Solidarität und Hilfe für Flüchtlinge erfordern ein grundsätzliches Umdenken!
Positionspapier von Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht vom 04.09.2015
Die aktuelle Zahl der Flüchtlinge ist weltweit mit knapp 60 Millionen so hoch wie seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr. Die meisten von ihnen sind in ihren Heimatländern oder innerhalb von Krisenregionen auf der Flucht. Nach Deutschland kamen bis Ende August über 400.000 Flüchtlinge, doppelt so viele wie im gesamten Jahr 2014. Westliche Staaten unter der Führung der USA haben ganze Regionen destabilisiert, indem sie unter anderem Terrororganisationen möglich gemacht und instrumentalisiert haben.Mörderbanden, wie z.B. der Islamische Staat (IS), wurden indirekt unterstützt und auch von mit Deutschland verbündeten Ländern ungehindert mit Geld und Waffen beliefert. Millionen Menschen wurden so brutalen Kriegen und Bürgerkriegen ausgesetzt. Aus Syrien, aber auch aus anderen Kriegs- und Krisengebieten werden viele weitere Flüchtlinge erwartet. Um die Situation der Menschen in den Herkunftsländern zu verbessern und Fluchtursachen zu beseitigen, ist eine Kurswende in der herrschenden Politik notwendig. Bundesregierungen unter Beteiligung von CDU/CSU, SPD, FDP und GRÜNEN haben sich an Interventionskriegen und Regime-Change-Politik direkt beteiligt oder sie indirekt unterstützt. Waffenexporte wurden und werden ausgeweitet. Zusätzlich wird aus Profitgier durch Freihandelsabkommen, unfaire Wirtschafts- und Handelsbeziehungen und subventionierte Nahrungsmittelexporte die Herausbildung tragfähiger wirtschaftlicher Strukturen in den betroffenen Ländern unterbunden. Diese unverantwortliche Politik muss sofort beendet werden.
Klar ist: Mit der Integration von Hundertausenden von Flüchtlingen stehen der deutsche Staat und die Zivilgesellschaft vor einer großen Herausforderung, die es zu meistern gilt. Doch bislang entzieht sich der Bund seiner Verantwortung und bürdet die Aufgabe und die Kosten der Flüchtlingsaufnahme und Unterbringung vor allem den Ländern und Kommunen auf. Dies und eine völlig unzureichende Planung haben mit zu inakzeptablen Notunterbringungen geführt, die eines reichen Landes unwürdig sind. Die Überforderung einzelner Städte und Kommunen bildet auch einen Nährboden für gefährlich erstarkte rassistische Proteste und Übergriffe gegen Flüchtlingsheime sowie ablehnende Haltungen in Teilen der Bevölkerung. Die Bundesregierung hat versagt. Vor allem dem Engagement vieler ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer, Kommunalpolitikerinnen und -politiker ist es zu danken, dass es bislang nicht zu noch größeren Katastrophen gekommen ist. Die große Offenheit und Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung dürfen nicht dadurch gefährdet werden, dass gute' gegen schlechte' Flüchtlinge ausgespielt werden. Dem Gerede über einen angeblich verbreiteten Asylmissbrauch muss sofort Einhalt geboten werden. Wir brauchen faire und schnelle Asylverfahren und wirksamen Schutz für alle, keine weiteren Gesetzesverschärfungen. Europa darf nicht zur Festung ausgebaut werden. Das überwältigend große Engagement vieler ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer bei der Flüchtlingsaufnahme müssen wir stärken und mit guten staatlichen Aufnahmestrukturen vor Ort verbinden. Dies ist ohne weitere Belastung von 99 Prozent der Bevölkerung durch höhere Steuern für Millionäre und große Konzerne im Rahmen einer sozial gerechten Steuerreform oder kurzfristig durch Verwendung der Haushaltsüberschüsse finanzierbar.
DIE LINKE im Bundestag fordert außerdem:
I. Fluchtursachen bekämpfen das erfordert:
- deutsche Rüstungsexporte sofort zu stoppen;
- keine weitere Beteiligung an Kriegen und NATO-Militärinterventionen;
- den USA nicht weiter zu erlauben, auf deutschem Boden Flughäfen und militärische Einrichtungen zur Führung ihrer Kriege zu unterhalten;
- eine friedliche Außenpolitik, die nicht weiter auf völkerrechtswidrige Regime-Changes und die Destabilisierung von Staaten mittels Sanktionen, die die Bevölkerung treffen, setzt;
- endlich die selbst auferlegte Verpflichtung zu erfüllen, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen;
- neoliberale Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und Freihandelsabkommen auszusetzten und Verhandlungen über weitere Abkommen, wie z.B. TTIP, zu stoppen;
- die Ernährungssouveränität der Staaten zu stärken, indem diese das Recht erhalten, ihre heimischen Nahrungsmittelmärkte vor Importen zu schützen;
- den deutschen Beitrag für das Welternährungsprogramm in Höhe von rund 162 Millionen Euro im Rahmen der Syrienkrise auf 500 Millionen Euro aufzustocken.
II. Sofortprogramm für Flüchtlinge
Die Bundestagsfraktion DIE LINKE hat ein 10-Punkte-Papier zu den aktuellen Herausforderungen in der Asylpolitik ausgearbeitet. Gefordert wird darin insbesondere:
- die Flüchtlingsaufnahme in die maßgebliche Verantwortung des Bundes zu legen, der die Kosten für die Dauer des Asylverfahrens und für eine Übergangszeit nach der Anerkennung übernimmt, damit Länder und Kommunen sich auf die Integration vor Ort konzentrieren können;
- den Grundsatz der Integration von Beginn an gelten zu lassen, da die Mehrheit der Asylsuchenden dauerhaft in Deutschland bleibt. Sie brauchen Zugang zu Sprachkursen und eine gezielte Arbeitsförderung; ausgrenzende Gesetze wie das Asylbewerberleistungsgesetz, die Residenzpflicht, diverse Arbeitsverbote und dergleichen sind aufzuheben sowie effektive Maßnahmen gegen Lohndumping für alle Arbeitnehmer in Deutschland einzuführen;
- Flüchtlinge vorrangig dezentral und in eigenen Wohnungen unterzubringen. Erforderlich ist ein starkes soziales Wohnungsbauprogramm für alle Menschen mit geringem Einkommen;
- ein grundlegender Wandel in der EU-Asylpolitik. Das Massensterben an den EU-Außengrenzen, die Errichtung immer neuer Grenzzäune und das unwürdige Hin- und Herschieben von Flüchtlingen müssen gestoppt werden. Schutzsuchende brauchen legale und sichere Einreisewege. Sie sollen ihr Aufnahmeland selbst bestimmen können, nur so können bestehende familiäre Bindungen und vorhandene Sprachkenntnisse positiv genutzt werden.
DIE LINKE wird noch in diesem Jahr eine Konferenz für ehrenamtliche Flüchtlingshelferinnen und -helfer veranstalten: zum Kennenlernen, zur Vernetzung, zum Erfahrungsaustausch und vor allem auch zur Würdigung ihrer wertvollen Arbeit und ihres Engagements.