
„Das wäre der direkte Weg in einen Krieg mit Russland“
,Frau Wagenknecht, vor der Bundestagswahl sagten Sie: „Die Wahl ist auch eine Abstimmung über meine politische Zukunft.“ Das BSW hat es nicht in den Bundestag geschafft, Sie sind aber nach wie vor da: Warum?
Das BSW hat das Vertrauen von rund 2,5 Millionen Wählern erhalten. Das ist für eine so junge Partei extrem viel und zeigt, dass das BSW gebraucht wird. Außerdem gab es bei der Auszählung viele Zählfehler und Unregelmäßigkeiten. Wir sind überzeugt, dass wir bei korrekter Auszählung im Bundestag wären. Deshalb fordern wir eine Neuauszählung, derzeit liegt unser Einspruch beim Wahlprüfungsausschuss. Was ich damals gemeint habe: Ohne Bundestagsmandat hat man viel weniger Möglichkeiten, politisch etwas zu bewegen.
Angenommen, Sie hätten den Einzug in den Bundestag geschafft und würden eine allgemeine Rede als BSW-Fraktionschefin halten. Was wäre Ihr Kernthema?
Es gibt zwei. Das eine ist die Frage von Krieg und Frieden. Zweites großes Thema sind die hohen Energiepreise und die Wohlstandsverluste wegen der Dauerkrise unserer Wirtschaft.
Dann lassen Sie uns doch über den Ukraine-Krieg sprechen. Wie nehmen Sie die aktuellen Entwicklungen rund um Friedensverhandlungen wahr?
Es ist erstmal wichtig, dass die USA und Russland wieder auf höchster Ebene miteinander sprechen. Es sollten jetzt Verhandlungen beginnen – dafür braucht es einen realistischen Friedensplan.
Wie kann der aussehen?
Man muss sich zunächst über die wichtigste Ursache dieses Krieges klarwerden. Der Ukraine-Krieg wurde nicht aus Hunger nach territorialen Eroberungen begonnen, sondern um westliches Militär und Raketen in der Ukraine zu verhindern, so wie die USA russisches Militär und Raketen in Mexiko oder Kuba verhindern würden. Wenn jetzt diskutiert wird, Frieden durch Nato-Soldaten in der Ukraine abzusichern, ist das absurd – das war die Ursache des Krieges. Bei den Verhandlungen vor gut drei Jahren hätten die Russen auf territoriale Zugewinne nahezu komplett verzichtet, heute ist das nicht mehr so.
Russland will aber auch die territoriale Kontrolle über annektierte Gebiete und das heißt de facto, dass Russland ukrainisches Staatsgebiet bekommt.
Russland rückt vor und hat militärisch die Oberhand. Man wird die aktuelle Frontlinie als vorläufige Grenze akzeptieren müssen, wenn das Sterben enden soll. Aber noch wichtiger wäre die Zusage: kein Nato-Militär, keine Nato-Raketen, keine Nato-Perspektive für die Ukraine.
Nicht nur die Ukraine sieht das anders.
Umfragen sagen: Die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung wünscht sich Frieden, auch um den Preis von Zugeständnissen. Man muss die Realität zur Kenntnis nehmen. Je länger der Krieg dauert, desto weiter rücken die Russen vor.
Es braucht doch aber auch russische Zugeständnisse, etwa eine Waffenruhe. Sie aber schreiben in sozialen Medien: „Auf einer Waffenruhe als Vorbedingung und anderen Maximalforderungen zu beharren, erschwert den Weg zu echten Friedensverhandlungen.“ Soll man also verhandeln, während Putin weiter bombt?
Natürlich wünsche ich mir eine schnelle Waffenruhe. Wenn die Russen sagen würden, wir lassen jetzt die Waffen ruhen und verhandeln – super. Aber sie sagen: erst nach einem soliden Verhandlungsergebnis beenden wir den Krieg. Wer erst verhandeln will, wenn sie aufhören zu schießen, verlängert das Sterben. Man muss versuchen, diesen Krieg so zu beenden, wie es möglich ist, nicht wie man es sich wünscht.
Was würde passieren, wenn Nato-Soldaten in der Ukraine stationiert wären?
Wenn dieser Krieg begonnen wurde, um Nato-Militär an der russisch-ukrainischen Grenze zu verhindern, dann sind Nato-Soldaten kein Beitrag zum Frieden. Dass Merz sogar erwägt, die Bundeswehr in die Ukraine zu schicken, ist Wahnsinn. Das wäre der direkte Weg in einen Krieg mit Russland. Wie verantwortungslos muss ein Kanzler sein, dass er unser Land einer solchen Gefahr aussetzen will.
Dass sie gegen Nato-Soldaten in der Ukraine sind, haben wir verstanden. Wie sieht es mit Nato-Soldaten an der Ostflanke in Litauen aus?
Auch das verbessert die europäische Sicherheit nicht. Viele glauben, ein Krieg mit Russland würde wie der Ukraine-Krieg verlaufen. Aber ein Krieg zwischen der Nato und Russland wird nuklear eskalieren, weil Russland der Nato schon heute konventionell hoffnungslos unterlegen ist. Deshalb ist die Hochrüstung pure Geldverschwendung. Soldaten und Panzer helfen nichts gegen Atomraketen. Wir brauchen einen anderen Weg. Der kann nur darin bestehen, wieder gemeinsame Sicherheit und neue Abrüstungsverträge anzustreben. Nur das kann den Frieden sichern.
Um Frieden soll es auch am 13. September bei einer Friedenskundgebung am Brandenburger Tor gehen. Welche Themen wollen Sie da konkret adressieren?
Ich freue mich, dass Peter Maffay, Dieter Hallervorden, Gabriele Krone-Schmalz und die Rapper Massiv und Bausa gemeinsam mit mir zu dieser Kundgebung aufrufen. Es geht zum einen um den Völkermord in Gaza – diesen Begriff muss man mittlerweile leider verwenden. Die israelische Politik führt einen rücksichtslosen Krieg gegen die Zivilbevölkerung, der sich schon lange nicht mehr als Selbstverteidigung gegen die Hamas rechtfertigen lässt. Ohne Frage waren der Terroranschlag der Hamas und die Geiselnahmen abscheulich, aber das rechtfertigt nicht, fast 20.000 Kinder umzubringen, Zivilisten auszuhungern und zu vertreiben. Die Bundesregierung hat sich nur zu einem halbherzigen Rüstungsstopp durchgerungen, man steht immer noch hinter der rechtsextremen Netanyahu-Regierung.
Was wäre denn eine Reaktion nach Ihrem Gusto, eine Anerkennung Palästinas?
Ja, wie andere EU-Staaten das gemacht haben. Wichtig wäre auch die Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel. Aber es geht bei der Veranstaltung nicht allein um Gaza.
Sondern?
Um das Wettrüsten, um die wachsende Kriegsgefahr auch hier bei uns. Wenn alles so weitergeht, steuern wir auf einen großen Krieg zu – wenn nicht jetzt, dann in vier oder fünf Jahren. Immer mehr Waffen und immer weniger Vertrauen und Diplomatie, dieser Giftmix kann im Zeitalter von KI und Atomwaffen durch ein Missverständnis einen alles vernichtenden Krieg auslösen. Wir fordern eine Kehrtwende. (Interview: Andreas Schmid)