"Wir sind die Partei der sozialen Gerechtigkeit und der wirtschaftspolitischen Vernunft"
Rede von Sahra Wagenknecht auf dem Parteitag in Rostock am 15.05.2010
Liebe Genossinnen und Genossen,
Die Linke ist zu einer gesellschaftlichen Kraft geworden, die niemand mehr ignorieren kann. Und sie ignorieren uns auch nicht, sie bekämpfen uns. Das war im Wahlkampf von NRW wieder überdeutlich spürbar, wo sich alle anderen Parteien darauf eingeschossen hatten, die Linke aus dem Landtag herauszuhalten. Da gab es wie in so vielen Fragen nicht die geringste Differenz zwischen SPD und CDU. Und sie bekämpfen uns medial, indem sie versuchen uns zu denunzieren und zu spalten, und auch da ist der Wind eher noch rauer geworden.
Aber diese Kampagnen und diese Denunziationen zeigen doch vor allem eins: dass die Herrschenden in diesem Land Angst vor uns haben. Und ich denke, sie haben auch Grund dazu, und ich möchte, dass das so bleibt!
Das klare linke Profil, das wir uns in den letzten Jahren gegeben haben und das sich auch im aktuellen Entwurf für ein Grundsatzprogramm unserer Partei widerspiegelt, war meiner Meinung nach die Grundlage unseres Erfolgs. Deshalb möchte ich mich dafür einsetzen, dass wir an diesem Profil und diesem Kurs festhalten.
Ich möchte, dass wir eine Partei bleiben, die Kriege ohne Wenn und Aber ablehnt, das gilt für Afghanistan, das gilt aber auch für alle anderen Kriegseinsätze deutscher Soldaten. Krieg ob mit oder ohne UN-Mandat - ist nie eine Lösung, sondern immer selbst Teil des Problems.
Ich möchte, dass wir eine antineoliberale Partei bleiben, eine Partei, die sich nicht die Hände in vermeintlichen Sachzwängen bindet, sondern die die Interessen hinter den sogenannten Sachzwängen zum Thema macht es gibt beispielsweise keinen Sachzwang, zu sparen, es gibt nur eine falsche Steuerpolitik, die die Reichen mit Geschenken mästet und eben nicht das Kreuz hat, das Geld dort zu holen, wo es sich stapelt.
Deshalb sollten wir uns auch nie wieder daran beteiligen, diese politisch geschaffenen Sparzwänge zu Lasten der Menschen zu exekutieren: über Sozialabbau, Privatisierungen oder Einschnitte im öffentlichen Dienst. Denn das gefährdet das wichtigste Gut, das wir haben: unsere Glaubwürdigkeit.
Ich möchte, dass wir eine Partei bleiben, die die Unerträglichkeit der Verhältnisse beim Namen nennt, und ich finde, dass das im vorgelegten Programmentwurf gut gemacht wurde. Ich möchte, dass wir diese klare Sprache beibehalten. Hartz IV ist keine soziale Härte, sondern ein soziales Verbrechen, und dieses Verbrechen muss weg! Das gleiche gilt für die Zerschlagung der gesetzlichen Rente und all die Gesetze, die Hungerlöhnen in diesem Land Tür und Tor geöffnet haben. Denn das jahrelange Lohndumping in Deutschland ist ja nicht nur Folge aggressiver Profitmaximierung in den Unternehmen, es ist vor allem Folge der Agenda 2010, die den gesetzlichen Rahmen dafür geschaffen hat.
Und jetzt höre ich, dass Herr Gabriel uns Ratschläge geben will, was wir in unser Programm schreiben sollen. Was bildet der Mann sich eigentlich ein? Die SPD hat mit ihrer Agenda-Politik mehr als die Hälfte ihrer Wähler vertrieben und selbst ihr jetzt gefeiertes Ergebnis in NRW ist das zweitschlechteste ihrer Geschichte. Wir werden doch nicht so bekloppt sein, uns ausgerechnet an dieser Partei ein Beispiel zu nehmen!
Und die Agenda-Positionen sind ja auch nicht weg, die SPD steht nach wie vor zu Hartz IV, zur Rentenprivatisierung, zum Krieg in Afghanistan. Und ich sage deshalb auch offen: Ich will keine Annäherung an diese SPD, ich will, dass wir sie durch unsere wachsende Stärke so unter Druck setzen, dass wir sie zwingen, sich zu ändern, dass wir sie zwingen, sich irgendwann wieder an ihre sozialdemokratischen Ursprünge zu erinnern, weil sie einfach Angst haben müssen, sonst auch noch ihren letzten Wähler zu verlieren. Aber unsere Positionen weichzuspülen, damit sie am Ende auch Herrn Gabriel gefallen, das wäre das letzte, was wir tun sollten, denn das wäre nicht der Weg zur Veränderung der Politik, sondern der Weg in die eigene Bedeutungslosigkeit.
Ich finde, wir müssen auch noch sehr viel deutlicher machen, dass wir nicht nur eine Partei der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch die einzige Partei der wirtschaftspolitischen Vernunft sind. Der neoliberale Kapitalismus führt eben auch wirtschaftlich in die Katastrophe, das erleben wir ja gerade in dieser tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise, die noch lange nicht vorbei ist, eben weil sie eine Systemkrise ist.
Sie reden seit zwei Jahren davon, dass sie die Finanzmärkte besser regulieren wollen. Aber kein einziges der gefährlichen Spekulationsinstrumente ist bisher verboten worden. Und während der deutsche Steuerzahler fast 100 Milliarden Euro zusätzliche Staatsschulden allein infolge der Bankenrettung an der Backe hat, streicht die Deutsche Bank schon wieder dicke Gewinne ein. Natürlich könnte man das ändern. Aber dafür muss man sich mit den Ackermännern und Finanzhaien anlegen, dafür muss man die wirtschaftlichen Macht- und Eigentumsverhältnisse infrage stellen, und dazu sind sie alle zu feige. Wir brauchen eine Vergesellschaftung und strikte Regulierung der Banken, wenn die In-Geiselhaftnahme der gesamten Gesellschaft für ihre Zockerei endlich beendet werden soll.
Das Grundproblem ist doch, dass der globalisierte Kapitalismus eine winzige Minderheit schamlos privilegiert: die Bezieher von Kapital- und Vermögenseinkommen. Deshalb konzentriert sich immer mehr Einkommen bei den oberen Zehntausend, deshalb entstehen Vermögensblasen, und im Gegenzug immer mehr Schulden: bei den Familien, die wegbrechende Löhne ausgleichen müssen, und bei den Staaten, die wegbrechende Steuereinnahmen ausgleichen müssen.
Und jetzt fällt ihnen nichts besseres ein, als diesen Schuldenberg von einer Hand in die nächste zu schieben, verbunden mit rücksichtslosen Spardiktaten, die die Armut hochtreiben und die Wirtschaft in Europa erst recht in die Knie zwingen werden. Das ist kein Konzept, das ist die Politik gewordene Konzeptionslosigkeit.
Aber das zeigt doch: Ja, wir brauchen eine andere Wirtschaftsordnung, eine, ohne Profitdiktate und Ausbeutung. Und unsere Partei sollte diejenige bleiben, die den Mut hat, das deutlich zu sagen und inhaltlich zu untersetzen.
Die entscheidende Frage ist meines Erachtens, dass es uns in Zukunft noch wesentlich stärker gelingen muss, die Menschen zu erreichen, die sich frustriert zurückgezogen haben und in wachsender Zahl gar nicht mehr wählen gehen. Das sind Menschen, denen es oft dreckig geht, und die schon von vielen Parteien enttäuscht wurden. Sie werden wir nur erreichen, wenn sie wirklich spüren, dass wir nicht eine Partei wie alle anderen sind, dass wir nicht darauf aus sind, mit den Mächtigen zu kungeln, sondern wirklich für ihre Interessen kämpfen. Und mit ihnen kämpfen. Denn wenn wir dieses Land verändern wollen, müssen wir die Menschen ermutigen, sich zu wehren, wir brauchen deutlich mehr außerparlamentarischen Widerstand, vom zivilen Ungehorsam bis zum politischen Streik.
Für all das möchte ich mich einsetzen, und dafür bitte ich um Euer Vertrauen.