Sahra Wagenknecht

»Wirkliche Hilfe hat Griechenland noch nie erhalten«

Interview mit Sahra Wagenknecht, erschienen auf linksfraktion.de am 16.02.15

16.02.2015

Bei seinem Treffen mit den Finanzministern der Eurogruppe ist der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis am Mittwoch vergangener Woche vorerst abgeblitzt. Heute steht das nächste Treffen der Finanzminister an. Wie dringlich ist eine Einigung im Schuldenstreit?

Sahra Wagenknecht: Nach einigen Berichten haben Kapitalflucht und Steuerrückstände in Griechenland ein bedrohliches Ausmaß erreicht, das kann aber auch Panikmache sein. Klar ist: So lange Griechenland den geplanten Haushaltsüberschuss erwirtschaftet, kann es auch seine laufenden Ausgaben bestreiten und es besteht keine Gefahr, dass beispielsweise Löhne oder Renten im öffentlichen Dienst nicht gezahlt werden. Ein anderes Problem sind die horrenden Verpflichtungen des griechischen Staates gegenüber Gläubigern wie dem Internationalen Währungsfonds oder der Europäischen Zentralbank, die allein in diesem Jahr von Griechenland Rückzahlungen in Höhe von gut 21 Mrd. Euro verlangen. Ende des Monats läuft das Kreditprogramm mit Griechenland aus und wenn die Gläubiger keine neuen Kredite gewähren, werden sie damit leben müssen, dass ihre alten Kredite nicht bedient werden. Diese Situation ist aber nicht so neu, schon seit 2010 ist Griechenland de facto zahlungsunfähig. Wie sich gezeigt hat, werden neue Kredite das Problem der Überschuldung eher verschärfen, insofern führt an einem Schuldenschnitt mittelfristig kein Weg vorbei.

Bislang hat sich vor allem Finanzminister Wolfgang Schäuble unnachgiebig gezeigt, getreu dem gewohnten Mantra „Geld gegen Reformen". Griechenland könne nur mit Hilfe rechnen, wenn es sich an die Regeln halte und das laufende "Programm" akzeptiere. Und er hat offen gedroht, was geschehe, wenn Griechenland das nicht tue: „"Dann ist es eben vorbei", so Schäuble. Wie bewerten Sie diese Aussagen?

Die Bundesregierung betreibt eine widerliche Erpressungspolitik mit dem Ziel, die griechische Regierung und das griechische Volk zu demütigen. Wenn Schäuble weiterhin so stur an den verhassten Kürzungsdiktaten festhält, treibt er Griechenland in den Bankrott und aus dem Euro, damit wären dann auch Milliarden deutscher Steuergelder endgültig verbrannt. Wirkliche Hilfe hat Griechenland doch nie erhalten, im Gegenteil: Man hat dem Land einen Großteil der Kosten für die Rettung des europäischen Bankensystems aufs Auge gedrückt und über brutale Kürzungsauflagen eine humanitäre Katastrophe herbeigeführt. Das laufende „Programm" sieht vor, dass einer verarmten Bevölkerung langfristig gigantische Summen für den Schuldendienst abgepresst werden, die geforderten Primärüberschüsse oder Privatisierungserlöse sind aberwitzig und realitätsfern. Schäuble und Merkel müssen jetzt einlenken, sonst wird die Demokratie in Europa großen Schaden nehmen – immerhin stehen 80 Prozent der griechischen Bevölkerung hinter dem Kurs des neuen Präsidenten Alexis Tsipras. Statt auf einer extrem unsozialen Politik zu beharren, sollte Schäuble der griechischen Regierung lieber dabei helfen, wirksam gegen Steuer- und Kapitalflucht vorzugehen.

Nicht nur Schäuble, sondern auch die Finanzminister von Portugal und Spanien, die einem harten Sparkurs unterworfen sind, scheinen bislang nicht gewillt, Griechenland entgegenzukommen. Wie lässt sich das erklären?

Die konservativen Regierungschefs beider Länder haben Angst, dass der Hoffnungsfunke von Griechenland auf ihre Länder überspringt und ihnen die Wahlen vermasselt. In Reaktion auf das griechische Wahlergebnis haben in Madrid kürzlich etwa hunderttausend Unterstützer der spanischen Linkspartei Podemos gegen die Sparpolitik demonstriert, in Umfragen wird Podemos inzwischen als stärkste politische Kraft gehandelt. „Ja, es ist möglich", riefen die spanischen Demonstranten. Diese Hoffnung will man im Keim ersticken, indem man am Beispiel Griechenlands die Alternativlosigkeit neoliberaler Spardiktate demonstriert. Ich denke aber nicht, dass diese Strategie aufgeht. Egal was mit Griechenland passiert: Immer mehr Menschen haben das Gerede von der angeblichen Alternativlosigkeit einer unsozialen Politik zugunsten von Banken, Konzernen und Millionären einfach satt.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in der vergangenen Woche ebenfalls den Druck auf Griechenland erhöht. Griechische Staatsanleihen werden seit dem 11. Februar nicht mehr als Sicherheiten akzeptiert. Was bedeutet das für die Geldversorgung griechischer Banken?

Diese ist gegenwärtig nicht gefährdet, da die griechischen Banken weiterhin Zugang zu sogenannten Notkrediten der Europäischen Zentralbank haben. Diese Notkredite sind allerdings höher verzinst und können jederzeit von einer Zweidrittelmehrheit im EZB-Rat aufgehoben werden. Die Strategie der EZB zielt offensichtlich darauf ab, die neue griechische Regierung unter massiven Zeitdruck zu setzen. Auch hier hat man offensichtlich Angst, dass das griechische Beispiel Schule macht und in anderen Ländern ebenfalls Parteien an die Macht kommen, die eine Abkehr von der unsozialen Kürzungspolitik einfordern.

Das alles wirkt wie eine sorgfältig orchestrierte Aktion, um die griechische Forderungen nach einem Ende der Sparpolitik abzuwehren. Was kann die griechische Regierung bei den Verhandlungen noch in die Waagschale werfen?

Im Unterschied etwa zur Bundesregierung hat die griechische Regierung von Anfang an auf Erpressungspolitik verzichtet. Sie hat sich zum Euro bekannt und versprochen, die russische Regierung nicht um finanzielle Hilfe zu bitten, obwohl Russland zu dieser Hilfe durchaus bereit wäre. Allerdings gibt es auch noch andere Staaten wie etwa China, mit denen man über Unterstützung verhandeln könnte, wenn die EU weiterhin auf unerfüllbaren Forderungen beharrt. Da Griechenland de facto pleite ist, steht auch die Frage eines Schuldenschnitts weiter im Raum, allerdings nicht als Drohung sondern als mögliche Notwendigkeit.

Eine der ersten Amtshandlungen der neuen griechischen Regierung war, die Zusammenarbeit mit der Troika aufzukündigen. Angeblich wünscht Griechenland, dass die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Überwachung von Reformen übernimmt und die Troika von EU, EZB und IWF ablöst. Ist das realistisch und was halten Sie davon?

Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung weiter auf die Zusammenarbeit Griechenlands mit der Troika pocht, obwohl der Europäische Gerichtshof vor Kurzem eindeutig geurteilt hat, dass die Europäische Zentralbank sich aus den Programmen mit einzelnen Staaten heraushalten muss. Die Troika ist Geschichte und es gibt keinen vernünftigen Grund, warum nicht andere Organisationen wie etwa die OECD über die Einhaltung von Reformprogrammen wachen sollten. Entscheidender ist aber, dass der Inhalt der Programme geändert wird und die Länder selbst entscheiden dürfen, auf welche Weise sie ihre Haushaltsziele erreichen.

Sie haben kürzlich einen „New Deal" nicht nur für Griechenland, sondern für ganz Europa gefordert. Einen sogenannten New Deal setzte US-Präsident Roosevelt in den 1930 Jahren als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise durch. Sehen Sie Parallelen zwischen damals und heute? Und was wären die zentralen Punkte eines New Deals heute?

Es gibt leider ein paar erschreckende Parallelen zwischen der europäischen Krisenpolitik und der undemokratischen Notverordnungspolitik des einstigen Reichskanzlers Brüning, der mitten in der Krise drastische Lohn- und Sozialkürzungen, Massenentlassungen sowie Steuererhöhungen für die breite Bevölkerung durchgesetzt hat. In beiden Fällen hat die unsoziale Kürzungspolitik die Krise nur verschärft und eine gefährliche Deflation heraufbeschworen. Ein New Deal müsste darauf abzielen, die Kosten der Krise nicht länger der einfachen Bevölkerung aufzubürden, sondern stattdessen die Millionäre und Großkonzerne in die Pflicht zu nehmen. In ganz Europa sollte eine Vermögensabgabe für Millionäre eingeführt werden, die genutzt wird, um den öffentlichen Schuldenstand auf ein tragfähiges Niveau abzusenken. Die unsozialen Spardiktate müssen durch eine europäische Investitionsoffensive ersetzt werden, die sinnvolle Arbeitsplätze schafft. Die Europäische Zentralbank sollte endlich die nötigen Mittel für ein solches Aufbauprogramm bereitstellen statt wie geplant eine Billion Euro in die Finanzmärkte zu pumpen und damit wieder nur die Reichsten zu mästen.

linksfraktion.de, 16. Februar 2015