"Beim Thema Steuerflucht zeigt sich die Feigheit der Herrschenden"
Rede von Sahra Wagenknecht in der Bundestagsdebatte zum globalen Steuerrecht am 07.06.2013
Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es gibt kaum ein Thema, bei dem die Feigheit der herrschenden Politik, sich mit den oberen Zehntausend anzulegen, so deutlich wird wie beim Thema Steuerflucht.
(Beifall bei der LINKEN)
Es gibt kaum ein Thema, das so erkennbar zeigt, dass in diesem Lande zweierlei Recht existiert: ein Recht für die große Mehrheit der Bevölkerung und ein ganz anderes Recht für die Superreichen.
Ein Schwarzfahrer kann im Knast landen, wenn er fünf Mal unbezahlt S-Bahn gefahren ist. Kleinen und mittleren Unternehmen werden regelmäßig die Betriebsprüfer ins Haus geschickt, und wehe, wenn sich herausstellt, dass einer 2 000 Euro Mehrwertsteuer nicht ordentlich deklariert hat. Aber ganz anders sieht die Welt der Konzerne und Superreichen aus. Das ist eine Welt, in der man sich ungestraft um einen erheblichen Teil seiner Steuerzahlungen drücken kann. Teils ermöglichen die von Ihnen gemachten Gesetzte dies ganz legal ‑ Herr Steinbrück, Sie waren doch vier Jahre Finanzminister; Sie haben an diesen Gesetzen so gut wie nichts geändert; alles ist in dieser Zeit weitergelaufen ‑,
(Beifall bei der LINKEN - Peer Steinbrück (SPD): Das ist doch Quatsch!)
teils findet diese Steuerflucht aber auch mit einem beeindruckenden Ausmaß an krimineller Energie statt, die deutlich macht, dass die Betroffenen davon überzeugt sind, dass ihre Helfershelfer auf der Regierungsbank sitzen. Wir reden hier nicht über Leute, die vielleicht aus nackter Existenzangst bei der Steuererklärung schummeln, weil sie mit ihrem Monatseinkommen nicht klarkommen würden, sondern wir sprechen von Multimillionären und Milliardären, die sich einen regelrechten Sport daraus gemacht haben, die Allgemeinheit und den Staat zu betrügen. Wir sprechen auch von einem Staat, der sich von diesen ganz gerne betrügen lässt. Sie haben es doch alle seit vielen Jahren gewusst, und Sie haben es alle laufen lassen: SPD und Grüne in ihrer Regierungszeit genauso wie die Große Koalition und jetzt Schwarz-Gelb. Schlimmer noch: Sie haben es gedeckt. Sie haben viel dafür getan, dass dieser Großbetrug weitergehen konnte.
Diese Bundesregierung hat mit der Schweiz ein Steuerabkommen ausgehandelt, das Millionenbetrüger straffrei stellen sollte. Wahrscheinlich hatte Ulli Hoeneß schon den Champagner kaltgestellt. Übrigens: Ohne die Stimmen der Linken wäre es nicht verhindert worden. Das zu der Frage, was Rot-Grün geschafft hat!
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist schon gesagt worden, dass es in der EU bis zu 1 500 Milliarden Euro Steuerausfälle gibt. Wenn man das auf zehn Jahre hochrechnet, dann entspricht dieser Betrag der gesamten europäischen Staatsverschuldung. Das bringt das zynische Gerede, man könne nicht dauerhaft über seine Verhältnisse leben, auf seinen rationalen Kern. Wer lebt denn in Europa über seine Verhältnisse? Nicht griechische Rentner und irische Lehrinnen und Lehrer, denen diese Bundesregierung noch das letzte Hemd auszieht, sondern diese kriminelle Vereinigung von Steuerhinterziehungsmillionären und ‑milliardären, die Sie gewähren lassen.
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist meines Erachtens eine schäbige Heuchelei, sich als eiserne Sparkanzlerin Europas zu inszenieren und gegen diesen Raubzug der High Society gegenüber den öffentlichen Finanzen in Europa nichts, aber auch gar nichts Ernsthaftes zu unternehmen. Da liegt das Geld, das Sie zur Sanierung der öffentlichen Finanzen in Europa brauchen.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Schätzungen der jährlichen Steuerausfälle in Deutschland belaufen sich auf 100 bis 160 Milliarden Euro. Das ist fast die Hälfte des gesamten Bundesetats. Trotz dieser Verhältnisse haben Sie die Stirn, uns in diesem Hohen Hause immer wieder zu erzählen, was alles nicht finanzierbar ist. Ein Kitaplatz für jedes Kind ‑ unfinanzierbar. Mehr Lehrerstellen und bessere Gehälter für Krankenschwestern und Pflegekräfte ‑ unfinanzierbar. Eine ordentliche Rente, die den Seniorinnen und Senioren in diesem reichen Land Deutschland ermöglichen würde, ihren Lebensabend ohne soziale Not zu genießen ‑ unfinanzierbar.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich sage Ihnen: Wenn etwas unfinanzierbar ist, dann ist es die von Ihnen geduldete Steuerflucht der Reichen. Für viele Konzerne gelten Steuerquoten von 5 bzw. 10 Prozent; davon kann jeder Facharbeiter und jeder Mittelständler nur träumen.
(Beifall bei der LINKEN)
Auf der Website Panama Corporate Database" kann jeder interessierte Bürger recherchieren, welche Familien und Unternehmerclans Briefkastenfirmen in der Steueroase Panama registriert haben. Die Liste liest sich wie das Who is who" des deutschen Wirtschaftsadels: die Porsches, die Piëchs, die Quandts und die Eigner der Kaffeedynastie Jacobs. Die Reaktion der Politik: keine.
Zur Steuermafia gehört natürlich auch die helfende Hand der Banken; auch das ist keine neue Erkenntnis. 2009 hatte die deutsche Finanzaufsicht die deutschen Banken nach Aktivitäten in Steueroasen gefragt. Heraus kam, dass hiesige Institute mehr als 1 600 Stiftungen und Trusts in allen bekannten Steuerparadiesen dieser Welt unterhalten. Die Reaktion der Politik: keine. Die Commerzbank, die es ohne Rettung durch den Steuerzahler überhaupt nicht mehr gäbe, wirbt völlig unbeeindruckt in ihren Prospekten für Geschäfte in Steueroasen. Das heißt: Hier betrügt sich der Staat als Anteilseigner quasi selbst. Die Grundlage für diese unseligen Zustände sind in einer Zeit gelegt worden, als Sie, Herr Steinbrück, Finanzminister waren.
(Beifall bei der LINKEN)
Es waren auch Sie, Herr Steinbrück, der die Abgeltungsteuer eingeführt hat. Die Abgeltungsteuer bedeutet nicht nur, leistungslose Vermögenseinkommen gegenüber Arbeitseinkommen zu privilegieren ‑ das ist ja ein sehr sozialdemokratisches" Anliegen ‑, sondern auch, dass ausländische Behörden viel schlechtere Auskunftsmöglichkeiten in Deutschland haben. Auch hierdurch wird die Steuerflucht begünstigt.
Auch von Rot-Grün wurde die Steuermafia immer mit Samthandschuhen angefasst. Es war der SPD-Finanzminister Hans Eichel ‑ das hat Herr Schäuble zu Recht angeführt ‑, der den kriminellen Machenschaften 2003 mit seiner Steueramnestie politischen Flankenschutz gegeben hat. Aus der Amnestie wurde bei der SPD offenbar die Amnesie; denn einer Ihrer Wahlkampfschlager ist jetzt: Steueramnestie abschaffen. Das ist ja richtig; aber Sie sind doch überhaupt nicht glaubwürdig in dieser Frage.
(Beifall bei der LINKEN)
Dass Deutschland heute weltweit zu den Top Ten der Steuer- und Geldwäscheparadiese gehört, hat Ihre Allparteienkoalition durchaus gemeinsam zu verantworten. Dabei haben die USA mit dem FATCA gezeigt, wie es geht. Finanzinstituten, die nicht kooperieren, wird mit drastischen Quellensteuern oder mit dem Entzug der Lizenz gedroht - und plötzlich geht es. Plötzlich verhandeln alle mit den US-Behörden. Plötzlich gibt es selbst mit den renitentesten Steueroasen Abkommen. Was die USA können, soll Deutschland nicht können?
Ich glaube, statt scheinheilige Maulheldendebatten zu führen,
(Joachim Poß (SPD): Sie sind ein prächtiges Beispiel für Maulheldentum!)
wie Sie es hier heute wieder tun, wäre es an der Zeit, der Steuermafia endlich das Handwerk zu legen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich kann Ihnen versprechen: Die Linke wird bei diesem Thema keine Ruhe geben, auch wenn die Wahl vorbei ist.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)