
„Ausgrenzung und Redeverbote haben die AfD nur stärker gemacht“
,FOCUS online: Frau Wagenknecht, AfD-Chef Tino Chrupalla will Gespräche mit dem BSW führen „über das, was Deutschland bewegt“. Über welche Themen, bei denen es Schnittmengen zwischen BSW und AfD gibt, könnten Sie sich denn Gespräche vorstellen?
Sahra Wagenknecht: Es gibt keine Gespräche und es sind aktuell auch keine geplant. Die Schnittmengen der AfD sind zur CDU erkennbar größer als mit uns. Selbstverständlich muss man dort miteinander reden, wo man beispielsweise gemeinsam in einem Parlament sitzt und es um praktische Dinge geht.
Wären wir im Bundestag, hätten wir uns für einen Corona-Untersuchungsausschuss und einen zu Spahns Maskenaffäre eingesetzt. Auch mit den Stimmen der AfD, denn die der anderen Parteien hätten wir ja nicht bekommen.
Sie dementieren, dass es derzeit Gespräche mit der AfD auf Bundesebene gibt, schließen sie zugleich für die Zukunft nicht aus. Wären solche Gespräche auch dann noch denkbar, wenn die bundesweite AfD-Einstufung des Verfassungsschutzes als gesichert rechtsextrem gerichtlich bestätigt wird?
Wagenknecht: Um zu wissen, dass es in der AfD Rechtsextremisten und Neonazis gibt, brauche ich den Verfassungsschutz nicht. Das ist so. Aber die AfD wird trotzdem von mehr als jedem fünften Wähler gewählt, im Osten von jedem Dritten. Diese Wähler sind keine Nazis, sondern haben berechtigte Anliegen, die die Politik endlich ernst nehmen muss.
Wer glaubt, dass sich das Problem durch Ausgrenzung und Redeverbote lösen lässt, mag weiter träumen. Dieser Umgang hat die AfD nur stärker gemacht.
Wagenknecht: „Gibt keinen Grund, mit Höcke zu sprechen“
In Thüringen wird die AfD bereits als gesichert rechtsextremistisch eingestuft, der Landeschef Björn Höcke gilt als besonders radikal. Trotzdem hat der BSW-Fraktionschef Frank Augsten mit ihm gesprochen. Würden auch Sie persönlich mit Höcke sprechen – oder gibt es Grenzen, mit wem in der AfD Sie das Gespräch suchen würden?
Wagenknecht: Es gibt keinen Grund, weshalb ich mit Herrn Höcke sprechen sollte.
Sie können sich in Thüringen, wo das BSW derzeit mit CDU und SPD eine Koalition bildet, auch wechselnde Mehrheiten vorstellen. Würde das bedeuten, dass die BSW-Fraktion jenseits der aktuellen Regierung auch aktiv Verhandlungen mit der AfD über Gesetzesvorhaben führen soll?
Wagenknecht: Weshalb das BSW? Die CDU hat ein ebenso großes Interesse, ihre Politik nicht an ein Veto der Linken zu ketten.
Wagenknecht kritisiert Merz‘ Außenpolitik
Das BSW ist nicht mehr im Bundestag vertreten, das macht es schwer, Aufmerksamkeit für eigene Inhalte zu finden. Mit welcher Strategie wollen Sie die kommenden Jahre bis zur nächsten Bundestagswahl meistern?
Wagenknecht: Wir leben in ungemütlichen Zeiten, die Kriegsgefahr wächst, unsere Wirtschaft befindet sich in einer Dauerkrise und die Teuerung vor allem bei Energie und Lebensmitteln hat das Leben vieler Bürger spürbar verschlechtert. Das BSW ist die einzige konsequente Friedenspartei. Von AfD bis Grüne bejubeln alle das Wettrüsten, auch die Linke hat im Bundesrat der schuldenfinanzierten Aufrüstung zugestimmt.
Ex-Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat bis kurz vor Kriegsbeginn in der Ukraine mit Wladimir Putin gesprochen und später Friedensinitiativen unterstützt, Kanzler Friedrich Merz (CDU) wirbt für einen Waffenstillstand in der Ukraine und sein Außenminister Johann Wadephul hat im Atomkonflikt mit dem Iran eine Verhandlungslösung gesucht. Warum zählen diese Initiativen für das BSW nichts?
Wagenknecht: Olaf Scholz hat der Stationierung von US-Angriffsraketen in Deutschland zugestimmt und Unsummen an deutschem Steuergeld in der Ukraine versenkt. Friedrich Merz hatte an Trumps Angriff auf den Iran nichts zu kritisieren, Trumps relativ realistischen Friedensplan für die Ukraine hat er dagegen abgelehnt.
Er torpediert einen möglichen Friedensschluss, indem er die Stationierung europäischer Nato-Soldaten in der Ukraine nach einem möglichen Waffenstillstand unterstützt. Wenn man weiß, dass der Krieg von Russland begonnen wurde, um Nato-Militär an der russisch-ukrainischen Grenze zu verhindern, ist die Drohung mit einem solchen Nato-Bataillon der sicherste Weg, die Friedensgespräche ins Leere laufen zu lassen.
„BSW gehört zu den wenigen Stimmen, die diesen Trend kritisieren“
Zurück zur ursprünglichen Frage: Mit welchen Themen wollen Sie in den nächsten Jahren punkten?
Wagenknecht: Wir fordern eine andere Energiepolitik, damit Deutschland Industriestandort bleiben kann, und vernünftige Rahmenbedingungen für den deutschen Mittelstand. Die Ungleichheit in unserem Land wächst, steigende Altersarmut ist ein ernstes Problem, das sich durch Übernahme des österreichischen Rentenmodells lösen ließe.
Und wir erleben eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, von sozialer Ausgrenzung bis hin zu strafrechtlichen Konsequenzen, die mit einer liberalen Gesellschaft überhaupt nicht vereinbar ist. Das BSW gehört zu den wenigen Stimmen in der deutschen Politik, die diesen Trend kritisieren.
BSW-Fehler in Thüringen: „Müssen konfliktfreudiger werden“
Anders als das BSW ist die Linke – Ihre ehemalige Partei – in den vergangenen Monaten erstarkt. Was lässt sich daraus lernen?
Wagenknecht: Wenig, die Linke konkurriert vor allem mit den Grünen um das großstädtische akademische Milieu. Wir haben seit Herbst 2024 Wähler in erster Linie an die AfD verloren, weil wir bei der Regierungsbildung, vor allem in Thüringen, Fehler gemacht haben.
Welche Fehler meinen Sie?
Wagenknecht: Wir sind in der Koalition bisher zu wenig mit einem eigenen Profil erkennbar. Zwar haben wir durchaus wichtige Dinge erreicht. Dass die Thüringer Kommunen eine Milliarde Euro zusätzlich für dringend benötigte Investitionen in Schulen, Straßen und Schwimmbäder bekommen, ist unser Verdienst. Aber wir wurden von Wählern gewählt, die sich grundsätzliche Veränderung wünschen. Auf vielen Gebieten, von der Meinungsfreiheit bis zur Energiepolitik. Wir müssen gegenüber den alten Parteien konfliktfreudiger werden.
Wagenknecht wertet Stromsteuer-Entscheidung als Wahlbetrug
Sie fordern immer wieder Entlastungen für Bürgerinnen und Bürger ein. Wie blicken Sie auf die Entscheidung der schwarz-roten Bundesregierung, die Stromsteuer vorerst nicht zu senken?
Wagenknecht: Das ist der nächste Wahlbetrug dieser Koalition. Die Regierung hat angeblich keine fünf Milliarden Euro, um die Stromsteuer für die Bürger zu senken, aber neun Milliarden stehen allein in diesem Jahr wieder für Waffenlieferungen an die Ukraine bereit. Solche Prioritäten sind ein Schlag ins Gesicht der Menschen.
Die versprochene Entlastung bei der Stromsteuer reicht aber nicht aus. Notwendig wäre eine Halbierung der Strompreise, die sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt haben. Auch mit den Netzentgelten werden die Bürger tagtäglich abgezockt.