„Wer Sozialstaat finanzierte, muss auf ihn zählen können“

Artikel
, 17. Dezember 2024

Ist, wer sich anstrengt und viel arbeitet, in Deutschland eher der Dumme? Ja, das kann man so sagen. Allerdings aus anderen Gründen als denen, über die Carsten Linnemann schreibt. Und schuld ist auch nicht nur die desaströse Politik der Ampel. Die CDU hat ebenfalls kräftig dazu beigetragen.

Ein zunehmender Teil des in Deutschland bezogenen Einkommens resultiert nämlich nicht aus Arbeit, sondern aus Vermögen. Und der Grundstock dieser Vermögen wurde oft nicht erarbeitet, sondern ererbt. Während Aufstieg durch Anstrengung und Arbeit immer seltener geworden ist, was sicher nicht zur Leistungsmotivation beiträgt, sprudeln die leistungslosen Einkommen am oberen Ende der Vermögenspyramide.

„Mietendeckel würde Steuergeld sparen und die Fleißigen besser stellen“

Seit Jahren steigt etwa der Anteil, den Familien aus ihrem monatlichen Budget für Mieten aufbringen müssen. Mittlerweile geht im Schnitt jeder vierte Euro Einkommen an den Vermieter. Nicht jeder davon ist reich, Immobilien sind für nicht wenige Selbständige heute Teil der Alterssicherung, aber der überwiegende Teil des Immobilienmarktes gehört der Oberschicht.

Steigende Mieten schmälern die Kaufkraft der Erwerbseinkommen, während die Wohnkosten der Bürgergeldempfänger großenteils vom Steuerzahler übernommen werden.

Die Lösung – ein Mietendeckel und die Förderung von gemeinnützigem Wohnungsbau – würde viel Steuergeld sparen und die Fleißigen besser stellen. Aber weder SPD, FDP und Grüne noch die Union haben das Rückgrat, sich mit der mächtigen Immobilienlobby anzulegen.

„Eine Absenkung des Bürgergelds verbessert das Leben der Beschäftigten nicht“

Trotz Wirtschaftskrise erreichen die Dividendenausschüttungen jedes Jahr einen neuen Rekord. Da die oberen Zehntausend auch die Mehrzahl der Aktien besitzen, geht dieses Geld überwiegend an sehr reiche Familien im In- und Ausland und eben nicht an die, die die Wirtschaft mit ihrer Arbeit am Laufen halten.

Es gibt immer mehr Jobs, die früher einen bescheidenen Wohlstand gesichert haben, in denen heute aber Löhne gezahlt werden, mit denen man kaum über den Monat kommt und tatsächlich kaum besser lebt als ein Bürgergeldempfänger.

Aber eine Absenkung des Bürgergelds verbessert das Leben der Beschäftigten in diesen Lohngruppen nicht. Ein Mindestlohn von 15 Euro und eine Stärkung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen täte es sehr wohl.

Trend umkehren: „Hart Arbeitende zu entlasten, um Leistung zu belohnen“

Das Steuersystem in Deutschland bestraft Arbeit und belohnt Vermögen zusätzlich. Während den Fleißigen rund die Hälfte ihres Einkommens durch Steuern und Abgaben wieder abgenommen wird, sind die Steuersätze auf Vermögenseinkommen halb so hoch. Auch das ist das Ergebnis politischer Entscheidungen, an denen die Union beteiligt war.

So sank der effektive Steuersatz, den etwa die Milliardärin Susanne Klatten auf ihre BMW-Gewinne zahlt, zwischen 1996 und 2022 von 61,0 Prozent auf 21,4 Prozent. Diesen Trend umzukehren und im Gegenzug hart arbeitende Gering- und Normalverdiener zu entlasten, wäre eine gute Idee, um Leistung zu belohnen.

International operierende Unternehmen und reiche Privatpersonen haben darüber hinaus viele Möglichkeiten, Steuern zu umgehen und mit halblegalen oder auch illegalen Tricks zu vermeiden. Die Politik, auch die der Union, war nie bereit, diese Wege zu verbauen, obwohl das problemlos möglich wäre.

„In einem Punkt hat Carsten Linnemann recht“

In einem Punkt hat Carsten Linnemann recht. Wir brauchen eine Reform der Arbeitslosenversicherung. Das Bürgergeld ist eine Fehlkonstruktion. Es kann nicht sein, dass jemand, der über viele Jahre gearbeitet und in die Sozialversicherung eingezahlt hat, nach einem Jahr Arbeitslosigkeit auf das gleiche Level abstürzt, das auch ein nach Deutschland gekommener Flüchtling ohne einen Tag Arbeit erhält.

Für die, die sich verzweifelt um Arbeit bemühen und trotzdem keine finden, weil sie vielleicht in ihrem früheren Knochenjob aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können oder weil sie als Alleinerziehende mangels Ganztags-Kita gar nicht Vollzeit arbeiten können, ist das Bürgergeld entwürdigend niedrig. Für die, die tatsächlich nicht arbeiten wollen oder sich im Modell Bürgergeld plus Schwarzarbeit eingerichtet haben, ist es zu hoch.

„Wer den Sozialstaat finanziert, muss auf ihn zählen können“

Natürlich kann erwartet werden, dass erwerbsfähige Arbeitnehmer sich um Arbeit bemühen und zumutbare Arbeit annehmen. Aber was gern unterschlagen wird: zwei Drittel aller Bürgergeldempfänger haben keinen Berufsabschluss. Vielen fehlen elementare Fähigkeiten.

Von diesen Menschen mehr „Eigenverantwortung“ bei der Jobsuche zu fordern und ihnen zur Strafe für Lehrermangel, falsche Lehrpläne und gescheiterte Integration auch noch das Existenzminimum zu streichen, ist zynisch. Für sie braucht es sinnvolle Qualifikationsangebote und nicht nur mehr Druck.

Und gerade jetzt, wo Unternehmen reihenweise Entlassungen ankündigen, muss das ALG I zu einer echten Arbeitslosenversicherung weiterentwickelt werden, die Erwerbslose so lange unterstützt und weiterbildet, bis sie eine neue Arbeit gefunden haben.

Wer jahrelang mit seinen Steuern und Abgaben den Sozialstaat finanziert hat, muss im Alter, bei Krankheit oder Jobverlust auch auf ihn zählen können.

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