Sahra Wagenknecht

Rede von Sahra Wagenknecht auf dem Parteitag der Linkspartei in Berlin, 15.06.07

15.06.2007

Der Gipfel der Heuchler in Heiligendamm ist vorbei. Geblieben ist die Erfahrung eines großartigen breiten Protestes, den die beispiellose Hochrüstung des Polizeistaates nicht verhindern konnte. Und geblieben ist der zehntausendfache Ruf nach einer anderen Welt, einer Welt, in der nicht länger 500 Konzerngiganten Milliarden Menschen zum Spielball ihrer Profitdiktate erniedrigen können.

Es sind heute Mehrheiten in der Bundesrepublik, die keine Tornados in Afghanistan wollen, und immer mehr durchschauen den vorgeblichen »Kampf gegen den Terror« - ob mit oder ohne UN-Mandat - als imperialistischen Öl- und Rohstoffkrieg.

Es sind heute Mehrheiten, die die Rente mit 67, die Hartz-Gesetze und die herrschende Steuerpolitik als das empfinden, was sie sind: wirtschaftshöriges Sozialdumping zur Mästung der oberen Zehntausend.

Immer mehr Menschen haben es satt, ihre Lebensperspektive auf dem Altar boomender Aktienmärkte zu opfern.

Dieser Stimmungstrend hat offenbar Herrn Beck auf die Idee gebracht, auf der Welle antineoliberaler Rhetorik aus den immer dramatischeren Umfragetiefs zu schwimmen. Er muss die Leute für ziemlich blöd halten, wenn er glaubt, dass sie dem Vorsitzenden einer Privatisierungs- und Sozialraub-Partei die plötzliche soziale Läuterung abnehmen werden.

Heuchelei gehört zum Geschäft im bürgerlichen Politikbetrieb. Das haben die Menschen immer wieder erlebt. Nicht wenige zogen daraus den Schluss, keiner Partei mehr zu trauen. An dieser Hypothek haben auch wir zu tragen, und wir haben sie durch unsere eigene Politik in der Vergangenheit nicht nur leichter gemacht.

Morgen Abend wird es in Deutschland eine neue Linke geben. Wird sie die jungen Leute aus den Gipfelblockaden erreichen? Was erwarten die in der Friedensbewegung Aktiven, und die, die sich wieder und wieder den Nazis auf der Straße entgegenstellen? Was erwarten die streikenden Beschäftigten der Telekom, oder die, die nicht mehr streiken können, weil sie ihre Arbeit längst verloren haben? Was erwarten die, die für einen Euro die Stunde jobben müssen?

Ich denke, sie erwarten vor allem, dass wir nicht sind und auch nicht werden wie die übrigen Parteien.

Wenn die anderen 100.000 vernichtete Jobs und rabiates Lohndumping bei der Telekom zum Sachzwang stilisieren, dann reden wir über Alternativen zum Privatisierungswahn und über öffentliches Eigentum. Zuhören wird man uns dabei aber nur, wenn wir nachvollziehbar auch in unserer Alltagspolitik für solche Alternativen stehen.

Setzt sich dagegen in der Linken eine Linie durch, die Regieren zum Wert an sich verklärt, mit allen Konsequenzen, die wir seit 2002 in Berlin erlebten und trotz des Wahldesasters im letzten Herbst weiter erleben – dann haben wir nichts gekonnt. Eine weitere angepasste Partei braucht dieses Land nicht. Es braucht keine Nachahmer Kurt Becks, die nur dann links blinken, wenn es opportun erscheint, um beim nächsten Koalitionspoker gute Karten zu haben. Es braucht eine Linke, die widerständig und glaubwürdig ist und – wie in Bremen - gerade dadurch Ausstrahlung gewinnt. Es braucht eine Linke, die ohne Wenn und Aber Friedenspartei bleibt, auch wenn allein das reicht, um mögliche Koalitionsträume für 2009 zum Platzen zu bringen. Und es braucht eine Linke, die die Alternative zur kapitalistischen Barbarei wieder zum öffentlichen Thema macht, eine Alternative, die in Lateinamerika gerade wieder Konturen gewinnt.

Wenn in unseren Forderungen bis hin zu unserer Sprache deutlich wird, dass die neue Linke nicht zum Establishment gehört und auch nicht gehören will, dass sie nicht nach Anerkennung der Mächtigen giert, sondern Partner derer sein will, denen die herrschende Politik ins Gesicht schlägt, wenn die Menschen erleben, dass wir nicht mitkungeln, sondern kämpfen, dann – denke ich – haben wir die Chance, noch weit mehr als bisher die Enttäuschten, die Wütenden und die Frustrierten tatsächlich zu erreichen.

Unsere Verantwortung ist ganz sicher nicht, gemeinsam mit neoliberalen Parteien zu regieren, sondern so stark zu werden und so viel Druck zu erzeugen, dass die Neoliberalen nicht mehr in der Lage sind, ihre Politik des Sozialdumpings und der Kriegsabenteuer fortzusetzen. Wenn uns das gelingt, dann haben sich alle Anstrengungen gelohnt, die wir gemeinsam mit der WASG in den letzten zwei Jahren unternommen haben.