Sahra Wagenknecht

Die EZB: Eine neoliberale Fehlkonstruktion

Presseerklärung von Sahra Wagenknecht vom 02.06.2008

02.06.2008

Zum zehnjährigen Bestehen der Europäischen Zentralbank erklärt Sahra Wagenknecht, Abgeordnete des Europäischen Parlaments und Mitglied des Vorstands der Partei DIE LINKE:

Die Europäische Zentralbank, deren zehnjähriger Geburtstag heute gefeiert wird, ist eine neoliberale Fehlkonstruktion. Obwohl die Politik der EZB von großer Bedeutung für die Lebenssituation der Menschen in Europa ist, unterliegt sie keiner demokratischen Kontrolle. Laut Statut ist die Europäische Zentralbank unabhängig und allein dem Ziel der Preisstabilität verpflichtet. Doch was bedeutet diese viel gerühmte "Unabhängigkeit" der EZB anderes als die komplette Abhängigkeit der europäischen Währungs- und Finanzpolitik von den Interessen des europäischen Finanzkapitals? Wo die Politik nicht mitbestimmen darf, regieren die Finanzmärkte bzw. die europäischen Großbanken, Konzerne und Investmentgesellschaften eben direkt. Dies erklärt, warum die Vertreter der EZB regelmäßig an die Gewerkschaften appellieren, auf steigende Preise und unverschämte Profite der Konzerne gefälligst nicht mit entsprechenden Lohnforderungen zu reagieren. Dies erklärt auch, warum die EZB noch immer keine Initiative zur Regulierung der europäischen Finanzmärkte ergriffen hat. Obwohl die Finanzkrise sich immer weiter ausbreitet, vertraut man weiterhin auf die "Selbstregulierung" der Finanzmärkte. Dabei zeigt die Erfahrung, dass dies einer Einladung zur Selbstbedienung gleichkommt. Denn während man die Profite aus hochspekulativen Geschäften gern einsteckt, werden die Risiken und Verluste der Großbanken im Notfall von der öffentlichen Hand übernommen, d.h. dem Steuerzahler aufgebürdet.


Das makroökonomische Regime der EU basiert aber noch auf einer zweiten Fehlkonstruktion: Während man die Verantwortung für die Währungspolitik der EZB übertragen hat, sind für die Steuerpolitik weiterhin die Mitgliedstaaten allein zuständig. Resultat ist ein verschärfter Steuerwettbewerb, der vor allem Unternehmen und Reiche begünstigt, während Beschäftigte und Verbraucher einen immer größeren Teil der verbleibenden Steuerlast zu tragen haben. Durch diese neoliberale Fehlkonstruktion wird die Einnahmenbasis der öffentlichen Haushalte zerstört, was wiederum unsoziale Spar- und Privatisierungsprogramme nach sich zieht.


Statt oberflächliche Lobreden auf den Euro zu halten, sollte der zehnjährige Geburtstag der EZB zu einer kritischen Bilanz genutzt werden. Klar ist doch: Ohne eine grundlegende Revision der Währungs- und Finanzpolitik wird es kein soziales Europa geben! Die aktuelle Finanzkrise sollte daher als Chance genutzt werden, wichtige Institutionen wie die EZB demokratischer Kontrolle zu unterstellen – im Interesse der Beschäftigten, der Arbeitslosen sowie der Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa.

Sahra Wagenknecht
Brüssel, den 02.06.08