Sahra Wagenknecht

Plenardebatte des Europäischen Parlaments am 12.12.2005 zur Unternehmensbesteuerung in der EU (Bericht Bersani)

Rede von Sahra Wagenknecht

12.12.2005

Es ist überfällig, dass das Thema europaweiter Harmonisierungen endlich auch im Bereich der Unternehmensbesteuerung auf die Tagesordnung kommt. Das Nebeneinander von EU-weit 25 verschiedenen Steuersystemen - die sich gravierend sowohl in ihren nominellen Sätzen als auch in der Art und Weise der Gewinnermittlung unterscheiden -, hat vor allem zu einem Ergebnis geführt: Der Anteil der Unternehmenssteuern an der Finanzierung der öffentlichen Haushalte sinkt, ein wachsender Teil der Steuern wird dem abhängig beschäftigten Normalverdiener oder - als sozial und konjunkturpolitisch schädlichste Lösung - den Verbrauchern aufgebürdet.

Vor allem große, multinational tätige Konzerne erhalten so alle Möglichkeiten, ihre Steuerlast zu minimieren. Verrechnungspreise oder Verlustverschiebungen sind nur zwei der beliebten Instrumente, um Gewinne in den Büchern just da erscheinen zu lassen, wo der Fiskus am zaghaftesten zugreift.

Außer Steuerdumping dieser Art hat das Nebeneinander der Steuersysteme einen Absenkungswettlauf der Staaten bei den Steuersätzen selbst zur Folge. Der Körperschaftssteuersatz etwa ist im Alt-EU-Durchschnitt seit Ende der 80er Jahre um 15 Prozentpunkte gesunken. Dass es sich dabei keineswegs nur um Veränderungen der nominellen Sätze handelt, zeigt eine Langzeitstudie der Universität Mannheim, nach der die effektive Steuerquote der 50 größten europäischen Konzerne von 36,5% (1988) auf 31,4% (2000) gefallen ist. Ein ähnlicher Trend lässt sich in allen untersuchten EU-Ländern außer Frankreich nachweisen.

An der Spitze der Steuerdumper im Bereich der Konzernsteuern steht übrigens bizarrerweise weder Irland noch Osteuropa, sondern die Bundesrepublik Deutschland, wo eine von der damaligen Schröderregierung im Jahr 2000 durchgesetzte und mit dem europaweiten Steuerwettbewerb begründete Steuerreform das Aufkommen aus der Körperschaftssteuer für einige Zeit völlig zum Verschwinden brachte. Der Dumpingwettlauf wird also von den verschiedensten Richtungen angeheizt.

So oder so: nur eine EU-weite Harmonisierung kann dem Wahnwitz Einhalt gebieten, dass gewinnstrotzende Konzerne sich aus der Finanzierung der Gemeinwesen mehr und mehr zurückziehen, und Mittel- und Geringverdiener, ja über Verbrauchsteuern sogar Rentner und Arbeitslose am Ende für die Verluste einzustehen haben.

Allerdings reicht es bei weitem nicht, die Bemessungsgrundlage zu harmonisieren. Was wir dringend brauchen, ist ein europaweiter Mindeststeuersatz für Unternehmensgewinne von wenigstens 40 Prozent auf breiter Bemessungsgrundlage. Nur auf diesem Wege ist dem allgegenwärtigen Steuerdumping ein Riegel vorzuschieben!