Keine Euro-Rettung zu Lasten der Demokratie"
Interview mit Sahra Wagenknecht, erschienen in der griechischen Zeitung Eleftherotypia am 23.06.2013
SAHRA WAGENKNECHT (stellvertretende Vorsitzende der deutschen Partei Die Linke)
Keine Euro-Rettung zu Lasten der Demokratie"
Interview mit STATHIS KOUVELAKIS
Die deutsche Politikerin spricht über den Versuch seitens der Regierung, die Bevölkerung zu manipulieren, bei dem Merkel als Verteidigerin ihres Geldes dargestellt wird, während in Wirklichkeit die Banken von ihrer Politik profitieren
"Wir können nicht hier in Deutschland sitzen und warten bis alles zusammenbricht. Wir müssen uns alternative Lösungen für die Währung überlegen, die der Entwicklung von Wechselkursspekulationen keinen Spielraum lassen und dem Kapitalfluss Kontrollen auferlegen werden" (Foto APE)
Sahra Wagenknecht ist eine der aufsteigenden Persönlichkeiten der deutschen Linken und der politischen Bühne ihres Landes. Sie ist seit 2010 Vizevorsitzende der Partei Die Linke und wirtschaftspolitische Sprecherin ihrer Fraktion und zeichnet sich durch ihre scharfen Statements und ihre schonungslose Kritik aus, die sie vom Rednerpult des Bundestages an Kanzlerin Merkel ausübt. Wir trafen sie in Berlin in ihrem Abgeordnetenbüro im Bundestag und diskutierten über die politischen Entwicklungen in Deutschland und über ihre kürzliche Positionierung in der Debatte über den Euro, die die Äußerungen von Oskar Lafontaine auslöste.
* Die Demoskopen sehen für die Wahlen vom September einen komfortablen Sieg Merkels voraus, und das vorherrschende Szenario scheint das einer großen Koalition" aus Christdemokraten und Sozialdemokraten der SPD zu sein. Könnte das die Aussage von Oskar Lafotaine bestätigen, wonach in Deutschland - mit Ausnahme Der Linke - ein Einparteiensystem mit vier Flügeln existieren würde?
- Die Einschätzung von Lafontaine ist absolut richtig. Das Problem ist nicht, dass die Mehrheit der deutschen Gesellschaft mit Merkels Politik zufrieden ist, so etwas ist nicht der Fall, sondern dass die Sozialdemokraten keine alternative Lösung darstellen. Der Vorsitzende der SPD Peer Steinbrück ist offensichtlich ein Mann der Banken und ein Verfechter der neoliberalen Agenda 2010", die die Regierung Schröder initiiert hatte und die zu einem gewaltigen Schrumpfen des Sozialstaates und zur Deregulierung des Arbeitsmarktes geführt hat.
Die Profite der Banken
* Herrscht aber nicht in der Öffentlichkeit die Meinung vor, dass Merkel die Interessen Deutschlands verteidigt?
- Das erscheint mir nicht so einfach. Es gibt natürlich den Manipulationsversuch, bei dem Merkel dargestellt wird als jemand, der das Geld der deutschen Steuerzahler und die Interessen der Wirtschaft verteidigen würde. Die Menschen sehen aber, dass es eigentlich die Banken sind, die von den Plänen zur Rettung des Euro profitieren und sie machen sich darüber Sorgen, dass die geleistete Finanzierung umsonst war. Die Diskussion über den nächsten Haircut" der griechischen Staatsschulden hat in Deutschland schon begonnen, und alle verstehen, dass die Kosten die Steuerzahler stemmen werden und nicht die privaten Banken, die die griechischen Schuldtitel, die sie besaßen, losgeworden sind. Dem besser informierten Teil der Bevölkerung ist darüber hinaus klar, dass im europäischen Süden die Arbeitslosigkeit erschreckend hoch ist, vor allem bei der Jugend. Immer mehr Menschen glauben nicht mehr, dass die ständig zunehmende Austerität ein Ausweg für diese Länder sein kann.
* Wenn es aber so ist, wie erklärt sich dann die schwierige Lage, in der sich heute die deutsche Linke befindet, obwohl sie die Merkelsche Politiken und den Neoliberalismus bekämpft?
Hier haben wir ein Paradox. Werden Bürger nach ihrer Meinung gefragt zu Vorschlägen, die nur Die Linke hervorbringt, ohne dass aber erwähnt wird, dass es sich um Vorschläge Der Linke handelt, dann sind die Akzeptanzquoten sehr hoch, um die 70%, vor allem wenn es sich um die sogenannte Rettung der Banken, den Anstieg der Gehälter und die Beendigung der sozialen Kürzungen handelt. Und doch lässt sich das nicht in die entsprechende Unterstützung der Partei Die Linke übersetzen.
Hierbei müssen wir zwei Faktoren mit berücksichtigen. Der erste ist, dass keine andere Partei bereit ist, mit uns zu kooperieren. Diejenigen, die uns wählen, wissen also, dass wir keine Kraft sind, die eine Perspektive auf Regierungsbeteiligung hat. Der andere Faktor hat mit unserer eigenen Verantwortung zu tun. Die Linke durchlief kürzlich viele interne Konflikte und Angriffe von innen, sogar von einem ehemaligen Parteivorsitzenden. Die Situation ist heute besser, doch dieses Bild blieb verhaftet.
Hier muss man einen weiteren Faktor hinzunehmen, der allen Ländern gemein ist. Dass wir nämlich die Medien gegen uns haben, sowohl die privaten wie auch die öffentlichen.
* Ich komme jetzt zum Thema Euro. Sie betonten, dass Die Linke zurecht auf ihren Positionen von Veränderungen auf europäischer Ebene besteht. Sie fügten sogar hinzu, dass die Debatte über eine Zahlungseinstellung und einen geordneten Ausstieg eines Landes oder einer Gruppe von Ländern aus dem Euro legitim sei und dass solche Maßnahmen auch als legale Notwehr" gesehen werden können. Viele kritisieren Sie allerdings, indem sie sagen, dass Ihre Meinung von Pessimismus zeuge, ja sogar von Aufgabe.
- Ich glaube nicht, dass es um Pessimismus oder Aufgabe geht, sondern ganz einfach um Realismus. Sicherlich könnte dem Euro noch eine Chance gegeben werden, wenn unsere Vorschläge umgesetzt würden. Wenn wir also große Lohnsteigerungen in Deutschland hätten, eine koordinierte Politik des Aufschwungs usw. Wir wissen allerdings, dass die einzige Partei, die all das vorschlägt, Die Linke ist. Die Sozialdemokraten unterstützen andauernd die Politiken von Merkel und auch in der Opposition haben sie für alle Rettungspläne der Banken und des Euro gestimmt. Das bedeutet, dass auch unter einer eventuellen rot-grünen Regierung, was ich nicht für wahrscheinlich erachte, sich die Politik Deutschlands nicht wesentlich ändern wird. Und Deutschland spielt eine ausschlaggebende Rolle auf europäischer Ebene.
Die Rettung des Euro zu Lasten des Lebensstandards vom Millionen von Menschen, mit einer grassierenden Arbeitslosigkeit, und letztlich zu Lasten der Demokratie selbst, ist nicht etwas, das ich mir wünsche. Wir müssen uns also über Alternativen unterhalten. Wir können nicht einfach hier in Deutschland sitzen und warten, bis alles zusammenbricht und dann sagen, es tut mir Leid, aber ich habe nicht rechtzeitig über alternative Vorschläge nachgedacht". Wir müssen uns alternative Lösungen für die Währung überlegen, die der Entwicklung von Wechselkursspekulation keinen Raum lassen und dem Kapitalfluss Kontrollen auferlegen werden. Die deutschen Linken müssen darüber hinaus solidarisch mit jenen im Süden sein, die über solche Optionen nachdenken. Es ist für mich ein Zeichen von Ignoranz, wenn man sagt, dies sei nationalistisch".
* Wie zum Beispiel in Zypern mit der linken Partei AKEL.
- Ganz genau. Diese Menschen versuchen auf die soziale Katastrophe, die ihr Land erfährt, zu antworten, das hat nichts Nationalistisches an sich.
Das deutsche Modell"
* Glauben Sie, dass es möglich ist, das deutsche Modell" in seinen Grundfesten in Frage zu stellen, und nicht nur in einzelnen Aspekten wie die Bedingungen zur Einkommensumverteilung oder die Deregulierung des Arbeitsmarktes, ohne den Euro an sich zu hinterfragen, der im Mittelpunkt der allgemeineren Architektur steht, die ihn stützt?
- Das Hauptproblem des deutschen Modells ist das Beharren auf dem Export. Binnenmarkt und Konsum sind zu seinem Nutzen geopfert worden. Allein die höhere Schicht und die exportorientierten Klassen profitieren, nicht die Beschäftigten. Würden wir das Modell zu Gunsten einer Binnenmarktunterstützung ändern, bräuchten wir keine Kürzungen bei den Sozialausgaben und auch keine Steuerbefreiungen für das Kapital. Heute sagen sogar Gewerkschafter diskutiert nicht über Alternativen zum Euro, denn wir hängen vom Euro ab, ohne den Euro werden Unternehmen, die exportieren, schließen, und wir werden die Arbeitsplätze verlieren". Und doch hatte Deutschland vor der WWU gute Ausfuhrleistungen, wenn auch sicherlich nicht diesen Ausmaßes, trotz der relativ hohen Gehälter. Jetzt gehen wir allerdings soweit, dass wir sogar Spargel oder Erdbeeren exportieren! Das ist eine völlig verzerrte Entwicklung, die zeigt, dass die Profiteure vom Euro in Deutschland nicht die soziale Mehrheit ist.