Fiskalvertrag stoppen, Sozialstaat und Demokratie verteidigen
Kolumne von Sahra Wagenknecht, erschienen auf www.linksfraktion.de am 31.01.2012
Der auf dem EU-Gipfel am 30. Januar verabschiedete Fiskalvertrag spaltet Europa, verschärft die Krise und wird bittere Armut und soziale Unruhen nach sich ziehen. Der Vertrag zwingt die Mitgliedstaaten nicht nur, eine Schuldenbremse einzuführen, nach der die Neuverschuldung maximal 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen darf. Darüber hinaus müssen Staaten, deren Schuldenquote über 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, ihre Verschuldung pro Jahr um ein Zwanzigstel verringern. Wer gegen diese Regeln verstößt, soll automatisch bestraft werden. So darf der Europäische Gerichtshof (EuGH) gegen kürzungsunwillige Mitgliedstaaten in Zukunft Geldstrafen verhängen, die sich auf bis zu ein Prozent des BIP belaufen können.
Was bedeutet der Fiskalvertrag für die Menschen in Europa?
Über 70 Prozent der Eurostaaten weisen eine Schuldenquote von über 60 Prozent des BIP auf, in vier Staaten liegt die Schuldenquote sogar zum Teil deutlich über 100 Prozent. Um den unsinnigen Fiskalvertrag zu erfüllen, werden allein die Staaten der Eurozone in den nächsten fünf Jahren etwa 1,5 Billionen Euro einsparen müssen. Drastische Kürzungen im Bildungs- und Gesundheitswesen, die Absenkung von Löhnen, Renten und Sozialleistungen, die Vernichtung von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst sowie massenhafte Privatisierungen sind damit vorprogrammiert. Dabei wurden die Löhne, Renten und Sozialleistungen vieler Euroländer bereits in den letzten Jahren brutal zusammengestrichen!
Diese Politik ist nicht nur zutiefst unsozial, sondern auch ökonomisch unsinnig, da sie eine lange wirtschaftliche Depression nach sich ziehen wird. Wie das Beispiel Griechenlands deutlich zeigt, werden die Kürzungsorgien auch nicht dazu führen, dass die Schuldenlast sinkt im Gegenteil. Die Gefahr ist groß, dass Europa in einen Teufelskreis gerät, bei der Ausgabenkürzungen zu einer Schrumpfung der Wirtschaft führen, welche die Arbeitslosigkeit und die Schuldenquote erhöhen, was dann wiederum noch schärfere Kürzungen erforderlich macht usw. Zwar verstößt auch Deutschland gegen den Fiskalvertrag: So ist die Schuldenquote aufgrund der teuren Bankenrettung von 65 Prozent im Jahr 2007 auf knapp 82 Prozent im Jahr 2011 angestiegen. Doch obwohl auch Deutschland gezwungen sein wird, 30 Milliarden Euro pro Jahr einzusparen, geht der europäische Fiskalvertrag der deutschen Regierung noch nicht weit genug: So würden Merkel und Schäuble gerne Sparkommissare in die Krisenländer schicken, um Sozialkürzungen und Privatisierungen auch gegen den Willen der dortigen Regierungen erzwingen zu können. Damit würde die Demokratie in Europa endgültig ausgehebelt.
Permanente Bankenrettung beenden
Es ist bezeichnend, dass auf dem EU-Gipfel nicht nur über Schuldenbremsen entschieden, sondern gleichzeitig ein permanenter Rettungsschirm für die Banken abgesegnet wurde. Dieser sogenannte Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) soll am 1. Juli starten und einen Umfang von 500 Milliarden Euro haben. Allein Deutschland muss 22 Milliarden Euro in diesen Rettungsschirm einzahlen, hinzu kommen weitere 168 Milliarden Euro für Bürgschaften des ESM. Woher dieses Geld kommen soll, sagt die Bundesregierung nicht. Vermutlich sollen Beschäftigte, Erwerbslose und Rentner wieder einmal die Zeche zahlen für ein marodes Bankensystem, dessen 'Rettung' den Schuldenstand erst richtig hochgetrieben hat. Hinzu kommt, dass die Konstruktion des ESM verfassungswidrig und inakzeptabel ist, da er weder von den nationalstaatlichen Parlamenten noch vom Europäischen Parlament kontrolliert werden soll.
Staaten aus dem Würgegriff der Finanzmafia befreien
Europa braucht mehr Demokratie, nicht weniger. Aus diesem Grund fordert die Fraktion DIE LINKE, dass die Staaten der Eurozone endlich aus dem Würgegriff der Finanzkonzerne und Ratingagenturen befreit werden. Dafür brauchen wir eine europäische Bank für öffentliche Anleihen, die Staatskredite zu den niedrigen Zinsen der EZB direkt an die Staaten weitergibt, statt sich - wie die privaten Banken - an der Staatsverschuldung auch noch eine goldene Nase zu verdienen.
Vermögensabgabe ist die beste Schuldenbremse
Statt immer mehr Steuergelder für die Rettung maroder Banken zu verpulvern, sollten die Profiteure des Finanzkasinos zur Kasse gebeten werden! Allein in Deutschland ist das Vermögen der Millionäre auf über 2,2 Billionen Euro angewachsen und damit höher als die gesamte deutsche Staatsverschuldung. Um die europäische Schuldenkrise zu überwinden, müssen diese Vermögen der Reichen und Superreichen abgeschöpft werden: Über eine koordinierte Vermögensabgabe von 50 Prozent nur für Millionäre ließe sich die Staatsverschuldung halbieren! Um zu verhindern, dass die Steuerzahler immer wieder für die Rettung von Zockerbanken zur Kasse gebeten werden, muss außerdem das Finanzkasino geschlossen und das gesamte Finanzsystem in öffentliche Hand überführt und demokratischer Kontrolle unterworfen werden.
Sahra Wagenknecht ist wirtschaftspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, sie ist 1. Stellvertretende Fraktionsvorsitzende und stellvertretende Vorsitzende der Partei DIE LINKE.