Rechts oder links? Vernünftig!

Veröffentlichung
, 19. Oktober 2025

Was ist links? Was rechts? Anders als früher gibt es heute noch nicht einmal darüber Einigkeit zwischen den Lagern. Ihre mobilisierende Kraft entfalten beide Label heute vor allem als Feindbilder.

Ein Teil der Gesellschaft, bevorzugt aus dem großstädtischen Milieu, sieht seine wichtigste politische Mission heute im „Kampf gegen rechts“ wobei als „rechts“ nahezu jeder gilt, der anders denkt als diejenigen, die diesen Kampf mit viel Emotion führen. Wer etwa eine vernünftige Migrationspolitik einfordert, darauf pocht, dass die deutsche Industrie ohne preiswerte Energie keine Zukunft hat, wer Kriege nicht mit Waffen, sondern mit Verhandlungen beenden will oder auf die biologische Banalität verweist, dass das Geschlecht keine Frage der Gemütsverfassung ist, wird schnell als „rechts“ gelabelt.

Das hat eine unerwünschte Nebenwirkung: Wird der gesunde Menschenverstand der politischen Rechten zugeordnet, halten sich viele Menschen plötzlich für „rechts“, obwohl sie Ansichten vertreten, die früher eher der Mitte, vielleicht sogar der Linken zugerechnet wurden. Für diese Menschen ist „links“ das neue Feindbild, das für alles steht, was sie aus gutem Grund nicht mögen: fanatische Klimaziele, unseriöse Finanzpolitik, unkontrollierte Zuwanderung, Geld für Arbeitsmuffel, Sprachpolizei.

Um die Diskussion zu versachlichen, sollte man sich erinnern, wofür links und rechts früher einmal standen. Das politische Koordinatensystem entstand ja nicht im luftleeren Raum, sondern – seit es Linke und Rechte gab, also seit der Französischen Revolution – vertraten sie verschiedene soziale Schichten mit unterschiedlichen Interessen, aus denen ein unterschiedlicher Blick auf die Welt resultierte. Etwas verkürzt kann man sagen: Die Rechte sprach für diejenigen, die bei der Verteilung der gesellschaftlichen Besitzstände gut abgeschnitten hatten, und verteidigte deshalb das Bestehende. Sie berief sich dabei auf die Weisheit der Traditionen und argumentierte, dass man eine funktionierende Ordnung nicht ohne Not infrage stellen sollte.

Die Linken vertraten diejenigen, denen im Rahmen der bestehenden Ordnung die Chance auf Aufstieg und Wohlstand verwehrt blieb und die sie daher ändern wollten. Sie forderten folgerichtig gleiche Chancen und Leistungsgerechtigkeit und kämpften gegen Geburtsprivilegien und die Vererbung des sozialen Status. Die Linke stand damit anfangs an der Seite des Bürgertums und später an der der Arbeiter. Die westlichen Demokratien der Nachkriegszeit mit ihren starken Sozialstaaten, die erstmals Aufstieg durch Bildung, Anstrengung und eigene Leistung für Millionen Menschen möglich machten, waren ein Ergebnis dieser Kämpfe.

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts begann sich die soziale Basis und Rolle der linken Parteien allerdings zu verändern. Aus Repräsentanten der Benachteiligten wurden Vertreter derer, die den Aufstieg bereits hinter sich hatten – der neuen akademischen Mittelschicht. Die Wählerschaft linker Parteien hat heute überdurchschnittliche Einkommen.

Der damit verbundene Perspektivwechsel zeigt sich beispielhaft in der Migrationsfrage. Früher standen die Linken für einen restriktiven Kurs. Zu den ersten Entscheidungen der Weimarer Republik unter dem Einfluss der SPD gehörte ein Stopp der Migration aus Osteuropa. In der Bundesrepublik beendete Willy Brandt die unter Adenauer begonnene Anwerbung türkischer Arbeiter. Das hatte seine Logik: Hohe Migration heißt für die unteren Schichten mehr Konkurrenz um Jobs, soziale Leistungen, Wohnungen.

Merkels Migrationspolitik hat die schulische Bildung für die Kinder der Ärmeren faktisch zerstört. In den gentrifizierten Innenstadtvierteln dagegen freut man sich über billige Servicekräfte, die die Pakete an die Haustür schleppen, die Wohnung putzen oder im Café bedienen. Und die Wiederkehr des Bildungsprivilegs hält den Sprösslingen der urbanen Mitte mögliche Konkurrenz durch leistungsorientierte Aufsteiger vom Hals.

Seit die Linken die Unterprivilegierten nicht mehr vertreten, tut es eigentlich keiner mehr. Es ist eine Schande für unsere Demokratie, dass der soziale Status heute fast wie im Ancien Régime wieder vor allem vom Elternhaus und nicht von der eigenen Leistung bestimmt wird.

Aber es wurden nicht nur die Aufstiegschancen für junge Leute aus ärmeren Verhältnissen gekappt. Mittlerweile zeigt die Wohlstandskurve auch für große Teile der Mitte nach unten. Eine konservative oder im Ursprungssinn „rechte“ Agenda – die Verteidigung von Besitzständen – wäre hier dringend gefragt. Sie hätte jedoch nur Schlagkraft, wenn sie den massiven Wohlstandstransfer ins Ausland (teure Energie!) und an die Happy Few ganz oben skandalisieren würde, statt sich gegen die zu richten, bei denen nichts zu holen ist. Ein Revival des Konservatismus im Sinne der Rückbesinnung auf gemeinsame Werte und Traditionen würde unserem Land übrigens auch nicht schaden – allerdings nicht ausgerechnet auf die des Militarismus und eine Ethik der Kaltherzigkeit.

Notwendig wäre also ein politisches Programm, das nicht in die alten Schubladen passt. Deutschland braucht soziale Reformen, die Aufstieg durch Bildung und Anstrengung wieder möglich machen – Reformen, die echtes Unternehmertum fördern und fairen Wettbewerb reaktivieren, statt Erbdynastien und leistungslose Millioneneinkommen zu zementieren und den deutschen Mittelstand den großen Finanz- und Techkonzernen auszuliefern.

Ebenso dringend wäre es, Liberalismus und Meinungsfreiheit als Voraussetzungen demokratischer Verhältnisse gegen den autoritären Zeitgeist zu verteidigen. Auf die linken Parteien kann man dabei nicht zählen, weil sie in ihrem Wahn, in jedem Andersdenkenden einen verkappten Nazi zu sehen, eine treibende Kraft des autoritären Umbaus unserer Gesellschaft sind. Die Rechte verteidigt zwar die Meinungsfreiheit, meint damit aber vor allem ihre eigene – das sieht man, sobald sie Macht hat. Donald Trumps Plan, TikTok einen Regierungsaufseher in den Vorstand zu setzen, stellt sogar die Social-Media-Zensur der EU in den Schatten.

Wäre das skizzierte Programm rechts oder links? Es wäre auf jeden Fall vernünftig.

 

Der Beitrag erschien erstmals in der WELT AM SONNTAG vom 19. Oktober 2025.

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