»Linke europaweit besser vernetzen«
Interview mit Sahra Wagenknecht, erschienen auf www.linksfraktion.de am 04.07.2011
Griechenland steckt bis zum Hals im Schuldensumpf und in der Rezession. Portugal kämpft mit ähnlichen Problemen. Deutschland aber erlebt einen Aufschwung. Hängt das eine mit dem anderen zusammen?
Sahra Wagenknecht: Ja, sicher. Die deutschen
Exportüberschüsse und die Schuldenberge in Griechenland, Portugal und
anderen EU-Staaten sind zwei Seiten der selben Medaille. Das deutsche
Kapital profitiert wie kein anderes vom europäischen Binnenmarkt und vom
Euro.
Was ist schief gelaufen bei der Einführung des Euro?
Man hat in völliger Borniertheit die Finanzmärkte entfesselt. Statt
sich auf Eckpunkte einer gemeinsamen Steuer-, Wirtschafts- und
Sozialpolitik zu verständigen, wurde ein Dumpingwettlauf um die
niedrigsten Unternehmenssteuern, Löhne und Sozialstandards in Gang
gesetzt.
Wie hat die Politik Deutschlands im vergangenen Jahrzehnt dazu
beigetragen, die Konstruktionsdefizite der europäischen Währungsunion zu
verschärfen?
Mit Hartz IV und der Agenda 2010 hat Deutschland die Standortkonkurrenz
in Europa angeheizt. Der Ausbau des Niedriglohnsektors hatte zur Folge,
dass die deutschen Reallöhne gesunken sind im Gegensatz zu allen
anderen Euro-Ländern. Eine solche Wirtschaftspolitik spaltet und
zerstört Europa.
Die Spardiktate für die Krisenstaaten sehen danach aus, als
wolle die deutsche Bundesregierung eine Agenda 2010 für die ganze EU.
Ein deutscher Euro-Nationalismus nach neoliberalem Strickmuster?
So kann man das ausdrücken. Merkel will in ganz Europa die Rente mit 67
und andere Grausamkeiten durchdrücken. Notwendig wäre es stattdessen,
die Finanzierung der Staaten von den Diktaten der großen Finanzkonzerne
zu befreien. Dafür brauchen wir eine öffentliche europäische Bank für
Staatskredite, die die niedrigen Zinsen der EZB an die Staaten
weitergibt, statt sich wie die privaten Banken an der
Staatsverschuldung auch noch eine goldene Nase zu verdienen.
Das deutsche Wirtschaftsmodell konzentriert sich seit Jahren
auf den Export. Könnte eine Verbesserung der Inlandsnachfrage in
Deutschland die Situation entspannen?
Ja, denn höhere Löhne in Deutschland würden den Druck auf die Löhne in
unseren Nachbarländern reduzieren. Außerdem könnten Griechenland oder
Portugal mehr Waren in Deutschland verkaufen und so ihre Wirtschaft
wieder auf Trab bringen.
Manche Menschen zweifeln, ob es angesichts der griechischen
Schuldenkrise richtig ist, weitere Hilfspakete auf den Weg zu bringen.
Manche würden am liebsten den Euro beerdigen. Was entgegnen Sie ihnen?
Die Kritik an den so genannten Hilfspaketen ist insofern berechtigt,
als mit den Krediten nicht der griechischen Bevölkerung geholfen wird,
sondern wieder einmal den Banken. Ob ein Austritt aus dem Euro für
Griechenland Sinn macht, müssen die Griechen entscheiden. Ich glaube,
dass das die Situation nur verschlimmern würde. Griechenland braucht
keine neue Währung, sondern eine Entschuldung.
Wie wichtig ist europäische Solidarität für die finanzielle
Stabilität und die soziale Sicherheit in Europa? Und was sind die
wichtigsten Schritte auf dem Weg dorthin?