"Die Kluft zwischen arm und reich ist heute fast wieder so groß wie damals"
Sahra Wagenknecht im Interview mit der Dresdner Morgenpost
Warum sind Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht 100 Jahre nach ihrem Tod nach wie vor aktuell?
Beide haben gegen Aufrüstung gekämpft, Liebknecht hat als einziger Abgeordneter 1914 gegen Kriegskredite gestimmt. Heute erleben wir eine neue Aufrüstung: Wichtige Abrüstungsverträge werden gekündigt, die USA modernisieren ihre Atomwaffen, die Bundesregierung will die Rüstungsausgaben verdoppeln. Der Kampf gegen Aufrüstung und Krieg ist also wieder sehr dringlich und aktuell!
Wie wichtig sind Liebknecht und Luxemburg heute noch für die politische Linke?
Kriegsgefahr und soziale Ungleichheit wachsen, damit bleiben auch Luxemburg und Liebknecht aktuell. Von ihnen kann man einiges darüber lernen, wie eine aggressive Außenpolitik mit Armut und Ausbeutung im eigenen Land zusammenhängt. Auch die Theorie von Luxemburg, nach der das Kapital sich immer mehr gesellschaftliche Bereiche unterwirft, finde ich interessant und modern. Schließlich erleben wir gerade, wie Konzerne aus der Pflege von Menschen, aus unseren privaten Daten, aus der Nutzung von Autobahnen oder dem Bau von Schulen Profit schlagen wollen.
Wenn man sich die – teils bewaffneten – Kämpfe zwischen den politischen Lagern damals und die Zerrissenheit der Gesellschaft heute anschaut: Wie groß ist die Gefahr, dass uns solche Auseinandersetzungen wieder drohen?
Die Kluft zwischen arm und reich ist heute fast wieder so groß wie damals. Wenn die Politik daran nichts ändert, kann das auch wieder zu sozialen Aufständen führen. Der Protest der Gelbwesten in Frankreich ist ja ein erstes Beispiel dafür. Trotzdem ist die Situation heute natürlich nicht vergleichbar: Damals hatte Deutschland einen Weltkrieg verloren, Soldaten meuterten gegen eine Führung, die sie in den sicheren Tod schicken wollte. Demokratische Institutionen und Grundrechte, die uns heute selbstverständlich sind, wurden gerade erst durchgesetzt. Ich hoffe, dass die Demokratie heute zumindest so weit funktioniert, dass Auseinandersetzungen wie damals sich nicht wiederholen.
Hand aufs Herz! Wie sehr schmeichelt Ihnen, dass Sie – gerne auch auf Ihr Erscheinungsbild bezogen – mit Rosa Luxemburg verglichen werden?
Rosa Luxemburg hat unter ungleich schwereren Bedingungen gekämpft als wir sie heute haben. Sie saß mehrfach für ihre Überzeugungen im Gefängnis, am Ende wurde sie ermordet. Im Vergleich dazu ist politische Oppositionsarbeit heute sehr viel leichter. Deshalb finde ich es unangemessen, mich mit ihr zu vergleichen.