eine Fünf-Prozent-Hürde heißt aber auch, dass ausgeschlossen werden muss, dass einer Partei aufgrund von Zählfehlern der Einzug in den Bundestag verwehrt bleibt, die tatsächlich von mehr als fünf Prozent der Wähler gewählt wurde. Für das BSW kann das niemand ausschließen.

Noch nie ist eine Partei so knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert wie das BSW. Nach dem amtlichen Endergebnis fehlten uns rund 9500 Stimmen oder 0,019 Prozent zur Überwindung dieser Hürde. Dass beim Auszählen von Wahlen Fehler geschehen, ist durch Nachzählungen bei anderen Wahlen vielfach dokumentiert.

Zuletzt wurde bei den Kommunalwahlen in NRW an einigen Orten neu ausgezählt, obwohl die Ergebnisse weniger knapp waren als in unserem Fall. Die sich dabei offenbarende Fehlermarge war mehr als zehnmal so groß wie der Stimmenanteil, der dem BSW zu einem Einzug in den Bundestag fehlt. Allein das begründet die reale Möglichkeit, dass den 2,5 Millionen BSW-Wählern seit Monaten zu Unrecht eine parlamentarische Vertretung verwehrt wird.

Aber es ist nicht nur möglich, es ist auch wahrscheinlich. Denn das BSW-Ergebnis war nicht nur historisch knapp, es gibt darüber hinaus klare Belege für systematische Zählfehler, wie die ungewöhnlich vielen Stimmkorrekturen zugunsten des BSW nach dem vorläufigen Endergebnis gezeigt haben. Normalerweise profitieren Parteien von solchen Überprüfungen proportional zu ihrem Stimmenanteil. Dass eine Fünf-Prozent-Partei durch Korrekturen mehr Stimmen hinzugewinnt als alle anderen Parteien zusammen, gab es indes noch nie.

Systematische Fehlerquellen und Verwechslungen

4200 zusätzliche Stimmen für das BSW wurden durch punktuelle Überprüfungen in weniger als zehn Prozent aller Wahllokale „gefunden“ – Stimmen, die vorher anderen Parteien zugeordnet oder zu Unrecht als ungültig gewertet worden waren. Systematische Fehlerquellen waren Verwechslungen mit dem namensähnlichen „Bündnis Deutschland“, das auf den meisten Wahlzetteln direkt über dem BSW stand.

Außerdem befand sich das BSW auf vielen Wahlzetteln ganz unten hinter dem letzten Knick und hatte zumeist keinen eigenen Wahlkreiskandidaten. Dass die Zweitstimme hinter dem Knick schlicht übersehen wurde, wenn die Erststimme zugunsten einer Partei im oberen Teil des Wahlzettels abgegeben wurde, ist keine nur theoretische Annahme.

Die Politikwissenschaftler Jesse und Wagschal, die eine Neuauszählung für geboten halten, verweisen in der FAZ darauf, dass die Kleinstpartei Bündnis Deutschland in 145 Wahlbezirken mehr Stimmen haben soll als das 32-mal stärkere BSW. Hinzu kommen zahllose Wahlbezirke, in denen beide Parteien nahezu gleichauf liegen oder das BSW nur geringfügig besser abschneidet.

Aufklärungsbedürftig ist auch die extreme Häufung ungültiger Stimmen. 279.141 Zweitstimmen sind für ungültig erklärt worden – ein Anteil von 0,6 Prozent. In einer Reihe von Wahllokalen liegt dieser Anteil aber um ein Mehrfaches höher. Es gab Wähler, die sich zunächst verwählt und das direkt über dem BSW stehende Bündnis Deutschland angekreuzt haben, um dies dann zugunsten des BSW zu korrigieren.

Jetzt gehen wir nach Karlsruhe!

Korrekturen sind auf einem Stimmzettel zulässig. Die Häufung von ungültigen Stimmen könnte sich auch dadurch erklären, dass das vielerorts anders gehandhabt wurde. Nach Auskunft von Wahlhelfern sollen teilweise Wahlzettel, auf denen nur die Zweitstimme abgegeben wurde, als ungültig gewertet worden sein.

Laut einer Studie hat fast jeder fünfte Deutsche kein Vertrauen mehr in die Korrektheit von Wahlergebnissen. Die Blockade des Wahlprüfungsausschusses ist ein Affront gegen den Wählerwillen und Gift für die Demokratie. Sie vertieft die Vertrauenskrise des politischen Systems. Dass die Linke in zwei Tagen zweimal Merz zur Seite springt, ist eine besondere Fußnote. Jetzt gehen wir nach Karlsruhe!

Ich hoffe auf den Rechtsstaat und darauf, dass das Bundesverfassungsgericht im Namen der Demokratie eine Neuauszählung anordnet. Gemessen an seiner eigenen Rechtsprechung müsste es das tun. Niemand sollte ein Interesse daran haben, dass ungeklärt bleibt, wie das korrekte Wahlergebnis im Februar 2025 tatsächlich war und ob der Bundestag verfassungsgemäß zusammengesetzt ist.

 

Der Artikel erschein zuerst in der Berliner Zeitung am 6. Dezember 2025.

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