11,50 Euro für alle!
Kommentar von Sahra Wagenknecht, erschienen in der Frankfurter Rundschau am 30.12.2015
Seit einem Jahr gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro die Stunde. Leider gilt er nicht für alle. Ausnahmen gibt es für Langzeitarbeitslose, Zeitungszusteller und Saisonarbeiter, für Minderjährige, Auszubildende und Praktikanten. Da die Bundesregierung sich zudem weigert, das nötige Personal zur Kontrolle des Mindestlohns bereitzustellen, müssen wohl immer noch hunderttausende Menschen zu mickrigsten Löhnen schuften.
Daraus können schnell wieder Millionen werden. Industrie- und Handelskammern, Arbeitgeberverbände und vermeintliche Wirtschaftsexperten fordern, dass auch Flüchtlinge oder gar sämtliche Einwanderer für Stundenlöhne unter 8,50 Euro beschäftigt werden dürfen. Unter dem Vorwand, die Integration erleichtern und Arbeitslosigkeit bekämpfen zu wollen, wird hier soziale Brandstiftung betrieben, werden Geringverdiener, Arbeitslose und Einwanderer auf- und gegeneinandergehetzt.
Zwar hat die Regierung versichert, dass es spezielle Ausnahmen für Geflüchtete im Mindestlohngesetz nicht geben wird. Doch schon die bestehenden Ausnahmen bieten Unternehmen ausreichend Möglichkeiten, Flüchtlinge und Einwanderer als billige Arbeitssklaven zu missbrauchen. Wer die Integration fördern, Arbeitslosigkeit vermeiden und neues Lohndumping verhindern will, sollte sich 2016 dafür einsetzen, dass die Löcher im Mindestlohngesetz gestopft, Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt und Ausbildungs- und Arbeitsplätze für alle geschaffen werden.
Die Prophezeiung der Wirtschaftslobby, der gesetzliche Mindestlohn werde massenhaft Arbeitsplätze vernichten, hat sich als falsch erwiesen. Nun muss der nächste Schritt gewagt und der Mindestlohn erhöht werden, denn er reicht angesichts steigender Mieten kaum zum Leben und schützt nicht vor Altersarmut. Wer nur den Mindestlohn bekommt, müsste über 60 Jahre lang Vollzeit arbeiten, um eine Rente auf dem Niveau der Grundsicherung zu erreichen. Selbst die Bundesregierung hat eingeräumt, dass Beschäftigte einen Stundenlohn von 11,50 Euro bräuchten, um nach 45 Jahren Arbeit im Alter nicht auf Sozialhilfe angewiesen zu sein. Das gesetzliche Rentenniveau muss daher dringend angehoben werden und es darf keinen Lohn unter 11,50 Euro mehr geben! Existenzsichernde Arbeit für alle – ohne Ausnahme.