Mehr Protest wagen - Sahra Wagenknecht über die Linkspartei, Europa und die AFD
Artikel von Sahra Wagenknecht, erschienen im Neuen Deutschland vom 07.10.2013
Die 8,6 Prozent bei den Bundestagswahlen sind für DIE LINKE nach turbulenten Jahren ein Erfolg. Auch der Wiedereinzug in den hessischen Landtag ist geglückt.
DIE LINKE hat seit 2009 jedoch 1,4 Millionen Wähler verloren, auch gegenüber 2005 wurden Stimmen eingebüßt. Am meisten Stimmen wanderten in etwa gleichem Umfang an SPD, Alternative für Deutschland (AfD) sowie Nichtwähler ab. Insbesondere im Osten war die AfD erfolgreich und bei den Europawahlen plant sie den Durchbruch. Noch schlimmer: Fast ein Drittel der Bevölkerung hat nicht gewählt. Der konservative Politikwissenschaftler Herfried Münkler sieht darin einen Ausdruck von Zufriedenheit. Absurd: Denn Nichtwähler sind vor allem Menschen mit geringen Einkommen und schlechten Zukunftsperspektiven.
Demokratie ist, wenn sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Der moderne Kapitalismus setzt die Demokratie trotz Wahlen außer Kraft. Denn regelmäßig regieren Parteien, die Löhne und Renten kürzen und den Sozialstaat zerstören. Je länger die Merkels und Steinbrücks regieren, desto tiefer sitzt der Frust. Die Nichtwähler erreicht man daher kaum noch über Talkshows und Zeitungen. Man muss täglich dort sein, wo sie leben, etwa in sozialen Brennpunkten.
Es reicht aber nicht, die »Abgehängten« zu gewinnen. Mit Niedriglöhnen und Arbeitslosigkeit wird auch die Mittelschicht erpresst. Der Sozialstaat wird aus Arbeit finanziert. Daher kann man ihn nur mit der Unterstützung breiter Schichten der Arbeitnehmer verteidigen. DIE LINKE hat jedoch gegenüber 2009 unter Gewerkschaftern überdurchschnittlich verloren.
Die Europawahlen werden somit schwer: Dort beteiligen sich überdurchschnittlich Wähler mit hohem Einkommen. Es ist aber auch eine nationale Denkzettelwahl. Die AfD wittert daher ihre Chance. Sie hat sich bisher geschickt verhalten und in Sachen Euro-Rettung bei der LINKEN abgeschrieben. Der Slogan eines Wahlplakates der AfD lautete: »Die Griechen leiden, die Deutschen zahlen, die Banken kassieren.« Die Europafahne zu schwenken und die AfD anzugreifen, wo sie Argumente der LINKEN übernimmt, wird keinen Erfolg bringen. Im Gegenteil: Dies könnte die Rechtspopulisten stärken und somit die europäische Idee begraben.
Europa gewinnt man daher nur mit Angriff. Es muss um die Themen gehen, die Menschen in Deutschland bewegen, etwa die vielen Steuermilliarden, die für Banken verbrannt werden, und die Zerstörung der Demokratie. Denn die Krise wurde genutzt, um über Bankenunion, Wettbewerbspakt und vermeintliche Schuldenbremsen Politik gegen die Mehrheit in Brüssel zu verankern. Die AfD muss man hingegen stellen, wo sie verwundbar ist. Etwa bei Sozialabbau oder Demokratie: So sprach sich AfD-Sprecher Konrad Adam für einen Entzug des Wahlrechts für Rentner und Arbeitslose aus.
Auch jene, die vor allem auf Rot-Rot-Grün hoffen, sollten Europa von links unter Druck setzen: Das hochrangige AfD-Mitglied Joachim Starbatty meinte, die Debatte des Bundesfinanzministers über einen weiteren Schuldenschnitt in Griechenland habe stattgefunden, um die AfD in den Bundestag zu bringen und so dauerhaft eine linke Alternative zu Merkel zu verhindern. Merkel würde mit Blick auf die AfD niemals den Fehler der SPD machen, die eine Koalition mit der LINKEN ausschloss. Im Unterschied zur SPD will Merkel wirklich regieren. Wer eine linke Regierung möchte, muss dafür sorgen, dass die AfD klein bleibt. Das geht nur, wenn man Europa von links angreift.