Den europaweiten sozialen Kahlschlag stoppen
Interview mit Sahra Wagenknecht, erschienen am 16.01.2012 auf www.linksfraktion.de
Sahra Wagenknecht, wirtschaftspolitische Sprecherin und 1. stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, über die von Merkel und Sarkozy angestrebte Fiskalunion in der Eurozone, Schuldenbremsen als Vorwand für Sozialkürzungen, die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) und die Folgen der von der Kanzlerin forcierten verschärften Wettbewerbsfähigkeit in Europa
Als eine Art fiskalischen Sadomasochismus bezeichnete kürzlich ein Autor des englischen "Guardian" die Sparpolitik und Schuldenbremsen, die den Ländern der Eurozone vom Duo Merkel und Sarkozy durch die sogenannte Fiskalunion verordnet werde. Erst müsse auf Teufel komm raus gespart werden, dann folge die Rezession, weshalb die Defizitgrenze nicht eingehalten werden könne, und dann setze es eben deshalb eine Strafe. Ist dieses Bild zutreffend?
Sahra Wagenknecht: Durchaus. In den nächsten fünf Jahren müssen die Eurostaaten 1,5 Billionen Euro einsparen, um den unsinnigen Fiskalpakt zu erfüllen. Dabei wurden die Löhne, Renten und Sozialleistungen vieler Euroländer bereits in den letzten Jahren brutal zusammengestrichen. Das ist eine sadistische Politik, die sich gegen die Mehrheit der Bevölkerung richtet. Und ökonomisch unsinnig ist sie auch, da sie die Rezession vertieft und die Schuldenlast weiter anschwellen lässt.
Was ist falsch an den Schuldenbremsen?
Der Begriff "Schuldenbremse" ist irreführend, da gegen die Schuldenmaschine der Banken nichts unternommen wird. Im Gegenteil: Für die Bankenrettung sollen weitere Steuermilliarden verpulvert werden. DIE LINKE lehnt Schuldenbremsen ab, da sie nur als Vorwand für Sozialkürzungen dienen werden. Gegen einen Schuldenschnitt, der nur die Reichen trifft, hätten wir hingegen nichts einzuwenden. Vermögen und Schulden sind zwei Seiten derselben Medaille. Wir fordern daher eine Vermögensabgabe für Millionäre, mit der sich der Schuldenberg deutlich reduzieren ließe.
Fährt Deutschland nicht gut mit der Schuldenbremse? Die Finanzmärkte vertrauen Deutschland doch offenbar. In der vergangenen Woche verdiente Deutschland sogar erstmals Geld mit Schulden. Für eine Anleihe von 3,9 Milliarden Euro für sechs Monate lagen die Zinsen bei minus 0,01 Prozent. Wie bewerten Sie das?
Es ist einerseits ein Zeichen, dass sich die Eurokrise weiter zuspitzt. Die Banken und Besitzer großer Vermögen ziehen ihr Geld aus den Krisenländern ab und legen es in Deutschland an, das immer noch als sicherer Hafen gilt. In gewisser Hinsicht profitiert Deutschland so von der Misere in den anderen Eurostaaten. Andererseits sind sinkende Anleihezinsen eine Folge des gewaltigen Weihnachtsgeschenks, das die Europäische Zentralbank den Banken gemacht hat.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Banken Kredite über fast 500 Milliarden zu einem extrem niedrigen Zinssatz von einem Prozent für drei Jahre überlassen. Die Banken könnten mit dem Geld Staatsanleihen kaufen und so die Zinsen der Krisenländer drücken. War das erwünscht und ist das auch passiert?
Auch wenn die Zinsen für kurzfristige Anleihen etwas zurückgegangen sind: Länder wie Italien, Griechenland oder Spanien müssen den Investoren weiterhin viel zu hohe Zinsen zahlen. Die EZB hätte das Geld besser direkt den Staaten gegeben. Stattdessen hat man die Profite der Banken subventioniert, die an der Zinsdifferenz nun üppig verdienen können.
Was hindert die EZB daran, den Staaten das Geld direkt zu leihen?
Die direkte Staatsfinanzierung ist der EZB nach dem Lissabon-Vertrag und nach ihrer eigenen Satzung verboten. Aber zum einen sollten Verträge und Satzungen geändert werden, wenn sie der Realität nicht mehr gerecht werden. Zum anderen könnte man eine öffentliche Bank gründen, die sich von der EZB Geld leiht und es ohne Zinsaufschlag an die Staaten weitergibt.
In der vergangenen Woche stand die Finanztransaktionssteuer wieder zur Debatte. Erwarten Sie, dass sie noch in diesem Jahr eingeführt wird?
Ich halte das nicht für unwahrscheinlich. Selbst innerhalb der FDP bröckelt der Widerstand gegen die Einführung dieser Steuer. Außerdem wird Schäuble die Steuereinnahmen brauchen, um Haushaltslöcher zu stopfen, die durch die Bankenrettung aufgerissen werden. Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen es leid sind, dass die Verursacher der Krise ungeschoren davonkommen und über die Regulierung der Finanzmärkte immer nur geredet wird, ohne dass Taten folgen.
Bislang wurde gegen die Börsensteuer immer mit der Begründung argumentiert, dass der Handel auf andere Finanzplätze ausweiche. Die EU-Kommission will dem durch das sogenannte Ansässigkeitsprinzip vorbeugen entscheidend für die Besteuerung soll der Sitz des Händlers sein. Ist das praktikabel?
Ja, die Hinterziehungsmöglichkeiten werden durch das Sitzlandprinzip eingeschränkt. Die Steuer soll fällig werden, wenn ein Käufer oder Verkäufer aus dem Geltungsbereich des Gesetzes kommt. Es würde also nichts bringen, nur den Handel zu verlagern, man müsste schon gleich seinen Wohnsitz beziehungsweise den Sitz einer Gesellschaft entsprechend verlegen. Ein Schlupfloch sehe ich allerdings darin, dass nicht alle Geschäfte von Tochtergesellschaften europäischer Finanzakteure erfasst werden sollen.
Kanzlerin Merkel will ein Europa nach deutschem Vorbild, meinen manche die Produktion verbilligen, um international wettbewerbsfähig zu sein und dadurch mehr zu exportieren. Der amerikanische Ökonom Paul Krugman spottete, das könne nur funktionieren, wenn man anfange mit Außerirdischen zu handeln. Hat er recht?
Entweder man handelt mit Außerirdischen oder man verschuldet sich bei der Galaxis... Nein im Ernst: Wenn mehr Länder Exportüberschüsse erzielen wollen, müssen andere Länder mehr importieren als sie exportieren. Die USA haben dies lange Zeit gemacht. Doch dieser kreditfinanzierte Konsum funktioniert dort nicht mehr, da eine seiner Grundlagen steigende Immobilienpreise und die damit verbundene Möglichkeit, immer neue Hypotheken aufzunehmen weggefallen ist. Es ist höchste Zeit, dass Deutschland seinen Binnenmarkt ankurbelt und mehr importiert auch um Ländern wie Griechenland, Italien oder Portugal eine Chance zu geben. Dazu müsste die gesamte Agenda 2010 rückgängig gemacht, der Niedriglohnsektor ausgetrocknet und Renten und Sozialleistungen deutlich angehoben werden.
Welche Folgen hat die Politik der von Merkel forcierten internationalen Wettbewerbsfähigkeit für die Bevölkerung?
Die Beschäftigten sollen für weniger Geld immer länger arbeiten und so die Profite der Konzerne mehren. Die Lohnnebenkosten sollen gedrückt werden, was Kürzungen bei den Renten, beim Arbeitslosengeld und im Gesundheitswesen nach sich ziehen würde. Um den Unternehmen weitere Steuergeschenke machen zu können, sollen die Verbrauchssteuern angehoben werden. Ob Merkel sich damit durchsetzen kann, wird aber auch davon abhängen, wie stark die Proteste gegen den europaweiten Sozialkahlschlag ausfallen werden.
Wie können sich Länder wie Spanien, Portugal oder auch Italien aus der Abhängigkeit von den Finanzmärkten befreien?
Wenn alle Eurostaaten zinsgünstige Kredite bei der EZB erhielten, wären die Länder nicht länger den Investmentbankern und Ratingagenturen ausgeliefert. Wenn man außerdem die Reichen höher besteuern würde, könnte man Schulden abbauen und wäre auf zusätzliche Kredite nicht mehr so angewiesen.
Die Fraktion DIE LINKE hat viele Vorschläge zur Lösung der Bankenkrise vorgelegt. Kann die Fraktion im Jahr 2012 noch mehr tun, als die Politik der Regierung kritisch zu begleiten?
Auch 2012 müssen wir das verfehlte Krisenmanagement der Regierung bei jeder Gelegenheit anprangern und unsere Alternativen aufzeigen. Kritik allein reicht aber nicht, wir sollten auch - gemeinsam mit Gewerkschaften und sozialen Bewegungen - einen Beitrag zur Organisation von Protesten leisten. Zum Beispiel sollten wir uns an den geplanten Aktionstagen Mitte Mai beteiligen und die Abstimmung über den Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) durch außerparlamentarische Aktionen begleiten. Schließlich sollten wir uns stärker auf jene Themen fokussieren, die den Menschen auf den Nägeln brennen, statt uns über nebensächliche Fragen öffentlich zu streiten oder endlose Personaldebatten zu führen.