"Wir dürfen keine zweite SPD werden"
Interview, Süddeutsche Zeitung, 25.05.08
Die Linke dürfe sich nicht - wie in Berlin - in eine Regierung einbinden, die neoliberale Politik betreibe - die Vorstandsfrau Sahra Wagenknecht im Gespräch mit sueddeutsche.de. Die Politikerin über Oskar Lafontaine, eine Spaltung der Linken und eine Unterstützung der kolumbianischen Farc-Rebellen.
sueddeutsche.de: Frau Wagenknecht, Sie haben mit 70,5 Prozent das beste Ergebnis bei den Vorstandswahlen bekommen. Haben Sie sich geärgert, nicht doch für den Vize-Vorsitz kandidiert zu haben?
Sahra Wagenknecht: Nein. Der Grund, nicht anzutreten, war ja nicht die Sorge durchzufallen. Ich habe im Vorfeld so viel positive Resonanz bekommen, dass ich realistische Chancen gehabt hätte. Das Problem war, dass mich eine Minderheit von Ex-PDS-Funktionsträgern harsch abgelehnt hat.
sueddeutsche.de: Wie ist das bei Ihnen angekommen?
Wagenknecht: Ich habe mir anhören müssen, meine Kandidatur sei eine "Kriegserklärung" und werde zu einer "Zerreißprobe" für die Partei. Ich wollte eine solche Auseinandersetzung dieser jungen Partei auf ihrem ersten Parteitag nicht zumuten.
sueddeutsche.de: Haben sich die Genossen also mit einem guten Wahlergebnis bei Ihnen für den Verzicht auf den Vize-Posten bedankt?
Wagenknecht: Viele, die mich für den Vize-Vorsitz nicht haben wollten, wollen mich sicher auch nicht im Vorstand haben. Der Parteitag insgesamt sowie die Reaktion auf die Rede von Oskar Lafontaine haben aber gezeigt, dass in dieser Partei deutlich linke Positionen starken Rückhalt haben.
sueddeutsche.de: Lafontaine hat trotz einer mitreißenden Rede zehn Prozent verloren. Wurde er für seinen Führungsstil abgestraft?
Wagenknecht: Nein. Man sollte das Ergebnis nicht dramatisieren. 80 Prozent signalisieren einen klaren Rückhalt für seine Politik. Aber manche wollen offenbar dieses klare linke Oppositionsprofil nicht. Dieser Teil hat ihn beim letzten Mal noch gewählt.
sueddeutsche.de: Also ging es um inhaltliche Differenzen.
Wagenknecht: Ja, aber der Erfolg der Linken zeigt, mit welchem Profil wir die Menschen am Besten erreichen und Akzeptanz gewinnen. Und das ist nicht ein Profil als zweite SPD. Wir gewinnen mit einer anti-neoliberalen und anti-kapitalistischen Politik. Dafür steht Oskar Lafontaine.
sueddeutsche.de: Oskar Lafontaine steht auch dafür, regieren zu wollen. Sie halten Regieren für überflüssig.
Wagenknecht: Er steht für klare Bedingungen. Auch ich schwärme nicht dafür, aus Prinzip Opposition zu sein. Aber solange alle denkbaren Partner neoliberale Politik machen und in ihrem gesamten Personal hinter dieser Politik stehen, solange sollten wir in der Opposition bleiben. Wir sollten nicht auf Bundesebene machen, was wir im Land Berlin über Jahre gemacht haben: uns einbinden lassen in neoliberale Politik. Das hat uns sehr viel Glaubwürdigkeit gekostet.
sueddeutsche.de: Sie können sich also keine Koalition auf Bundesebene mit Beteiligung der Linken vorstellen?
Wagenknecht: Nein. Solange die SPD sich nicht grundlegend ändert, finde ich alle Debatten über Koalitionen überflüssig. Wir ändern aus der Opposition auch die Politik und das Land - sogar viel wirkungsvoller.
sueddeutsche.de: Ist Fundamentalopposition für die drittstärkste Partei in Deutschland der richtige Weg?
Wagenknecht: Wir sind ja deshalb die dritte Kraft, weil die Leute unsere Inhalte akzeptieren. Sie wollen mit Sicherheit nicht, dass wir in eine Regierung gehen, in der von diesen Inhalten nichts übrig bleibt. So, wie die SPD momentan aufgestellt ist, müssten wir uns aufgeben und unsere Ziele in den Wind schreiben. Genau das haben die Leute bei so vielen anderen Parteien erlebt - und sind deshalb von Parteien frustriert. Diesen Fehler dürfen wir auf keinen Fall nochmal machen, dann wäre die Linke über kurz oder lang tot.
sueddeutsche.de: Wenn Lothar Bisky von "Bodenhaftung" spricht, was bedeutet das für Sie?
Wagenknecht: Bodenhaftung bedeutet, dass wir als Partei nie die Fühlung verlieren dürfen für die Probleme der Menschen. Wir dürfen nicht abheben und müssen wissen, was in diesem Land los ist, was sich an sozialen Verbrechen tatsächlich vollzieht.
sueddeutsche.de: Dies ist der erste Parteitag der Linken. Welche Probleme sehen Sie beim Zusammenwachsen von PDS und WASG?
Wagenknecht: Die Probleme liegen nicht nur zwischen Ex-PDS und Ex-WASG. Manche Differenzen gab es früher schon in der PDS. Jetzt haben sich aber die Mehrheitsverhältnisse geändert, das ist sehr positiv. Es gibt einen Flügel, der sich als Regierung im Wartestand sieht. Und es gibt eine Mehrheit, die sagt, wenn unsere Grundbedingungen nicht erfüllt sind, gehen wir in überhaupt keine Regierung.
sueddeutsche.de: Können die Grabenkämpfe zwischen Reformern und Ihnen die Partei spalten?
Wagenknecht: Eine Spaltung der Linken steht nicht an. Das ist eine herbeigeredete Debatte. Wir wären ja blöd - die Einheit macht uns doch gerade stark.
sueddeutsche.de: Ihr Parteikollege Wolfgang Gehrcke unterhält gute Beziehungen zur kolumbianischen Rebellenorganisation Farc - wie passt das zum Pazifismus der Linken?
Wagenknecht: Ich weiß nicht, ob er gute Beziehungen zur Farc unterhält. Wir sollten als Linke gute und enge Beziehungen zu den sozialen Bewegungen und Regierungen in Lateinamerika haben. Zu Hugo Chavez genauso wie zu Evo Morales, zu Ecuador und anderen Ländern. Da kommt endlich etwas in Richtung einer anti-neoliberalen und anti-kapitalistischen Politik in Bewegung.
sueddeutsche.de: Die Farc ist keine soziale Bewegung, sondern eine bewaffnete Guerilla-Organisation. Die Franco-Kolumbianerin Ingrid Betancourt ist in der Gewalt der Farc.
Wagenknecht: Mir ist nicht bekannt, dass es in der Linken eine Solidarisierung mit dem bewaffneten Kampf gibt. Wir setzen uns vor allem dafür ein, dass der Staatsterror in Kolumbien gegen die Farc aufhört. Das Militär in Kolumbien führt schlicht einen Bürgerkrieg. Hier provoziert man geradezu bewaffnete Gegenreaktionen. Wenn man über die Farc diskutiert, muss man auch über das Regime in Kolumbien diskutieren und darüber, in welcher Form - mit Mord, mit Verschleppungen - Opposition und progressive Bewegungen unterdrückt werden.
sueddeutsche.de: Sie sind EU-Abgeordnete, lehnen aber den EU-Vertrag ab, obwohl dieser das Parlament stärken würde. Warum?
Wagenknecht: Dieser Vertrag schreibt eine neoliberale Ökonomie und Politik sowie Militarisierung für Europa fest. Das ist der falsche Kurs für Europa.