Sahra Wagenknecht

"Das Steuerabkommen ist ein Konjunkturprogramm für die Nadelstreifenmafia"

Rede von Sahra Wagenknecht in der Debatte des Bundestages am 06.11.2014 zur Regierungserklärung zur Steuerflucht

06.11.2014

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Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das, was Sie hier vorgetragen haben, Herr Schäuble, hört sich natürlich alles sehr eindrucksvoll an.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist es auch! – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ist auch so! Sie kapieren es nur nicht!)

Das Problem ist nur, dass die Geschichte des Kampfes gegen die Steuerhinterziehung von Millionären und Konzernen leider eine Geschichte eindrucksvoller Ankündigungen ist, denen in der Regel nichts als heiße Luft gefolgt ist.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehen Sie das nicht?)

Herr Schäuble, Sie haben vorhin selbst kurz auf Luxemburg verwiesen. Es geht heute durch alle Medien, wie Luxemburg – das ist nicht ganz neu und nicht ganz unbekannt – den Konzernen in großem Stil durch das Bereitstellen von Konstruktionen geholfen hat, ihre Steuerquote legal auf etwa 1 Prozent ihrer Gewinne – teilweise vielleicht sogar 0 Prozent – herunterzudrücken. Das ist passiert unter Federführung Ihres Kommissionspräsidentenkandidaten, der inzwischen Präsident der Europäischen Kommission ist, des Herrn Juncker. Ich muss sagen: Ich finde es schon bemerkenswert, dass Beihilfe zur Steuerhinterziehung, dass Beihilfe daran, dass große Konzerne die Allgemeinheit in Europa in Milliarden- und Billionenhöhe schädigen können,

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist eine Sauerei!)

in diesem Europa offensichtlich für höchste Funktionen prädestiniert.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Dieses Geschäftsmodell ist jetzt vorbei!)

Allein das ist ein riesiger Skandal.

(Beifall bei der LINKEN – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Umso wichtiger ist, dass wir etwas tun!)

Herr Schäuble, Wenn Sie sagen, es handele sich um legale Möglichkeiten, erwidere ich Ihnen: Es gibt natürlich genauso legale Möglichkeiten, hier in Deutschland diese Art der Steuerhinterziehung von Konzernen zu verhindern. Sie brauchen nur dafür zu sorgen, dass Lizenzgebühren, Patentgebühren und Zinsen, die in Länder fließen, die bekanntermaßen solche Modelle anbieten und genau diese Gebühren und Zinsen eben nicht besteuern, hier nicht mehr abzugsfähig sind. Natürlich wäre das möglich.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich kann es nicht mehr hören, dass man sich hinstellt und sagt: Wir können da nichts tun.

Schauen Sie sich Europa an: Was wurde den Krisenländern alles diktiert? Die Löhne mussten sinken, die öffentliche Beschäftigung musste abgebaut werden. Aber wer hat auch nur einmal Irland darauf hingewiesen, dass

dieser unsäglich niedrige Unternehmensteuersatz ein Problem ist?

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wir! Das haben wir jedes Mal! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Die SPD hat darauf hingewiesen! Ganz klar!)

Sie berufen sich jetzt darauf, dass das Double-Irish-Modell abgeschafft sei. Der irische Finanzminister hat aber gleich hinzugefügt, dass er großzügige Patentboxen einführen wird. Das heißt, das, was Sie hier machen, ist nichts anderes, als die Öffentlichkeit für dumm zu verkaufen. Natürlich kann die Politik das verhindern. Der Wille fehlt. Das ist das zentrale Problem.

(Beifall bei der LINKEN)

„Die Ära des Bankgeheimnisses ist vorüber." Genau dieser Satz stand übrigens schon einmal im Abschlusskommuniqué eines Weltfinanzgipfels, und das war im April 2009. Seitdem sind die Auslandsvermögen in der Schweiz um über 14 Prozent gewachsen, die in anderen Steueroasen sogar noch mehr. Wir erinnern uns auch gut, Herr Schäuble, dass Sie noch 2012 ein Abkommen mit der Schweiz abschließen wollten, das genau dieses Bankgeheimnis für alle Ewigkeit garantiert und allen Steuerhinterziehern mit Schweizer Konten eine Weißwäsche garantiert hätte.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Dann hätte man aber nicht die vielen, vielen Verjährungen gehabt!)

Da war bei Uli Hoeneß & Co. wahrscheinlich schon der Champagner kalt gestellt.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich erinnere mich auch noch sehr gut, dass Sie sich damals heftig beschwert haben, als dieses Abkommen im Bundesrat gescheitert ist. Wäre es nicht gescheitert, gäbe es das jetzige, das Sie gerade so sehr feiern, überhaupt nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie reden gerne vom Rechtsstaat. Aber in Wahrheit gibt es doch längst zweierlei Recht in diesem Land. Ein Schwarzfahrer kann im Knast landen, wenn er ein paarmal ohne Ticket in der S-Bahn erwischt wird. Ein Kleinbetrieb, der mit der Zahlung seiner Mehrwertsteuer im Rückstand ist, wird unter massiven Druck gesetzt und nicht selten in den Konkurs getrieben. Großen Konzernen dagegen werden Scheunentore an Möglichkeiten eröffnet, Steuern ganz legal nach unten zu drücken. Gleichzeitig: Wer als Privatperson die Allgemeinheit um Millionen prellt, soll auch in Zukunft die Chance haben, sich bei Witterung von Gefahr durch Selbstanzeige Straffreiheit zu erkaufen. Das ist doch ein einziger Skandal!

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wenn ein reuiger Bankräuber seine Beute irgendwann zurückgibt, kann auch er nicht als unbescholtener Bürger das Haus verlassen. Bankraub bleibt auch dann strafbar, wenn man ihn aus Angst vor Aufdeckung selbst zur Anzeige bringt.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Tätige Reue gibt es aber auch!)

Da muss man Sie von CDU und CSU, aber auch Sie von der SPD natürlich fragen: Finden Sie das Ausrauben der Allgemeinheit wirklich so viel harmloser als das Ausrauben einer Bank?

(Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Lesen Sie im Strafrecht noch mal nach! Keine Ahnung vom Strafrecht!)

Wir als Linke sehen das nicht so, zumal es sich beim Raub an der Allgemeinheit um weit größere Summen handelt: Allein in Deutschland schätzt man die Ausfälle durch Steuerbetrug und Steuertricks auf etwa 100 Milliarden Euro jährlich. 100 Milliarden Euro sind fast ein Drittel des Bundeshaushaltes. Und da behaupten Sie, ohne rot zu werden, es sei kein Geld da für menschenwürdige Pflege, für ordentliche Bildung, für eine ausreichende Zahl von Kitaplätzen, für armutsfeste Rente? Was ist denn das für eine Heuchelei? Natürlich ist das Geld da. Es wird nur mithilfe von Banken und Finanzkriminellen in den Steueroasen dieser Welt versteckt. Das Problem ist doch, wo das Geld bleibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Insofern finde ich es schon bemerkenswert, dass Politiker, die so gern über Schuldenbremsen und schwarze Nullen philosophieren, erkennbar so wenig Ehrgeiz zeigen, wenn es darum geht, dieses riesige schwarze Loch in den öffentlichen Finanzen irgendwann einmal zu stopfen.

Nun weiß man zwar, dass die CDU selbst einschlägige Erfahrungen mit Schwarzgeldkonten und Schattenfinanzen hat,

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Na, na, na!)

Umstände, die nicht zuletzt aufgrund des Schweizer Bankgeheimnisses nie restlos aufgeklärt werden konnten. Aber man muss natürlich sagen: Auch den SPD-Finanzministern Eichel und Steinbrück fiel zum Thema Steuerhinterziehung nicht viel mehr ein als großzügige Amnestien und die Einführung dieser unsäglichen Abgeltungsteuer, die dazu führt, dass Menschen, die hart arbeiten, per se höhere Steuersätze haben als Menschen, die von ihren Vermögenseinkommen leben. Auch das gehört schleunigst abgeschafft.

(Beifall bei der LINKEN – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Nein, so ist das falsch!)

Wenn Sie von der SPD das wollen, dann bringen Sie doch einen Antrag ein. Wir werden dafür stimmen. Sie haben doch eine Mehrheit dafür.

(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Noch mal: So ist das falsch! Eine einfache Rechnung zeigt das!) 

Keine Bundesregierung hat auch nur das Mindeste an der skandalösen Situation geändert, dass heute, wie in alten feudalen Zeiten, die Reichsten der Reichen kaum noch Steuern zahlen, während der Fiskus bei denjenigen, die hart arbeiten und oft viel zu wenig dafür bekommen, gnadenlos zugreift. Das wird auch das neue Abkommen nicht ändern.

„Offshore-Leaks" hat vor einiger Zeit aufgedeckt, wer so alles Briefkastenfirmen im Steuerparadies Panama unterhält. Die Liste las sich wie das „Who is who?" der deutschen Wirtschaft. Da finden wir all Ihre Freunde und Geldgeber, also die Familien Quandt, Porsche, Piëch, die Kaffeedynastie Jacobs und viel alten Adel wie Finck, Habsburg und Wittgenstein.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und wo ist das SED-Vermögen?)

Panama dürfte sich in Zukunft eines weiter wachsenden Zuspruchs erfreuen; denn es gehört zu den Ländern, die dieses Abkommen nicht unterschrieben haben. Auch die Schweiz lässt sich Zeit. Da sagen Sie aber nicht: Da können wir nichts machen. – Wo gutes Zureden nicht hilft, muss man eben ein bisschen ruppiger werden.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oh, linke Taktik! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Aha! Und wie? – Sollen wir aufrüsten?)

Ich garantiere Ihnen: Würden Sie alle Zinsen und Dividenden, die aus Deutschland oder vielleicht sogar aus der gesamten EU in solche Steueroasen fließen, mit einer Quellensteuer von, sagen wir, 50 Prozent belegen, würde die Gesprächsbereitschaft dieser Steueroasen rasant zunehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Man muss sich natürlich schon fragen, warum Sie die eigentlichen Organisatoren dieser Steuerflucht, nämlich die Banken, nach wie vor unbehelligt lassen. Warum schaffen Sie kein Gesetz, dass die Banklizenz in Deutschland daran geknüpft ist, dass keine Tochterfirmen in Steueroasen unterhalten werden? Finden Sie es wirklich normal, dass allein die Deutsche Bank 970 Tochterfirmen in Ländern unterhält, die das Netzwerk Steuergerechtigkeit als Schattenfinanzplätze bezeichnet? Was meinen Sie, was die da machen? Die Südseesonne genießen?

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das machen Sie am liebsten!)

Es waren übrigens genau diese Hebel, nämlich Quellensteuern und Druck auf die Banken, mit denen die USA weltweit Abkommen erzwungen haben, die ihnen jetzt gewährleisten, dass die Kontodaten amerikanischer Staatsbürger an sie gemeldet werden. Das Pikante an diesem Fall ist aber, dass sich die USA am Abkommen über gegenseitigen Informationsaustausch, das Sie hier beschrieben haben, nicht beteiligen wollen. Das heißt, die US-Steueroase Delaware ist nach wie vor ein superattraktiver Standort für ausländische Steuerflüchtlinge weltweit. Ich stelle fest, dass die Bundesregierung auch das anscheinend demütig hinnehmen wird. 

Insoweit muss man schon sagen: Dieses Abkommen hat erstens zu wenig Unterzeichner. Zweitens beinhaltet es Regeln, die große Scheunentore an Umgehungsmöglichkeiten öffnen. So werden beispielsweise alte Konten gar nicht gemeldet. Gemeldet wird auch nicht, wer Anteile eines Unternehmens von weniger als 25 Prozent hält usw.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Kollegin!

Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):

Ich komme zum Schluss. – Das heißt, das Ganze ist eher ein Konjunkturprogramm für die Nadelstreifenmafia der auf Steuerflucht- und Steuerhinterziehungsberatung spezialisierten Firmen und Banken. Die müssen sich jetzt ein paar zusätzliche Kniffe ausdenken, um ihrer vermögenden Klientel weiterhin das begehrte Produkt „steuerfreie Millionen" anbieten zu können.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Und Sie, Frau Wagenknecht, müssen nun zum Schluss kommen.

Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):

Was wir wirklich brauchen in Deutschland, ist endlich

(Das Mikrofon wird abgeschaltet – Zuruf von der CDU: Jetzt ist es vorbei!)

eine Politik, die nicht mehr vor der geballten Macht des Geldadels kapituliert. Dafür steht die Linke, und dafür werden wir weiter kämpfen.

(Beifall bei der LINKEN)

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