Sahra Wagenknecht

"Wer Demokratie will, muss die Finanzmafia entmachten"

Rede von Sahra Wagenknecht in der Finanzmarktdebatte des Bundestages am 15.03.2013

15.03.2013
Sahra Wagenknecht, DIE LINKE: »Wer Demokratie will, muss die Finanzmafia entmachten«

Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Alle Finanzmärkte, Produkte und Akteure sollen reguliert oder beaufsichtigt werden.

Das hat die G 20 im Jahr eins der großen Finanzkrise im Herbst 2008 angekündigt. Fast fünf Jahre ist das her. Ich muss schon sagen: Angesichts der Ausmaße und der Dramatik der Katastrophe und angesichts der Billionenkosten, die auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler abgewälzt wurden, finde ich die seither an den Tag gelegte politische Untätigkeit der Verantwortlichen schlicht und ergreifend skandalös.

(Beifall bei der LINKEN)

Fünf Jahre - und nichts hat sich daran geändert, dass im Finanzsektor obskure Papiere kreiert und aberwitzige Geschäftsmodelle verfolgt werden, während die Kreditvergabe an reale Unternehmen immer dürftiger wird. Nichts hat sich daran geändert, dass mit diesen obskuren Papieren Monat für Monat mehr Geld verdient wird, als beispielsweise ein Arzt, der jede Woche Menschenleben rettet, oder ein Ingenieur, der Hightechmaschinen konstruiert, im ganzen Leben verdienen kann. Auch die vorliegenden Gesetzentwürfe werden an dieser skandalösen Situation nicht das Geringste verändern.

Derivate, also das, was Warren Buffett finanzielle Massenvernichtungswaffen nannte, sind heute im Nominalwert von 640 Billionen Dollar auf dem Markt. Das ist etwa zehnmal mehr als das, was die gesamte Weltwirtschaft an Gütern und Leistungen produziert. 53 Billionen Euro sind inzwischen im Schattenbankensystem angelegt, also in dem unregulierten Dickicht von Hedgefonds, von Private-Equity-Haien und sonstigen Finanzspekulanten, die gar keiner Aufsicht unterliegen.

Auch für die Banker hat sich doch im Ernst nicht wirklich etwas verändert. Das Regulierungspaket Basel III wurde von der Lobby kleingeschossen, und es ist völlig offen, ob es überhaupt jemals in Kraft treten wird. Die strengeren Liquiditätsvorgaben wurden aufgeweicht. Die höheren Eigenkapitalanforderungen sind ein Witz, solange die Banken einfach nur ihre Modelle, wie sie die Risiken berechnen, ändern müssen. Schwupp ist dadurch die Eigenkapitalquote höher, ohne dass ein einziger müder Euro zusätzliches Eigenkapital aufgenommen wurde.

(Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU): Ganz dummes Zeug ist das!)

- Sie haben offenbar keine Ahnung.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Deutsche Bank hat im letzten Jahr ihre risikogewichteten Aktiva um 12 Prozent reduziert. Wie hat sie das gemacht? Etwa dadurch, dass sie weniger Derivate aufgelegt oder weniger in Lebensmitteln spekuliert hat? Davon kann keine Rede sein. Im Gegenteil: Hier dreht sie wieder ein ganz großes Rad. Sie hat das gemacht, indem sie, wie sie es selber nett formuliert, Model Improvements nutzt. Ich kann Ihnen erklären, was das ist. Das funktioniert in etwa so wie mit dem Armuts- und Reichtumsbericht. Wer glaubt, dass Armut dadurch verschwindet, dass man sie im Regierungsbericht nicht mehr erwähnt, der glaubt wahrscheinlich auch, dass Risiko dadurch verschwindet, dass man einfach die Berechnungsmethode verändert. Ich halte diese Logik für völlig absurd.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das eigentliche Problem ist doch: Eine Bank, die weiß, dass die Regierung sie niemals fallen lassen kann, hat es doch gar nicht nötig, Eigenkapital zu bilden. Die kann es sich, wie die Deutsche Bank, leisten, mitten in der Euro-Krise Boni in Höhe von 3,2 Milliarden Euro an ihre Investmentbanker auszuschütten. Insgesamt haben die Banker im letzten Jahr übrigens 300 Milliarden Euro an Boni verteilt, die ganzen Dividenden, die ausgeschüttet wurden, nicht mitgerechnet. Angesichts solcher Zustände behaupten Sie, wir seien auf einem guten Weg.

Vielleicht hätten Sie von der Bundesregierung, statt sich im Laufe dieser Legislaturperiode etwa hundertmal mit Investmentbankern zu treffen, sich lieber einmal mit den Geschäftsführern kleiner und mittlerer Unternehmen austauschen sollen,

(Beifall bei der LINKEN)

die Ihnen vielleicht plastisch geschildert hätten, wie oft sie schon mit dem Anliegen, einen langfristigen Investitionskredit zu bekommen, bei ihrer Bank abgeblitzt sind und was das am Ende für die Arbeitsplätze und für die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft bedeutet. Oder Sie hätten sich vielleicht mit Familien treffen können, die in der Dispofalle festhängen und von den Banken jeden Monat mit Überziehungszinsen von 12 oder 14 Prozent abgezockt werden ‑ von denselben Bankern, die dieses Geld praktisch gratis von der Europäischen Zentralbank bekommen.

Die Wahrheit ist leider: Kein Finanzmarkt, kein Produkt und kein Akteur ist heute wesentlich wirksamer reguliert und beaufsichtigt als im Jahre 2008. Das ist ein Armutszeugnis für die Politik und ein erschreckender Ausweis ihrer Abhängigkeit und Steuerbarkeit durch die Lobby der Banker und Finanzjongleure.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Schäuble, Sie haben selbst öffentlich gewarnt, dass die Demokratie eine nochmalige Finanzmarktkrise in diesem Ausmaß nicht überleben würde. Ich frage Sie: Wie können Sie es dann verantworten, alles weiterlaufen zu lassen? Der Finanzmarkt ist heute doch genauso wie vor fünf Jahren ein Markt ohne Haftung und Verantwortung, ein Markt, auf dem die normalen Gesetze, denen sich alle anderen unterwerfen müssen, schlicht und ergreifend nicht gelten. Die Banken, die jahrelang den Libor manipuliert und sich damit Milliardengewinne ergaunert haben, sollen nach dem Wunsch der EU-Kommission jetzt straffrei ausgehen, genauso wie auch die ganz großen Finanzmüllproduzenten für das, was sie angerichtet haben, nie zur Verantwortung gezogen wurden.

Für die Situation, in der wir sind, tragen Sie alle eine Mitverantwortung. Hätte beispielsweise Rot-Grün damals die Hedgefonds in Deutschland nicht zugelassen,

(Manfred Zöllmer (SPD): Das ist doch Blödsinn! Das ist Schwachsinn!)

dann müssten wir uns gar nicht erst den Kopf darüber zerbrechen, wie diese verrückten Finanzvehikel wieder reguliert werden können.

(Manfred Zöllmer (SPD): Wo war denn damals Lafontaine? Sie haben überhaupt keine Ahnung!)

‑ Das tut Ihnen weh, aber es ist leider die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN - Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Es gibt 18 Hedgefonds in Deutschland mit weniger als 2 Milliarden! Das war eine prima Regulierung damals!)

Hätte die Große Koalition die Idiotie der Kreditverbriefungen nicht ausdrücklich gefördert, dann wäre vermutlich weniger von diesem Müll in den Bilanzen der Landesbanken hängen geblieben. Hätte ein Herr Steinbrück nicht das Gesetz zur Bankenrettung ausgerechnet von den Lobbykanzleien der Banker selber schreiben lassen, dann hätten sich die Probleme natürlich auch weniger generös für die Finanzinstitute und weniger ruinös für den Steuerzahler lösen lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Manfred Zöllmer (SPD): Das ist doch Blödsinn, was Sie da behaupten!)

Oder will heute noch jemand behaupten, dass es alternativlos war, der Commerzbank mindestens 2 Milliarden Euro zu schenken? 2 Milliarden Euro, davon könnten Sie den Heizkostenzuschuss für arme Familien zehn Jahre weiter zahlen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Bullshit-Bingo!)

Oder wollen Sie behaupten, dass es alternativlos war, 200 Milliarden Euro in der Hypo Real Estate zu versenken,

(Joachim Poß (SPD): Das ist Demagogie!)

nur damit der charmante Herr Ackermann seine Forderungen an die Hypo Real Estate nicht abschreiben muss? Dass Lobbykanzleien wie Freshfields für ihre erfolgreiche Interessenvertretung für die Banker dann auch noch 100 Millionen Euro vom Staat bekommen haben, setzt dem Ganzen allerdings die Krone auf.

Insoweit muss ich schon sagen: Wenn man sich ansieht, wie erfolgreich die Finanzmafia in Deutschland den Steuerzahler über den Tisch gezogen hat und wie engagiert Herr Steinbrück als damaliger Finanzminister dabei behilflich war, dann sind die später geflossenen Honorare natürlich durchaus nachvollziehbar. Es ist nur schade, dass Korruption nach dem Motto „Gezahlt wird später" in Deutschland nicht strafbar ist.

(Beifall bei der LINKEN - Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Oh! Das ist natürlich ein starkes Stück!)

Ich muss sagen: Natürlich finde ich es sympathisch, dass die SPD die Banken jetzt regulieren will; denn das sagen und fordern wir ja schon lange. Aber ich muss Sie fragen: Wenn Sie ernsthaft den Banken ans Leder wollen, wie konnten Sie dann ausgerechnet den Bankenmann Peer Steinbrück zu Ihrem Kanzlerkandidaten machen? Das nimmt Ihnen doch der Dümmste nicht ab,

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

zumal die große Koalition der Bankenretter leider bis heute reibungslos weiterläuft.

(Zuruf des Abg. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD))

Auch die Euro-Rettung war von Beginn an nichts anderes als eine einzige große Bankenrettung: Etwa 50 Milliarden Euro sind aus dem Rettungsschirm direkt an die griechischen Banken geflossen, 5 Milliarden Euro davon ‑ das hat die Bundesregierung selber bestätigt ‑ an die Eurobank des griechischen Milliardärs Latsis, der in einer Villa am Genfer See sein Leben genießt. Wollen Sie wirklich behaupten, dass der Euro kaputtgegangen wäre, wenn der griechische Milliardär Latsis einen Teil seines Vermögens verloren hätte?

Sie reden von einem Bail-in der Gläubiger und von Haftung; aber Sie tun alles, dass diese Haftung und dieser Bail-in nicht kommen. Wo war der Aufschrei der Bundesregierung, als die Europäische Zentralbank Irland unter Druck gesetzt hat, seine Banken und deren Gläubiger komplett freizukaufen, obwohl das kleine Land sich dadurch eine Verschuldung aufgehalst hat, für die noch Generationen bluten werden? Wo ist der Aufschrei der Bundesregierung angesichts des aktuellen Richtlinienentwurfs der EU-Kommission, nach dem eine Gläubigerhaftung bis 2018 ausgeschlossen werden soll? Und hören Sie doch auf, uns zu erzählen, diese elende Bankenretterei auf unser aller Kosten wäre im Interesse des Kleinsparers! Das ist nun wirklich eine der dümmsten Lügen.

(Beifall bei der LINKEN)

Selbstverständlich könnten wir es in Europa machen, wie es die Isländer vorgemacht haben: Einlagen bis zu einer gewissen Höhe werden geschützt ‑ sagen wir bis 500 000 Euro; damit es wirklich niemanden trifft, der für sein Geld hart gearbeitet hat ‑, alles andere allerdings ‑ zunächst die Aktien, dann die Bankschuldverschreibungen und schließlich die Einlagen, die über diese Grenze hinausgehen ‑ geht, wenn eine Bank pleite ist, in die Insolvenzmasse ein. Wo ist denn da das Problem? Jeder Handwerksbetrieb, der für ein Unternehmen gearbeitet hat, das pleitegeht, muss seine Forderungen abschreiben; da springt auch nicht der Staat bzw. der Steuerzahler rettend ein. Für so eine Regelung bräuchte man keine dicken Gesetze und keine endlosen EU-Richtlinien. Man hätte es in Irland und Griechenland so machen können, und man könnte es jetzt in Spanien und Zypern so machen ‑ und natürlich auch hier in Deutschland.

(Beifall bei der LINKEN)

Wäre dieser Weg in Europa beschritten worden, dann wären die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler heute um 4,5 Billionen Euro reicher. Im Gegenzug gäbe es vermutlich einige Milliardäre weniger, und das Vermögen der europäischen Oberschicht wäre vielleicht auf das Niveau der 90er-Jahre zurückgestutzt. Dann könnten wir in Deutschland mehr Lehrer und mehr Krankenschwestern beschäftigen, und in Griechenland und Spanien wären wahrscheinlich nicht 60 Prozent aller jungen Menschen ohne Arbeit und ohne Perspektive. Wäre das eine so schlechte Alternative?

Ich glaube, der Nobelpreisträger Stiglitz hat völlig recht: Das Problem ist die Verbindung von Wirtschaft und Politik. - Wer Demokratie will, muss die Finanzmafia entmachten, statt sich von ihr einkaufen zu lassen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen in Deutschland keine große Koalition der Bankenretter. Was wir brauchen, ist eine Politik, die endlich den Mut aufbringt, den Zockern das Handwerk zu legen. Dafür werden wir als Linke weiterhin streiten.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)