„Das empfinden die Bürger zu Recht als unfair“

Interview
, 24. August 2025

Frau Wagenknecht, das Rentenniveau bleibt bei 48 Prozent. Arbeitsministerin Bärbel Bas sieht darin eine „klare Botschaft an alle Generationen: Die Rente bleibt stabil und gerecht“. Ist das auch Ihre Botschaft?

Stabil und gerecht ist die Rente schon lange nicht mehr. Die Altersarmut wächst. Dass einige da über weitere Kürzungen oder eine Erhöhung des Renteneintrittsalters reden, ist schäbig. Deutschland hat ein Rentenniveau, das deutlich unter dem EU-Schnitt liegt. Es braucht eine große Rentenreform nach österreichischem Vorbild: ein Rentensystem, in das alle einzahlen – auch Politiker, Selbstständige und Beamte. In Österreich ist die Durchschnittsrente eines langjährig Versicherten 800 Euro höher.

Bas und andere Teile der SPD haben ja durchaus Sympathien dafür geäußert …

… ja, und es nicht mehr wiederholt, als es Gegenwind gab. Statt wochenlang für eine Verfassungsrichterin sollte die SPD lieber für bessere Renten kämpfen. Ich sehe aber den Willen nicht. Die Politiker betrifft es ja nicht, man hat nach zwei Wahlperioden im Bundestag mehr Rente als viele, die 40 Jahre arbeiten.

Forderungen nach einer sicheren Rente sorgen natürlich für viel Applaus. Doch selbst wenn Beamte einzahlen, gibt es ja ein finanzielles Defizit. Wie wollen Sie das finanzieren? Steuererhöhungen?

Solange der Staat Milliarden verschleudert, muss man über Steuererhöhungen nicht reden. Wir haben in der Corona-Zeit oder als Folge der Wirtschaftssanktionen Unsummen verbrannt und verbrennen jetzt viel Geld für überteuerte Rüstungsgüter. Klar, extrem hohe Vermögen in Deutschland sollten stärker besteuert werden. Von einer Anhebung des Spitzensteuersatzes dagegen wären aktuell auch mittlere Einkommen betroffen. Aber wer 300.000 bis 400.000 Euro im Jahr verdient, kann ruhig mehr für Allgemeinheit abgeben.

Lassen Sie uns über die Krankenversicherung sprechen. Sind Sie eigentlich privat oder gesetzlich krankenversichert?

Ich fordere ein Ende der Zweiklassenmedizin, also eine Bürgerversicherung, in die jeder einzahlt. Das derzeitige System ist zutiefst ungerecht. Ich selbst bin als geringverdienende Selbständige direkt nach dem Studium aus der gesetzlichen Krankenkasse ausgeschieden, weil bei Selbständigen – anders als bei abhängig Beschäftigten – ein fiktives Mindesteinkommen angesetzt wird. Die entsprechenden Beiträge konnte ich mir schlicht nicht leisten. Und wer einmal raus ist, kann nicht mehr zurück.

Der Bundesrechnungshof warnte jetzt vor zusätzlichen Beitragssteigerungen in der gesetzlichen Krankenkasse. Eine Bürgerversicherung würde das ändern, wäre billiger für die Menschen?

Ja, die Beiträge wären niedriger, schon weil bei einer Bürgerversicherung alle die gemeinsamen Ausgaben finanzieren. Aktuell zahlen die gesetzlich Versicherten allein knapp 10 Milliarden Euro für die Bürgergeldempfänger.

Stichwort Bürgergeld. Im BSW-Wahlprogramm hieß es, das Bürgergeld solle durch eine „faire Grundsicherung“ ersetzt werden. Schwarz-Rot plant eine „neue Grundsicherung“. Finden Sie das gut?

Nein, denn es sieht ganz nach pauschalen Kürzungen aus. Der Fehler des Bürgergelds ist, dass Menschen in völlig unterschiedlichen Lebenssituationen das Gleiche bekommen. Wenn jemand, der jahrelang gearbeitet und eingezahlt hat, mit Mitte fünfzig ins Bürgergeld fällt, ist das oft ein brutaler sozialer Absturz. Für ihn sind die Leistungen zu niedrig. Das Gleiche gilt für Alleinerziehende, die arbeiten möchten, es aber aus Mangel an Ganztagskitas nicht können. Gleichzeitig haben Menschen, die nach Deutschland kommen, selbst wenn ihr Asylantrag noch gar nicht positiv beschieden ist, nach kurzer Zeit Anspruch auf Bürgergeld. Das macht kein anderes Land.

Sie gehen also mit Markus Söder, der Flüchtlingen das Bürgergeld streichen will?

„Streichen“ klingt, als sollen sie nichts bekommen. Anerkannte Flüchtlinge brauchen Unterstützung. Dafür gibt es die Asylbewerberleistungen. Es sollte allerdings stärker darauf geachtet werden, die Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Wer eingezahlt hat, hat dann auch Anspruch auf Bürgergeld. Aber wer nie eingezahlt hat, kann nicht genauso behandelt werden wie Menschen, die Jahrzehnte gearbeitet haben. Das empfinden die Bürger zu Recht als unfair. Wir würden das System anders als die Union reformieren.

Wie denn? 

Wir fordern eine Arbeitslosenversicherung, die sich an der Versicherungsdauer und am letzten Einkommen orientiert, bis dem Betreffenden wieder eine zumutbare Arbeit angeboten wird. Etwas Ähnliches hatte Deutschland früher mit der Arbeitslosenhilfe. Wer lange eingezahlt hat und wegen der schlechten Wirtschaftspolitik der Regierung seinen Job verliert, muss auch nach einem Jahr noch deutlich mehr bekommen als heute. (Interview: Andreas Schmid)

Zum Interview mit der Frankfurter Rundschau.

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