Kleiner Aufwand, großer Dienst an der Demokratie
,Ein Dreivierteljahr nach der Bundestagswahl hat der Wahlprüfungsausschuss noch immer nicht über Ihre Beschwerde nach Neuauszählung der Wahlzettel entschieden. Ist das Schikane oder sorgfältige Prüfung?
SAHRA WAGENKNECHT: Der Ausschuss hat sich erst drei Monate nach der Wahl konstituiert, später als alle anderen Ausschüsse. Seine letzte Sitzung war am 11. September! Also ob das für intensive Arbeit spricht, kann jeder selbst beurteilen. Und es geht dabei nicht nur um das BSW, sondern um knapp 2,5 Millionen BSW-Wähler, denen sehr wahrscheinlich zu Unrecht seit einem Dreivierteljahr die parlamentarische Vertretung vorenthalten wird. Es geht darum, ob der Bundestag verfassungsgemäß zusammengesetzt ist. Ein Wahlprüfungsverfahren, in dem Abgeordnete Richter in eigener Sache sind, ist absurd. Diese Regel stammt aus der Kaiserzeit und ist international einmalig. In vielen Ländern wird bei knappen Ergebnissen automatisch nachgezählt. Denkbar wäre, immer nachzuzählen, wenn das Ergebnis nur 0,1 Prozent von der Fünf-Prozent-Hürde entfernt liegt. Bei uns sind es sogar nur 0,019 Prozent. Und durch Nachzählungen wie zuletzt bei der Kommunalwahl in NRW ist dokumentiert, dass die Fehlermarge von Auszählungen bei einem Vielfachen liegt.
Kämen Sie nachträglich in den Bundestag, wackelte das Mandat von CDU-Prominenz wie Julia Klöckner, Armin Laschet und Johannes Winkel.
WAGENKNECHT: Dass sogar das Mandat der Bundestagspräsidentin wackeln könnte, ist natürlich ein starkes Motiv, eine Neuauszählung mit allen Mitteln zu verhindern. Auf jeden Fall fällt auf, dass der Wahlprüfungsausschuss in der vergangenen Legislaturperiode deutlich fleißiger war. Da wurde im Jahr nach der Wahl jeden Monat getagt, manchmal sogar zweimal im Monat.
Gleichwohl halten der Bundes- und auch die Landeswahlleiter eine Neuauszählung nicht für notwendig. Welche Indizien haben Sie, dass zuungunsten Ihrer Partei ausgezählt wurde?
WAGENKNECHT: Die Stimmkorrekturen nach dem vorläufigen Endergebnis sind ein klarer Beleg für systematische Zählerfehler. Es wurden durch punktuelle Überprüfungen in wenigen Wahllokalen 4200 zusätzliche Stimmen für das BSW „gefunden“ - Stimmen, die vorher anderen Parteien zugeordnet oder zu Unrecht als ungültig gewertet worden waren. Normalerweise profitieren Parteien von Überprüfungen proportional zu ihrem Stimmenanteil. Dass eine Fünf-Prozent-Partei durch Korrekturen mehr Stimmen hinzugewinnt als alle anderen Parteien zusammen, gab es noch nie.
Woran könnte das liegen?
WAGENKNECHT: Systematische Fehlerquellen sind Verwechslungen mit dem namensähnlichen „Bündnis Deutschland“, das auf den meisten Wahlzetteln direkt über dem BSW stand. In 145 Wahlbezirken hat das „Bündnis Deutschland“ nach dem amtlichen Endergebnis angeblich mehr Stimmen als das 32-mal stärkere BSW. Dass in einem solchen Fall einfach die Stapel verwechselt wurden, belegen die Wahlkreise, in denen das überprüft wurde. Aber nicht nur ganze Stapel wurden vertauscht, auch einzelne Stimmen von uns wurden im Zählvorgang fälschlich dem Bündnis Deutschland oder anderen Kleinstparteien zugeordnet. Auch das hat man da sehen können, wo nachgezählt wurde. Das BSW stand außerdem auf vielen Wahlzetteln ganz unten hinter dem letzten Knick und hatte zumeist keinen eigenen Wahlkreiskandidaten. Dass die Zweitstimme hinter dem Knick schlicht übersehen wurde, wenn die Erststimme zugunsten einer Partei im oberen Teil des Wahlzettels abgegeben wurde, ist keine nur theoretische Annahme. Aufklärungsbedürftig ist schließlich die extreme Häufung ungültiger Stimmen in einer Reihe von Wahlkreisen. Es gab Wähler, die versehentlich das direkt über dem BSW stehende Bündnis Deutschland angekreuzt haben, um dies dann zugunsten des BSW zu korrigieren. Korrekturen sind auf einem Stimmzettel zulässig. Die Häufung von ungültigen Stimmen könnte sich dadurch erklären, dass diese korrigierten Stimmzettel einfach für ungültig erklärt wurden. Nach Berichten von Wahlhelfern sollen teilweise sogar Wahlzettel, auf denen nur die Zweitstimme abgegeben wurde, als ungültig gewertet worden sein.
Was tun Sie, wenn der Ausschuss zu dem Ergebnis kommt, sich gegen eine Neuauszählung zu positionieren?
WAGENKNECHT: Dann werden wir nach Karlsruhe gehen. Und wenn sich das Bundesverfassungsgericht an der eigenen Rechtsprechung der letzten Jahrzehnte orientiert, bin ich optimistisch, dass es zu einer Neuauszählung kommt. Man muss ja auch auf den Unterschied hinweisen: Es geht nicht um eine Neuwahl wie nach dem Chaos in Berlin. Es geht um eine schlichte Neuauszählung, wofür alle offiziellen Kriterien erfüllt sind. Und die Stimmzettel sind ja da: Der Aufwand ist klein, aber der Dienst an der Demokratie wäre groß. Immer mehr Bürger misstrauen Wahlergebnissen. Die Zahl hat sich in den vergangenen Jahren verdreifacht. Wer Misstrauen ausräumen will, sollte sich jetzt nicht querstellen.
Ein Dreivierteljahr nach der Bundestagswahl hat der Wahlprüfungsausschuss noch immer nicht über Ihre Beschwerde nach Neuauszählung der Wahlzettel entschieden. Ist das Schikane oder sorgfältige Prüfung?
SAHRA WAGENKNECHT: Der Ausschuss hat sich erst drei Monate nach der Wahl konstituiert, später als alle anderen Ausschüsse. Seine letzte Sitzung war am 11. September! Also ob das für intensive Arbeit spricht, kann jeder selbst beurteilen. Und es geht dabei nicht nur um das BSW, sondern um knapp 2,5 Millionen BSW-Wähler, denen sehr wahrscheinlich zu Unrecht seit einem Dreivierteljahr die parlamentarische Vertretung vorenthalten wird. Es geht darum, ob der Bundestag verfassungsgemäß zusammengesetzt ist. Ein Wahlprüfungsverfahren, in dem Abgeordnete Richter in eigener Sache sind, ist absurd. Diese Regel stammt aus der Kaiserzeit und ist international einmalig. In vielen Ländern wird bei knappen Ergebnissen automatisch nachgezählt. Denkbar wäre, immer nachzuzählen, wenn das Ergebnis nur 0,1 Prozent von der Fünf-Prozent-Hürde entfernt liegt. Bei uns sind es sogar nur 0,019 Prozent. Und durch Nachzählungen wie zuletzt bei der Kommunalwahl in NRW ist dokumentiert, dass die Fehlermarge von Auszählungen bei einem Vielfachen liegt.
Kämen Sie nachträglich in den Bundestag, wackelte das Mandat von CDU-Prominenz wie Julia Klöckner, Armin Laschet und Johannes Winkel.
WAGENKNECHT: Dass sogar das Mandat der Bundestagspräsidentin wackeln könnte, ist natürlich ein starkes Motiv, eine Neuauszählung mit allen Mitteln zu verhindern. Auf jeden Fall fällt auf, dass der Wahlprüfungsausschuss in der vergangenen Legislaturperiode deutlich fleißiger war. Da wurde im Jahr nach der Wahl jeden Monat getagt, manchmal sogar zweimal im Monat.
Gleichwohl halten der Bundes- und auch die Landeswahlleiter eine Neuauszählung nicht für notwendig. Welche Indizien haben Sie, dass zuungunsten Ihrer Partei ausgezählt wurde?
WAGENKNECHT: Die Stimmkorrekturen nach dem vorläufigen Endergebnis sind ein klarer Beleg für systematische Zählerfehler. Es wurden durch punktuelle Überprüfungen in wenigen Wahllokalen 4200 zusätzliche Stimmen für das BSW „gefunden“ - Stimmen, die vorher anderen Parteien zugeordnet oder zu Unrecht als ungültig gewertet worden waren. Normalerweise profitieren Parteien von Überprüfungen proportional zu ihrem Stimmenanteil. Dass eine Fünf-Prozent-Partei durch Korrekturen mehr Stimmen hinzugewinnt als alle anderen Parteien zusammen, gab es noch nie.
Woran könnte das liegen?
WAGENKNECHT: Systematische Fehlerquellen sind Verwechslungen mit dem namensähnlichen „Bündnis Deutschland“, das auf den meisten Wahlzetteln direkt über dem BSW stand. In 145 Wahlbezirken hat das „Bündnis Deutschland“ nach dem amtlichen Endergebnis angeblich mehr Stimmen als das 32-mal stärkere BSW. Dass in einem solchen Fall einfach die Stapel verwechselt wurden, belegen die Wahlkreise, in denen das überprüft wurde. Aber nicht nur ganze Stapel wurden vertauscht, auch einzelne Stimmen von uns wurden im Zählvorgang fälschlich dem Bündnis Deutschland oder anderen Kleinstparteien zugeordnet. Auch das hat man da sehen können, wo nachgezählt wurde. Das BSW stand außerdem auf vielen Wahlzetteln ganz unten hinter dem letzten Knick und hatte zumeist keinen eigenen Wahlkreiskandidaten. Dass die Zweitstimme hinter dem Knick schlicht übersehen wurde, wenn die Erststimme zugunsten einer Partei im oberen Teil des Wahlzettels abgegeben wurde, ist keine nur theoretische Annahme. Aufklärungsbedürftig ist schließlich die extreme Häufung ungültiger Stimmen in einer Reihe von Wahlkreisen. Es gab Wähler, die versehentlich das direkt über dem BSW stehende Bündnis Deutschland angekreuzt haben, um dies dann zugunsten des BSW zu korrigieren. Korrekturen sind auf einem Stimmzettel zulässig. Die Häufung von ungültigen Stimmen könnte sich dadurch erklären, dass diese korrigierten Stimmzettel einfach für ungültig erklärt wurden. Nach Berichten von Wahlhelfern sollen teilweise sogar Wahlzettel, auf denen nur die Zweitstimme abgegeben wurde, als ungültig gewertet worden sein.
Was tun Sie, wenn der Ausschuss zu dem Ergebnis kommt, sich gegen eine Neuauszählung zu positionieren?
WAGENKNECHT: Dann werden wir nach Karlsruhe gehen. Und wenn sich das Bundesverfassungsgericht an der eigenen Rechtsprechung der letzten Jahrzehnte orientiert, bin ich optimistisch, dass es zu einer Neuauszählung kommt. Man muss ja auch auf den Unterschied hinweisen: Es geht nicht um eine Neuwahl wie nach dem Chaos in Berlin. Es geht um eine schlichte Neuauszählung, wofür alle offiziellen Kriterien erfüllt sind. Und die Stimmzettel sind ja da: Der Aufwand ist klein, aber der Dienst an der Demokratie wäre groß. Immer mehr Bürger misstrauen Wahlergebnissen. Die Zahl hat sich in den vergangenen Jahren verdreifacht. Wer Misstrauen ausräumen will, sollte sich jetzt nicht querstellen.
Zöge das BSW noch in das Parlament ein, stünde die schwarz-rote Koalition ohne Mehrheit da. Welche Rolle im Bundestag würde Ihre Partei anstreben?
WAGENKNECHT: Wir wären eine verlässliche Opposition für Frieden, Vernunft und Gerechtigkeit. Die AfD befürwortet die extreme Aufrüstung und die Linke springt immer ein, wenn Merz in der Bredouille ist. Sie überlegt jetzt sogar, Merz beim Rentenpaket unter die Arme zu greifen, obwohl dieses Paket die Altersarmut weiter vergrößern wird. Die Linke ist für Merz eine zuverlässigere Stütze als die Junge Union. Die aktuelle Opposition bekommt außerdem nicht mal Untersuchungsausschüsse hin. Wir würden sofort Untersuchungsausschüsse zu Corona, Spahns Masken-Deals und Nord Stream einsetzen.
Dieses Interview erschien zuerst in der Augsburger Allgemeinen am 24. November 2025.