"Ohne einen starken Binnenmarkt gibt es auch kein starkes Handwerk!"
Rede von Sahra Wagenknecht in der Debatte des Bundestages am 08.07.2011 zum Handwerk
Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, nach so viel Selbstbeweihräucherung sollten wir auf das Thema zurückkommen.
(Beifall bei der LINKEN ‑ Volker Kauder (CDU/CSU): Das Selbstbeweihräuchern können Sie als Sozialistin ja sehr gut!)
Etwa 22,4 Milliarden Euro wird die Kreditanstalt für Wiederaufbau nicht etwa zur Förderung des Handwerks, sondern für das bisher beschlossene Griechenland-Paket bereitstellen. Je mehr Geld die KfW dafür verwenden muss, die Schulden Griechenlands gegenüber den Banken zu bedienen, desto weniger hat sie logischerweise zur Verfügung, um Förderprogramme aufzulegen,
(Dr. Michael Meister (CDU/CSU): Das ist doch Unsinn! Das ist Unverstand!)
die nicht zuletzt dem deutschen Handwerk zugutekämen. Dies haben Sie beschlossen, obwohl Sie ganz genau wissen, wie stark der Bedarf in dieser Richtung wäre. Die KfW hat bereits vor der Finanzkrise in ihren Mittelstandspanels ‑ vielleicht sollten Sie dort einmal hineinschauen ‑ sehr deutlich nachgewiesen, dass sich die Finanzierungsbedingungen gerade kleiner Unternehmen in Deutschland mit bis zu zehn Beschäftigten seit Ende der 1990er Jahre teilweise dramatisch verschlechtert haben. Die Laufzeiten der Kredite wurden immer kürzer, und teilweise waren solche kleinen Unternehmen sogar gezwungen, sich über teure Dispokredite zu refinanzieren.
Wenn man diese Situation ins Auge nimmt, dann wird völlig klar, dass dem deutschen Handwerk zum Beispiel durch gesetzliche Zinsobergrenzen, die die Wucherzinsen bei Dispokrediten verhindern würden, weiß Gott mehr geholfen wäre als durch Schönwetterreporte, wie sie hier vorgelegt wurden und mit denen sich die Bundesregierung selber auf die Schultern klopft.
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist gerade ein Jahr her, dass Sie beschlossen haben, dass die Mittel der KfW für energetische Gebäudesanierung auf die Hälfte zusammengestrichen werden. Vor ein paar Wochen haben Sie sich das dann wieder anders überlegt. Das ist zwar schön, aber das ist doch keine klare Linie. Das ist eine völlig unseriöse Pingpongpolitik. Das ist genau das Gegenteil von dem, was die 5 Millionen Menschen, die in Deutschland im Handwerk arbeiten, tatsächlich brauchen: Sie brauchen verlässliche Rahmenbedingungen und nicht eine Bundesregierung, die mit ihren Interessen Pingpong spielt.
(Beifall bei der LINKEN)
Oder nehmen Sie die Fiskalpolitik: Erst werden gigantische Schulden aufgehäuft, nicht zuletzt zur Rettung maroder Banken. Dann geht die Bundesregierung hin und verkündet mal eben Steuersenkungen für das Wahljahr 2013. Das, was Sie hier machen, ist doch Harakiri. Das kann doch kein Mensch mehr ernst nehmen. Natürlich kämen dem deutschen Handwerk Steuersenkungen gerade im Bereich der niedrigen und mittleren Einkommen zugute. Aber das ist doch nur verantwortbar, wenn man gleichzeitig mehr Steuern einnimmt, zum Beispiel bei Banken und Konzernen oder bei Millionären und deren Erben.
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist doch möglich, sich bei denen das Geld zurückzuholen, statt alles auf Pump zu machen, so wie Sie das tun.
Es ist tatsächlich ein Skandal, dass in Deutschland Einkommen bei einer besser bezahlten Arbeit in der Spitze mit bis zu 42 Prozent besteuert werden, aber völlig leistungslose Vermögenseinkommen, Zinsen und Dividenden, gerade einmal mit 25 Prozent besteuert werden. Wer arbeitet und etwas besser verdient, zahlt bis zu 42 Prozent. Wer nicht arbeitet und von seinem Vermögen lebt, der zahlt nur 25 Prozent Steuern.
(Zuruf von der LINKEN: Lächerlich!)
Diese irrsinnige Situation wurde damals unter Finanzminister Peer Steinbrück eingeführt. Doch auch die heutige Bundesregierung würde nie auf die Idee kommen, an dieser Situation irgendetwas zu ändern. Ich sage Ihnen: Solange Sie diese Situation aufrechterhalten, brauchen Sie gar nicht mehr von Leistung zu reden oder davon, dass sich Leistung lohnen muss. Das, was Sie machen, ist eine leistungsfeindliche Politik.
(Beifall bei der LINKEN)
Diese Steuerpolitik hat außerdem zur Folge, dass viele Kommunen ihre elementaren Aufgaben nicht mehr erfüllen können. Ein Ergebnis dessen ist nicht zuletzt, dass das Niveau bei den öffentlichen Investitionen in Deutschland ‑ das ist schon angesprochen worden ‑ jämmerlich ist. Das kommt daher, dass die öffentlichen Investitionen immer weiter zusammengestrichen wurden. Aber öffentliche Investitionen, gerade in Infrastruktur, Baumaßnahmen und anderes, bedeuten Aufträge und Arbeitsplätze für das deutsche Handwerk und für die lokalen Anbieter. Die Situation könnte sich zusätzlich verbessern, wenn Sie die Vergabegesetze auf Landesebene so verändern würden, dass kleine lokale Anbieter gegenüber großen Unternehmen und internationalen Konzernen bevorzugt werden.
Aber das ist ja die nächste große Lüge Ihrer Politik. Sie reden immer von Wettbewerb und Mittelstandsorientierung. Tatsächlich aber machen Sie eine Politik, von der vor allem die Großanbieter, die großen Unternehmen profitieren, die ihre Marktmacht zulasten der Kunden und natürlich auch zulasten der Zulieferer völlig ungestört immer weiter ausbauen können. Das gilt für Ihre Energiepolitik und auch für nahezu alle anderen Bereiche.
In Ihrer Antwort auf die Große Anfrage von CDU/CSU und FDP gibt die Bundesregierung selber zu, dass sich die Beschäftigung im Handwerk insgesamt eher ungünstig entwickelt hat. Die Begründung, die Sie dafür geben, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Sie führen das auf die ‑ ich zitiere ‑ schwache Konsumneigung der privaten Haushalte" zurück. Ich frage Sie: Wo leben Sie eigentlich? Wollen Sie einem Beschäftigten, dessen regulärer Job gerade outgesourct wurde oder der in eine Leiharbeit abgedrängt wurde und nur noch die Hälfte verdient, wirklich vorwerfen, er habe eine niedrige Konsumneigung? Oder die Millionen Beschäftigten, die für Hungerlöhne von 5 oder 6 Euro die Stunde malochen müssen: Haben diese eine niedrige Konsumneigung? Oder die Millionen Rentnerinnen und Rentner in diesem Land, die seit Jahren sinkende Renten hinnehmen müssen: Haben auch diese eine mangelnde Konsumneigung? Das ist doch absurd, das ist doch blanker Hohn.
(Beifall bei der LINKEN Hans-Michael Goldmann (FDP): Sagen Sie doch mal was zu den Rentnern in der ehemaligen DDR!)
Das Problem der Menschen in diesem Land ist wahrlich nicht, dass ihre Konsumneigung zu niedrig ist. Das Problem der Menschen in diesem Land ist, dass sie nicht genug Geld in der Tasche haben, um sich die Dinge zu kaufen, die sie brauchen und die sie sich sehr gerne leisten würden, wenn sie es könnten.
Lohndumping stimuliert vielleicht den Export. Aber wer sich für das Handwerk wirklich einsetzen will, der muss bitte schön auch dafür sorgen, dass das Handwerk zahlungskräftige Kunden hat, und zwar hier im Land.
(Beifall bei der LINKEN)
Ein Programm zur Stärkung der Kaufkraft durch Mindestlöhne, durch höhere Renten, durch eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze auf 500 Euro käme am Ende auch dem deutschen Handwerk zugute;
(Beifall bei der LINKEN)
denn ohne einen starken Binnenmarkt gibt es auch kein starkes Handwerk.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)