„Wir haben viele gute Köpfe“
,Frau Wagenknecht, 2024 war Ihr Jahr. Man sah Ihr Gesicht auf allen Plakaten Ihrer neuen Partei, obwohl Sie bei keiner der Wahlen kandidierten. Nehmen Sie sich selbst eigentlich genauso wichtig, wie die Öffentlichkeit das tut?
Man sollte sich nie zu wichtig nehmen. Ich freue mich, wenn Menschen mich und meine Politik unterstützen, damit sich etwas verändert. Die alten Parteien haben jahrelang an den Interessen der Mehrheit vorbeiregiert und unser Land in eine tiefe Krise geführt. Die Bundesrepublik ist nicht mehr, was sie einmal war. Wer aus ärmeren Verhältnissen kommt, hat kaum noch Aufstiegschancen. Das demotiviert.
Warum sehen die Leute die Lösung ausgerechnet in Ihnen - einer Frau, die seit ihrer Zeit als SED-Mitglied, später bei PDS und Linken, damit aufgefallen ist, für Zwietracht zu sorgen?
In die SED bin ich eingetreten, als die DDR in Auflösung war. Als ich Spitzenpolitikerin der Linken war, erreichte sie bei der Bundestagswahl 9,2 Prozent. Ich habe mich gegen eine realitätsfremde Migrationspolitik gewandt, gegen Corona-Impfzwang und für eine konsequente Friedenspolitik. Deshalb gab es Streit. Die Leute sehen mich unterschiedlich. Die mich unterstützen, nehmen wahr, dass ich glaubwürdig geblieben bin. Das ist etwas, was viele Politiker verloren haben.
Ihre neue Partei ist komplett auf Ihre Person zugeschnitten. Wir haben uns mal im BSW-Fanshop umgesehen. Alle Hoodies und T-Shirts tragen Ihr Bild, Ihren Namen.
Wir haben viele gute Köpfe, aber ich bin derzeit nun mal das bekannteste Gesicht unserer jungen Partei.
Alice Weidel tritt als Kanzlerkandidatin für die AfD an, Robert Habeck als „Kandidat für die Menschen in Deutschland“. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Ich finde es gewagt, Kanzlerkandidaten aufzustellen, wenn man keine realistische Chance auf die Kanzlerschaft hat und, wie die Grünen, unter 15 Prozent steht. Aber da fast alle anderen es so machen, werden wir das nun ebenfalls tun.
Im Bund 15 Prozent, da kommen Sie nie und nimmer heran.
Aktuell sieht es nicht so aus. Aber wir haben in diesem Jahr schon weit mehr erreicht, als uns die meisten bei unserer Gründung zugetraut haben.
Frau Wagenknecht, es gibt 14.000 Anträge von Leuten, die BSW-Mitglied werden wollen - aber nur 1100 Mitglieder. Wer muss man sein, um aufgenommen zu werden?
Wir wachsen langsam, denn wir wollen die Menschen kennenlernen. Wir hatten gehofft, dass wir nach den Landtagswahlen erst mal eine Atempause haben, um uns um den Parteiaufbau zu kümmern. Spätestens nach der Wahl wollen wir die Aufnahme liberaler gestalten und denen, die uns jetzt so geholfen haben, eine Chance auf Mitgliedschaft geben.
Warum bedarf es überhaupt so einer intensiven Prüfung?
Schauen Sie sich an, was aus anderen neuen Parteien geworden ist. Viele haben sich im ersten Jahr zerlegt. Oder sie waren nicht wiederzuerkennen.
Das nennt man innerparteiliche Demokratie: Dinge ändern sich – manchmal auch nicht so, wie die Chefin sie gerne hätte.
Wenn einige Querulanten die Gutwilligen vertreiben, hat das nichts mit Demokratie zu tun.
Sondern?
Das ist Selbstzerstörung. Die AfD etwa, die ursprünglich eine eurokritische Professoren-Partei war, hat Rechtsextremisten angezogen. Die Gründer sind dann entnervt ausgetreten. Das möchte ich nicht.
Ohne die rekordverdächtige Spende von fünf Millionen Euro eines Unternehmer-Ehepaars wäre das BSW noch heute keine Partei. Großspender zu sein, ist also schon förderlich, um Mitglied zu werden?
Die beiden haben nie verlangt, dass sie aufgenommen werden. Wir haben sie kennengelernt und gefragt, ob sie Mitglieder werden wollen.
Fünf Millionen Euro sind also schon ein Türöffner?
Wir wurden in einem Jahr gegründet, in dem vier Wahlkämpfe anstanden. Fünf Millionen Euro klingt viel. Andere Parteien haben allein im EU-Wahlkampf das Doppelte ausgegeben.
Aber rein kommt nur, wer der Bundesspitze passt.
Rein kommt, wer unsere politischen Ziele unterstützt. Warum soll jemand in unsere Partei, der was ganz anderes will?
Schön klein bleiben, den Ball flach halten. Das klingt merkwürdig aus dem Mund einer Vorsitzenden.
Noch mal: Nach der Bundestagswahl werden wir mehr Menschen eine Chance geben.
In der DDR hingen überall Fotos von Erich Honecker herum. Heute sind es Plakate von Wagenknecht. Kommt Ihnen dieser Personenkult nicht absurd vor?
Stellen sie diese Frage auch anderen Spitzenpolitikern? In unseren Geschäftsstellen hängen übrigens keine Wagenknecht-Bilder. Ein bekannter Kopf ist einfach der Weg, eine junge Partei wahrnehmbar zu machen. Das machen die Grünen jetzt auch mit dem Team Robert.
Die heißen aber nicht Robert-Habeck-Partei.
Es wird von der „Robertisierung“ der Grünen gesprochen. Die CDU würde das auch gern mit Herrn Merz machen, nur sind seine Beliebtheitswerte schlechter als die seiner Partei.
Das heißt: Ohne Sahra Wagenknecht läuft beim BSW gar nix?
Hätten wir uns „Bündnis Vernunft und Gerechtigkeit“ genannt, hätten die Leute uns nicht auf dem Wahlzettel gefunden.
Warum überhaupt Vernunft? Der Begriff ist völlig beliebig.
Vernunft bedeutet durchdacht, planvoll, rational. Dass Politik weder von Lobbyinteressen bestimmt wird noch von Ideologie.
Die vernünftigen Dinge definieren Sie?
Vernunft muss mit Argumenten begründet werden, nicht mit Gefühlen oder Hypermoral. In Deutschland wird häufig nicht mehr argumentiert, sondern moralisiert. Wenn die AfD etwas fordert, darf man es nicht unterstützen, weil es ja von der AfD kommt. Wer sagt, dass vor 20 Jahren manches besser war, gilt als rückwärtsgewandt. Aber es war nun mal besser, als an den Schulen noch nicht endlos Unterricht ausfiel, auch Kassenpatienten zeitnah einen Arzttermin bekamen und die Wohnungssuche in Städten noch nicht der absolute Albtraum war.
Bodo Ramelow, der 2007 mit Oskar Lafontaine aus WASG und PDS die Linke geformt hat, sagt bis heute, Sie seien nie eine Teamplayerin gewesen.
Ramelow und andere hatten auch prophezeit, dass ich mit dem BSW scheitern würde.
Das BSW ist das, was Sie von der SED kennen: eine Kaderpartei.
In einer Partei sollten die Mitglieder an einem Strang ziehen. Wenn alle in unterschiedliche Richtungen ziehen, wissen die Wähler nicht, was sie eigentlich wählen. Natürlich ist auch das BSW nicht perfekt. Auch wir haben hier und dort Konflikte. Aber wenige, das war eine Voraussetzung für unseren Erfolg.
Uns ist aufgefallen, dass sich im zurückliegenden Jahr Ihre Sprache radikalisiert hat. „Unterirdisch“, „heuchlerisch“, „verlogen“ findet sich mittlerweile in Ihrem Sprachgebrauch. Ist das Taktik oder Haltung?
Vielleicht war die Politik früher nicht so verlogen? (lacht) Aber im Ernst, viele Menschen, auch mich, empört die aktuelle Politik. Dieses Gutmenschen-Getue, das Reiten auf dem hohen Ross der Moral. Und den gleichen Politikern ist es egal, wenn noch mehr Rentner in die Armut fallen und Familien an der Teuerung verzweifeln. Die Grünen sind da besonders verlogen und heuchlerisch.
Ist es politisch vernünftig, Mitbewerber als „dümmste Regierung“ zu schmähen?
Deutschland ist das einzige Industrieland, in dem die Wirtschaft seit zwei Jahren schrumpft. Wir haben die höchsten Strompreise in ganz Europa. Wir könnten wichtige Industrien verlieren und wirtschaftlich absteigen. Das hat damit zu tun, dass die Regierungen die falschen Entscheidungen getroffen haben.
Wer käme nach dieser verbalen Aufrüstung für Ihre Partei überhaupt noch als Regierungspartner infrage?
Tun Sie doch nicht so, als würden andere Politiker Samthandschuhe tragen. Ich nenne schlechte Politik, Arroganz und Abgehobenheit beim Namen.
Die Grünen bezeichnen Sie als „die gefährlichste Partei.“ Auf der BSW-Homepage steht, Scholz und Merz gehörten „ins politische Abklingbecken.“ Das ist eine toxische Wortwahl.
Die politische Debatte ist tatsächlich aggressiver geworden. Aber von allen Seiten. Herr Habeck hat öffentlich behauptet, wir würden von Russland finanziert. Wir mussten ihn verklagen, jetzt sagt er das nicht mehr. Ein CSU-Politiker hat mich „den menschgewordenen Hitler-Stalin-Pakt“ genannt.
In Thüringen flutscht es schon mit der CDU, in Brandenburg mit der SPD, und nach der Bundestagswahl könnte es auch dort auf das BSW ankommen.
Wenn es auf uns ankommt, würden wir alles tun, die wirtschaftliche Talfahrt zu stoppen und wieder einmal Politik für die Ärmeren und die Mitte zu machen, die in den letzten Jahrzehnten viel Kaufkraft und Sicherheit verloren haben. Mit uns werden verlässlich keine Taurus-Raketen an die Ukraine geliefert, weil sonst der Krieg zu uns kommt.
Wenn das Ihre Bedingung ist, können Sie nur mit der Scholz-SPD koalieren.
Auf Scholz ist leider kein Verlass. Er ist beim Thema Waffenlieferungen immer wieder umgefallen. Aber ein starkes BSW kann verhindern, dass sich die Kriegsfalken in der SPD durchsetzen. Mit den Grünen können wir uns keine Koalition vorstellen. Schlimm genug, dass Merz nicht ausschloss, unsere Wirtschaft vier weitere Jahre Herrn Habeck auszuliefern. Auch Merz selbst steht nicht für das, was das Modell Deutschland erfolgreich gemacht hat: ein starker Mittelstand, fairer Wettbewerb, sozialer Zusammenhalt. Aber es gab in der CDU auch mal eine ordoliberale Tradition, irgendwann wird sie vielleicht wieder stärker.
Können Sie sich denn eine Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen?
Die AfD wird im nächsten Bundestag noch radikaler auftreten als bisher, weil über Direktmandate viele Rechtsextremisten in den Bundestag kommen werden. Frau Weidel ist das bürgerliche Gesicht einer Partei, in der der völkische Flügel von Björn Höcke mittlerweile das Sagen hat.
Auch in Ihrer Partei gab es tiefe Risse. Mit Katja Wolf, der Thüringer BSW-Chefin, haben Sie regelrecht Krieg geführt. Frau Wolf hat uns erzählt, Sie habe in dieser Zeit fünf Kilo abgenommen. Was hat das mit Ihnen gemacht?
Sie hat die fünf Kilo während der Koalitionsverhandlungen abgenommen, nicht wegen unserer Meinungsverschiedenheit. In der Abwägung, wie weit unsere Kompromissbereitschaft gehen sollte und ab wann wir Glaubwürdigkeit verlieren, hatten wir unterschiedliche Sichten. Gerade für eine junge Partei wie das BSW ist Glaubwürdigkeit eine Existenzfrage. Deshalb gab es massive Kritik im Thüringer Landesverband und auch vom Bundesvorstand an den Sondierungsergebnissen. Die Debatte war nicht optimal, aber im Ergebnis haben CDU und SPD verstanden, dass sie uns mehr entgegenkommen müssen, weil die Koalition sonst scheitert. So wurde ein Koalitionsvertrag erreicht, der unsere Handschrift trägt.
Ein Satz wie „Die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen sehen wir kritisch“ ist doch absurd. Thüringen hat jede Menge Probleme, aber die Koalitionäre in spe verhaken sich beim Thema Nato-Waffen?
Die Frage von Krieg und Frieden soll nicht wichtig sein? Die Raketen-Entscheidung ist im Juli von Herrn Scholz verkündet worden. Wir wollen sie rückgängigmachen.
Die Stationierung weitreichender US- Waffensysteme ab 2026 ist vom amerikanischen Präsidenten Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz gemeinsam vereinbart worden.
Die Entscheidung haben die USA getroffen und allein die US-Regierung wird auch über den Einsatz dieser Raketen entscheiden. Warum wollte kein anderes europäisches Land solche Raketen? Weil Raketen, die ohne Vorwarnzeit Moskau oder Teile der russischen Nuklearstreitkräfte pulverisieren können, das nukleare Risiko für uns massiv erhöhen. So argumentiert unter anderem Oberst a. D. Wolfgang Richter in einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die nächste Bundesregierung muss diese Entscheidung revidieren. Das wäre für uns Bedingung für eine Regierungsbeteiligung.
Glauben Sie im Ernst, dass Friedrich Merz wegen des BSW die Nato-Doktrin zur Debatte stellt?
Die Stationierung der Raketen ist eine US-Entscheidung, keine der Nato. Es sind Angriffsraketen, über deren Einsatz für die nächsten vier Jahre Donald Trump entscheidet. Deutschland hat noch nicht einmal ein Vetorecht. Wenn die Russen jemals annehmen, dass diese Raketen unmittelbar vor dem Einsatz stehen, könnten sie präventiv auf den roten Knopf drücken. Und wir wären das Ziel.
Sie übernehmen hier gerade Wladimir Putins Terminologie. Ist Ihnen das eigentlich klar?
Es geht nicht um Putins Sicht, sondern darum, dass wir einkalkulieren müssen, wie eine Atommacht reagiert. Die Stationierung dieser Raketen ist eine gefährliche Entscheidung, weil sie unser Land ins Fadenkreuz russischer Atomraketen bringt.
In der Frage der Unterstützung der Ukraine werden Sie als lautstarke Kritikerin wahrgenommen. Waren Sie schon einmal im Kriegsgebiet?
Der damalige ukrainische Vize-Außenminister Andrij Melnyk hat über mich und meinen Mann verbreitet, wir seien „Komplizen vom Kriegsverbrecher Putin, die als solche noch zur Rechenschaft gezogen werden.“ Ich gehe nicht davon aus, dass ich derzeit sicher durch die Ukraine reisen könnte. Das Land braucht auch nicht noch mehr Polittouristen, die dort zu Wahlkampfzwecken posieren, sondern es braucht endlich einen Waffenstillstand und Friedensgespräche.
Es gibt doch keinen Dissens darüber, dass die Ukraine zum Frieden finden soll. Aber bei Ihnen entsteht regelmäßig der Eindruck, die Ukraine habe ohnehin verloren und sollte einen russischen Diktatfrieden akzeptieren. Dieses Land ist das Opfer eines Angriffs. Aber Sie finden, es solle sich ergeben?
Es geht um einen Kompromissfrieden ohne unrealistische Vorbedingungen. Wenn ich zur Voraussetzung für einen Waffenstillstand mache, dass Putin seine Truppen zurückzieht, wird das Sterben nicht enden.
Lassen Sie uns zum Abschluss noch mal über Sie sprechen und eine schnelle persönliche Runde machen. Bei Brombeeren denke ich an…
… (lacht) inzwischen an mühsame Koalitionsverhandlungen. Aber eigentlich an eine Frucht, die süß und lecker ist.
An der CDU mag ich, dass…
…nicht alle Mitglieder Herrn Merz gut finden.
Das Schönste an Weihnachten ist, dass….
… hoffentlich ein bisschen Ruhe einkehrt. Selbst in diesem Jahr.
Glück bedeutet für mich ….
… Menschen zu haben, die mich lieben und denen ich vertrauen kann.
Ohne meinen Mann Oskar wäre ich…
…ziemlich einsam.