Sahra Wagenknecht

Totsparpolitik

Gastkommentar von Sahra Wagenknecht zum EU-Gipfel, erschienen in der jungen Welt am 19.10.2012

19.10.2012
Sahra Wagenknecht

Kaum hat die französische Nationalversammlung den Fiskalpakt gebilligt, der die europäischen Regierungen zum Schulden- und Sozialabbau verpflichtet, setzt Finanzminister Schäuble noch eins drauf. Er schlägt vor, daß das Letztentscheidungsrecht über die Haushaltspolitik der Euro-Staaten auf einen Brüsseler Sparkommissar übergeht. Zwar sind die Aussichten auf Durchsetzung dieses Vorschlags gering und mit der deutschen Verfassung nicht vereinbar. Doch ebenso wie der Vorschlag von Merkel, einen Wachstumsfonds zur Unterstützung notwendiger »Reformen« in den Krisenländern zu schaffen, erfüllt er seinen Zweck. Zum einen will die Bundesregierung mit derartigen Vorstößen von der katastrophalen Entwicklung in Ländern wie Griechenland oder Portugal ablenken und der wachsenden Kritik an der Totsparpolitik den Wind aus den Segeln nehmen. Zum anderen soll die strikte Kopplung von Finanzhilfen an Spardiktate, die auf dem letzten EU-Gipfel aufgeweicht werden konnte, wieder unangreifbar werden. Auch größere Euro-Länder wie Spanien oder Italien sollen also nur dann Gelder aus dem sogenannten Rettungsschirm ESM erhalten können, wenn sie im Gegenzug bereit sind, brutale Kürzungsprogramme durchzusetzen.

Nun ist eine Politik, die den Sozialstaat schreddert, um Banken zu retten, nicht besonders populär. Genau aus diesem Grund will Schäuble die nationalen Parlamente entmachten und unter die Knute eines Brüsseler Kommissars zwingen. Gleichzeitig will er auf EU-Ebene ein »flexibles Stimmrecht« bzw. einen Parlamentarismus à la carte einführen, der es erlauben würde, bei heiklen Themen nur einen Teil des Europäischen Parlaments einzubeziehen. Das ganze ist ein Masterplan für Demokratie- und Sozialabbau, der Europa spalten wird, ohne den Euro zu retten. Denn zentrale Voraussetzung für die Rettung des Euro ist die Beendigung der Totsparpolitik! Inzwischen gesteht selbst der Internationale Währungsfonds ein, daß zu harte Sparauflagen eine gefährliche Abwärtsspirale auslösen können. Eine Ratingagentur wie Moody's hat unlängst sogar die Kreditwürdigkeit Spaniens herabgestuft in der Erwartung, daß die spanische Gesellschaft durch die Kürzungspolitik zerrissen und zerstört wird.

Europa braucht daher keinen Sparkommissar, sondern ein Investitionsprogramm in Höhe von drei Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts. Statt den Banken Milliarden an Steuergeldern in den Rachen zu werfen, müssen sie vergesellschaftet und sämtliche Schulden, die auf die Bankenrettung zurückgehen, gestrichen werden. Damit ein solcher Schuldenschnitt nicht zu Zinsaufschlägen führt, muß die Euro-Zone aus ihrer Abhängigkeit von den Privatbanken mit ihren Wucherzinsen befreit werden, indem die Staaten direkte Kredite der Europäischen Zentralbank (EZB) erhalten. Statt die Kosten der Krise auf die normale Bevölkerung abzuwälzen, müssen die Millionäre in Europa über eine Vermögensabgabe endlich zur Kasse gebeten werden.