Rekommunalisierung der Wasserversorgung ist schwer, aber möglich - Dominanz der Multis aus Frankreich und Deutschland
Interview mit Sahra Wagenknecht, erschienen in "Neues Deutschland", 22.03.08
Sahra Wagenknecht sitzt für die GUE/NGL-Fraktion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments und beschäftigt sich unter anderem mit der Privatisierung der Öffentlichen Daseinsvorsorge, die in der Europäischen Union und weltweit zunimmt. Anlässlich des Weltwassertages sprach Martin Ling mit Wagenknecht über den globalen Wassermarkt und Möglichkeiten, die Wasserversorgung zu rekommunalisieren.
ND: Wasser entwickelt sich mehr und mehr vom Allgemeingut zur Handelsware. Welche Rolle spielen Konzerne aus der Europäischen Union und Deutschland im globalen Wassergeschäft?
Wagenknecht: Der globale Wassermarkt wird von wenigen Multis beherrscht. Unangefochtene Marktführer sind Veolia und Suez/Ondeo aus Frankreich, die etwa die Hälfte des privatisierten Wassermarktes beherrschen. Aber auch die deutschen Konzerne RWE, Gelsenwasser und E.on sowie diverse britische und US-amerikanische Unternehmen mischen mit. Seit ein paar Jahren ist die Expansion der europäischen Konzerne allerdings ins Stocken geraten. Zum einen haben sich viele Privatisierungen als Fiasko erwiesen und wurden teilweise wieder rückgängig gemacht. Zum anderen zogen sich einige Konzerne aus dem Geschäft zurück, als teure Netzinvestitionen nicht mehr hinauszuschieben waren.
So hat etwa RWE seine Anteile an Thames Water 2006 an den Finanzinvestor Macquarie weiterverkauft. Zuvor hatte die britische Regulierungsbehörde RWE dazu aufgefordert, endlich in die Verbesserung der Londoner Trinkwasserleitungen und Abwassersysteme zu investieren; schließlich hatten die Wasserverluste aufgrund maroder Leitungen in London seit 1999 um 43 Prozent zugenommen.
Inwieweit befördert nationalstaatliche Rahmengesetzgebung oder Gesetzgebung in der EU beziehungsweise das Dienstleistungsabkommen GATS in der Welthandelsorganisation die Privatisierung des Wassergeschäfts?
Treibende Kraft bei Liberalisierung und Privatisierung des Wassers ist die EU, die sich weltweit für die Interessen der Wasserkonzerne stark macht. In der Außenhandels- und Entwicklungspolitik ist die Kooperation zwischen der EU-Kommission und den europäischen Wassermultis besonders eng. Dies erklärt, warum die EU in den GATS-Verhandlungen der WTO eine so aggressive Position eingenommen hat. Aber auch Institutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) und Weltbank haben Privatisierungen der Wasserversorgung in Entwicklungsländern erzwungen. So wurden viele Kredite an die Bedingung geknüpft, den Wassermarkt zu liberalisieren. Auch innerhalb der EU wird die Liberalisierung vorangetrieben. Zwar hat sich die EU-Kommission vom Plan einer sektoralen Liberalisierungsrichtlinie verabschiedet, dafür greift sie jetzt verstärkt über das europäische Wettbewerbs- und Vergaberecht im Sinne der Multis in die Wasserwirtschaft der Mitgliedsländer ein.
Welche Konsequenzen ergeben sich für den Süden?
Der Süden ist mit der Aufgabe konfrontiert, mehr als zwei Milliarden Menschen endlich einen gesicherten Zugang zu Trinkwasser und sanitären Einrichtungen zu verschaffen. Der Versuch, diese Aufgabe an private Konzerne zu übertragen, ist gescheitert. Ob man nach Bolivien blickt oder nach Indonesien, nach Argentinien oder nach Südafrika: Überall hatte die Privatisierung der Wasserversorgung katastrophale Folgen. Statt den Zugang zur Wasserversorgung zu verbessern, wurde Wasser für viele Menschen unbezahlbar. Man hat gerade den Ärmeren buchstäblich den Hahn abgedreht.
Wie steht es um die Wasserprivatisierung in Deutschland?
In Deutschland befindet sich die Wasserversorgung noch zu erheblichen Teilen in öffentlicher Hand. Allerdings werden immer mehr Stadt- und Wasserwerke von den Großen der Branche (E.on und RWE) aufgekauft. In Ostdeutschland haben auch französische Konzerne Fuß gefasst: Unter dem Label »Eurowasser« versorgt der Suez-Konzern unter anderem die Bewohner von Rostock, Schwerin, Leuna und Cottbus. Dagegen ist die Wasserprivatisierung in Potsdam gescheitert: Nachdem Eurowasser die Gebühren in nur zwei Jahren verdoppelt hatte, kündigte die Stadt Potsdam alle Verträge und kaufte die Anteile wieder zurück. Veolia Wasser ist in 450 deutschen Kommunen tätig. Den größten Coup landete der Konzern im Jahr 1999, als er gemeinsam mit RWE 49,9 Prozent der Anteile an den Berliner Wasserbetrieben erwarb. Exorbitante Preissteigerungen waren auch hier die Folge.
Welche alternativen Ansätze in der Wasserversorgung sind denkbar? Wie aussichtsreich ist eine Rekommunalisierung?
Nach einer Umfrage des dimap-Instituts lehnen mehr als 75 Prozent der Menschen eine Privatisierung der Wasserwirtschaft ab. Es ist auch einfacher geworden, die Menschen gegen den Verkauf ihrer Wasserbetriebe zu mobilisieren. So konnte eine geplante Wasserprivatisierung in Hamburg durch ein erfolgreiches Bürgerbegehren verhindert werden. Schwieriger ist es, Privatisierungen wieder rückgängig zu machen. Allerdings zeigen die Beispiele Potsdam, Fürstenwalde oder Grenoble, dass man die Wasserwirtschaft durchaus erfolgreich rekommunalisieren kann. Aus diesem Grund ist auch das Berliner Volksbegehren zur Offenlegung der Wasser-Privatisierungsverträge so wichtig. Nur wenn die Vertragsinhalte, die den Konzernen saftige Renditen durch gnadenlose Abzocke der Berliner Haushalte garantieren, offen liegen, können sie auch angefochten werden. Hier gilt wie so oft: Wer nicht kämpft, hat schon verloren.
Zahlen und Fakten - Rares Gut
Der Weltwassertag wird seit 1993 jedes Jahr am 22. März begangen. Er wurde von den Vereinten Nationen ausgerufen, um auf die Bedeutung des Rohstoffs Wasser und seine Problematik aufmerksam zu machen. Das gesamte Jahr 2008 steht unter dem Motto »Sanitäre Grundversorgung«. Dabei geht es auch in diesem Jahr vor allem um die Verbesserung der Lage in Entwicklungsländern.
Nur 2,5 Prozent des Wassers sind Süßwasser. Davon sind wiederum nur weniger als 0,6 Prozent gut zu erschließen: Flüsse, Quellen, Grund- und Regenwasser. Das übrige Süßwasser ist gebunden, z. B. in Polkappen und Gletschern, und nicht ohne weiteres nutzbar.
Dennoch würde bei geeigneter Bewirtschaftung nach Aussagen der UN das auf der Erde vorhandene Wasser für alle Menschen reichen. Nach UN-Angaben haben weltweit 2,6 Milliarden Menschen keinen Zugang zu akzeptablen sanitären Einrichtungen wie Toiletten und Duschen. Der daraus resultierende Mangel an Hygiene verursacht Krankheiten, an deren Folge schätzungsweise jedes Jahr 2,2 Millionen Menschen sterben darunter täglich 5000 Kinder unter fünf Jahren. Besonders in Afrika südlich der Sahara und in Asien leiden die Menschen unter der Situation. In den Städten und in den Slums am Stadtrand gibt es Probleme bei der Entsorgung von Abwasser und Fäkalien. Viele Flüsse werden als Kanäle missbraucht und verwandeln sich in reine Kloaken. Auf dem Land mangelt es an hygienischer Aufklärung und gesundheitsbewusstem Umgang mit Ausscheidungen. Das Thema ist oft tabu. Vielerorts fehlen zum Beispiel Toiletten, Klohäuschen mit Sichtschutz oder Kanalsysteme.
Die sanitäre Notlage war auch Thema beim UN-Millenniumsgipfel im September 2000 in New York. Doch das Millenniumsziel, die Anzahl der Menschen ohne sanitäre Grundversorgung bis 2015 zu halbieren, ist laut dem Kinderhilfswerk UNICEF noch in weiter Ferne. epd/ND