Sahra Wagenknecht

Eine Billion Euro

Kommentar von Sahra Wagenknecht, erschienen im Neuen Deutschland am 25.02.2013

25.02.2013

Nach Schätzungen des EU-Steuerkommissars geht der Europäischen Union jedes Jahr etwa eine Billion Euro durch Steuerhinterziehung und Steuerumgehung verloren. Diese Summe ist größer als der Haushalt der gesamten EU für die nächsten sieben Jahre! Doch statt gemeinsam gegen Steuerdumping vorzugehen, halten die Regierungen stur am Prinzip des »Steuerwettbewerbs« fest. Dafür werden die Ausgaben für strukturschwache Regionen brutal zusammengestrichen, allein auf die ostdeutschen Bundesländer kommen milliardenschwere Kürzungen zu. Dies wird die ökonomische und soziale Spaltung Deutschlands weiter vertiefen – zumal CDU-geführte Bundesländer wie Hessen und Bayern auch noch gegen den Länderfinanzausgleich klagen wollen, der innerhalb Deutschlands für ein Minimum an Umverteilung von wirtschaftsstarken in strukturschwache Regionen sorgt.

Doch nicht nur in Deutschland driften arme und reiche Regionen immer weiter auseinander, die Bundesregierung treibt auch die Verarmung und Spaltung Europas immer weiter voran. Dank der von Angela Merkel forcierten Kürzungspolitik ist die Arbeitslosenquote in den Euroländern mit rund zwölf Prozent so hoch wie seit 20 Jahren nicht mehr. In Griechenland liegt die Jugendarbeitslosigkeit inzwischen bei 62 Prozent! Auch in Spanien ist mehr als jeder zweite Jugendliche arbeitslos, in Italien, Portugal, Irland, Bulgarien, Zypern, Lettland, Ungarn und der Slowakei etwa jeder dritte.

Zwar haben die europäischen Regierungschefs nun eine Job-Garantie für Jugendliche versprochen. Doch mehr als unbezahlte Praktika werden dabei kaum herausspringen, denn zur Finanzierung dieser Job-Garantie sind im EU-Haushalt gerade einmal sechs Milliarden Euro bis 2020 eingeplant. Geht man davon aus, dass knapp acht Millionen Jugendliche unter 25 Jahren in Europa weder eine Stelle noch einen Ausbildungsplatz haben, reicht dies pro Person nicht einmal für ein mickriges Taschengeld von 9 Euro im Monat.Dabei könnte sich die EU ein üppiges Beschäftigungs- und Investitionsprogramm leisten, wenn sie Steueroasen schließen, sich auf Mindeststeuersätze für Unternehmensgewinne und Vermögen einigen und gegen die Steuertricks großer Konzerne vorgehen würde. Wie die OECD kürzlich berichtete, gelingt es vielen Großkonzernen, ihre Steuerlast auf unter fünf Prozent zu drücken, indem sie ihre Gewinne ganz legal in jene Länder verlagern, in denen kaum Steuern anfallen. Besonders IT-Unternehmen wie Google, Apple, Microsoft oder Amazon betreiben ein aggressives Steuerdumping, aber auch »traditionelle« Konzerne wie Starbucks oder Ikea nutzen die Schlupflöcher, die ihnen die Regierungen offen lassen, weidlich aus.

»Diejenigen Ausreden, in denen gesagt wird, warum die Aktiengesellschaft keine Steuern bezahlen kann, werden in einer sogenannten Bilanz zusammengestellt«, spottete Kurt Tucholsky schon vor über 80 Jahren. Seitdem hat sich kaum etwas geändert. Seit Jahren wird gefordert, dass alle Banken in ihren Bilanzen offenlegen, in welchen Ländern wie viele Gewinne und Steuern anfallen – doch immer wieder scheitern solche Vorstöße am hartnäckigen Widerstand der EU-Finanzminister. Und nicht nur große Banken und Konzerne zahlen kaum Steuern. Nach Schätzungen des Netzwerks Steuergerechtigkeit haben reiche Vermögensbesitzer bis zu 32 Billionen Euro in Steueroasen gebunkert. Geld ist also genug da. Was fehlt ist der politische Wille, sich mit den Reichen und Mächtigen anzulegen und diese zu zwingen, ihren Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens zu leisten.