Lafontaines Richtung ist die der Partei
Interview mit Sahra Wagenknecht, erschienen in Neues Deutschland am 09.11.2010
Nach dem Programmkonvent der LINKEN am Wochenende in Hannover versichert die Parteiführung, es herrsche parteiübergreifend Konsens in allen wichtigen Fragen. Der Streit im Vorfeld, vorbei und vergessen? ND erkundigte sich bei prominenten Vertretern der am meisten divergierenden Strömungen der Partei.
Sahra Wagenknecht ist stellvertretende Parteivorsitzende der LINKEN, war Mitglied der Programmkommission und ist Mitglied der Redaktionskommission für den Programmentwurf. Auch wenn sie für die Zeit im Parteivorstand die Mitgliedschaft ruhen lässt, ist die 41-Jährige wichtige Identifikationsfigur der Kommunistischen Plattform in der Linkspartei. Mit ihr sprach Uwe Kalbe.
Was hat der Konvent an Erkenntnissen gebracht?
Er hat deutlich gezeigt, dass die Grundrichtung des Programmentwurfs von der großen Mehrheit der Partei unterstützt wird. Das ist in vielen Redebeiträgen zum Ausdruck gekommen, und das hat auch der starke Beifall für die Rede von Oskar Lafontaine gezeigt. Es ist auch meine Erfahrung aus vielen Diskussionen außerhalb des Konvents.
Welche Erkenntnisse Ihnen persönlich?
Es gab viele inhaltliche Anregungen. So in der Arbeitsgruppe zu Eigentumsfragen. Wir waren uns dort relativ einig, dass privatkapitalistisches Eigentum in Kernbereichen der Wirtschaft überwunden werden muss. Aber was kommt an seine Stelle? Wo ist Belegschaftseigentum sinnvoll, wo öffentliches, wo Genossenschaften? Das ist auch im Programmentwurf nicht endgültig beantwortet. Wichtig ist auch: Wie kann man die gesellschaftliche Debatte über alternative Eigentumsformen anstoßen? Wie können wir dazu beitragen, dass Menschen es nicht länger als unabänderlich hinnehmen, dass große Unternehmen sich in Privathand befinden und die Eigentümer die gesamte Gesellschaft erpressen. Das sind alles spannende Diskussionen.
Muss das Programm erklären, was die Welt im Innersten zusammenhält, oder Handbuch sein?
Ich denke schon, dass wir im Programm unsere Sicht auf die Triebkräfte der gesellschaftlichen Entwicklung darstellen müssen. Nur daraus lässt sich ableiten, was wir ändern müssen, wenn wir eine sozial gerechte und friedliche Gesellschaft wollen. Ein Programm sollte immer auch eine gute Analyse enthalten.
Sehen Sie die Unterschiede in den Grundfragen wie Auslandseinsätze oder Haltelinien für Regierungsbeteiligungen als überbrückbar an?
Nach meinem Eindruck lehnt eine überwältigende Mehrheit in der Partei Krieg als Mittel der Politik ab und damit auch jegliche Militäreinsätze. Wenn einige meinen, dass man diese prinzipielle Haltung verändern muss, müssen sie das beantragen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dem viele folgen werden. Bei den Haltelinien für Regierungsbeteiligungen kann man sicher über Formulierungen diskutieren. Aber klar muss doch sein, dass die LINKE bestimmte Dinge einfach nicht mittragen darf, ohne ihre Glaubwürdigkeit zu verspielen. Dazu gehören die Privatisierung von öffentlichem Eigentum, Personalabbau und Sozialabbau. Ich möchte kein Programm, das mit 60 zu 40 auf dem Parteitag durchgestimmt wird. Aber ich glaube gar nicht, dass die Kluft so groß ist. Wir haben den Programmentwurf in der Programmkommission immerhin auch einstimmig angenommen, nach einer produktiven Diskussion, die auf Konsens orientiert war.
Was ist Ihr persönliches Ziel: Überzeugung der innerparteilichen Gegenseite oder das Finden von Kompromissen, mit denen alle leben können?
Ein Programm ist immer ein Kompromiss, auch der jetzige Entwurf ist einer. Anders geht es gar nicht. Dennoch muss ein Programm das Profil der Partei klar definieren. Wer es liest, muss erfahren, was die LINKE will und was nicht. Wenn es das nicht mehr leistet, weil alle Formulierungen im Unverbindlichen verschwimmen, haben wir alle verloren. Denn wir sind kein Selbstzweck, wir wollen die Menschen erreichen, um die Gesellschaft zu verändern.
Fehlt Oskar Lafontaine der Partei in seiner früheren Rolle als Richtungsgeber?
Er fehlt der Partei selbstverständlich als Vorsitzender der Partei und der Fraktion. Aber er bringt sich nach wie vor in die Parteidebatte ein. Er ist präsent, er gibt uns sehr gute Ratschläge. Und seine Richtung ist nach wie vor die der Partei. Das sollten wir auch nicht ändern, denn sie war die Basis unserer Wahlerfolge.
Haben die sogenannten Reformer keine eigenen Vorschläge, wie Lafontaine kritisiert?
Zumindest was das Forum Demokratischer Sozialismus angeht, habe ich schon den Eindruck, dass sie echte Reformvorschläge weitgehend schuldig bleiben. Wo sind in den 13 Thesen des FDS kreative Vorschläge, die uns weiter bringen? Der Vorschlag etwa, dass wir jetzt doch UN-mandatierte Bundeswehreinsätze gut finden sollen, ist für mich keine Reform, sondern einfach der Abschied von wichtigen Positionen. Unter Reformvorschlägen stelle ich mir etwas anderes vor.
Es gab auf dem Konvent viele Appelle zu kulturvollem Umgang miteinander, hat der Konvent selbst hierzu beigetragen?
Ich fand die Debatte sehr kulturvoll. Der Konvent hat gezeigt, wie man unterschiedliche Positionen vertreten und trotzdem auf eine sehr sachliche und fundierte Art miteinander streiten kann.